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Fern von Fantasy

Die Jugendbuchautorin Tamara Bach gewann mit ihrem Romandebüt "Marsmädchen" gleich zwei deutsche Preise. Ihr aktuelles Buch "Was vom Sommer übrig ist" erzählt Geschichten über Heranwachsende, über ihre Wünsche, ihr Glück und Unglück.

Tamara Bach im Gespräch mit Ute Wegmann |
    Wegmann: Tamara Bach, was reizt Sie an der Wirklichkeit?
    Bach: Die Wirklichkeit gibt so viel Geschichten her und das, was uns tatsächlich an Fantasy und Sci-Fi interessiert, sind die wirklichen Aspekte in den Büchern. Wie menschlich die Menschen zu anderen Zeiten und in anderen Universen sind. Letztlich behandelt die Literatur ja immer die menschlichen Probleme und ganz ehrlich, ich habe mich bisher auch nicht getraut, was Utopisches oder Fantastisches zu schreiben.
    Wegmann: Warum nicht getraut?
    Bach: Das ist vielleicht auch der Grund, warum ich bisher noch kein Kinderbuch veröffentlicht habe. Ich hab da sehr viel Respekt vor, ich möchte was Gutes machen und nicht etwas, was schon hundert Mal da war. Und ich hab große Vorbilder: Neil Gayman, Douglas Adams, Jesper Ford, die machen das einfach grandios.
    Kann passieren, wenn ich ne gute Idee habe, dass ich dann was schreibe, aber ... schaun wir mal.

    Wegmann: jetzt haben Sie mir schon eine Frage beantwortet, warum Sie bisher kein Kinderbuch veröffentlicht haben. Was lesen Sie denn privat?
    Bach: Ich kann während des Schreibens nichts Deutsches lesen. Das ist ganz fatal, ich kann vor allem keine Jugendbücher lesen. Ich mag die Amerikaner gern, das hat vielleicht auch mit meinem Studium zu tun. Ich hab jetzt auch wieder einen Philip Roth in der Tasche, von dem komm ich einfach nicht los. Ich mag den sehr sehr gern. Das Einzige, was ich nicht gerne lese, sind Krimis. Ich gehöre auch zu den wenigen Deutschen, die gut ohne Tatort leben kann.
    Wegmann: Jetzt leben sie in Berlin. Wie beeinflusst die Stadt Ihr Schreiben?
    Bach: Als ich nach Berlin gekommen bin, war es wichtig. Ich bin jetzt schon 15 Jahre hier, man kann es kaum glauben. Damals – Mitte, Ende der Neunziger – war es sehr viel wilder als jetzt, da gab es sehr viele Möglichkeiten. Eine Kneipe hatte eine Bühne und man konnte da Lesungen machen. Und ich bin immer noch überrascht, wie unterschiedlich Berlin ist in sich selbst, auch das Leuten von außerhalb zu erklären, dass wir kein Zentrum haben, dass jeder Bezirk anders ist. Und das ist das Tolle, was Berlin ausmacht.Und die Leute kommen hier hin mit Ideen. Aber ich muss auch manchmal raus. Weil man ja hier auch alles hat. Man hat ja auch ein Überangebot. Man vergisst manchmal, wie lange man die Stadt nicht verlassen hat.
    Ich war letztes Jahr im Haus of Literature auf Paros, einer griechischen Insel, in Lefkes, gibt es ein altes Hotel, das haben sie umgebaut zu einer Art Residence. Man konnte sich dort für wenig Geld einmieten und hat dann mit anderen Übersetzern und Schrifstellern gearbeitet, was sehr fruchtbar war. Es kamen dann plötzlich andere Motive in meine Geschichten. Es ist gut, sich auszutauschen. Und sich gegenseitig in den Hintern zu treten: "So jetzt haben wir lange genug Kaffeepause gemacht, jetzt gehen wir mal wieder arbeiten ..."...
    Wegmann: Sie haben ja schon mehrere Stipendien gehabt.
    Bach: Das auf Paros war kein Stipendium, das hab ich mir selbst ausgesucht.
    Ja, ich hab schon ein paar Stipendien gehabt.
    Wegmann: Mannheim?
    Bach: Ja, Mannheim, den Feuergriffel. Und dann in Stuttgart im Schrifstellerhaus und vorletztes Jahr hatte ich das Stipendium des Berliner Senats.
    Wegmann: Ihre Protagonisten sind keine exzentrischen Figuren, sondern oft wunderbar normale junge Menschen mit den für alle Pubertierenden nachvollziehbaren Problemen. Ein Gefühl hat eine große Präsenz in Ihren Geschichten, ein Gefühl, das alle Ihre Figuren allzu gut kennen: Einsamkeit.
    Sie reagieren erstaunt?
    Bach: Nein, gerade jetzt im aktuellen Buch wird das als Motiv immer wieder in der Presse thematisiert.
    Wegmann: Ja, darauf kommen wir noch später zu sprechen, aber ich habe das auch bei anderen Figuren gesehen. Ist das etwas, das Sie mit Ihrer Pubertät in Verbindung bringen. Ein Gefühl , an das sie sich erinnern?
    Bach: Nein! –Manchmal, ja, aber das ist normal. Ich hatte immer Freunde.
    Aber einsam, ja, das ist nicht unbedingt ein Pubertätsgefühl. Aber in der Pubertät taucht das vielleicht zum ersten Mal auf, dass man zum ersten Mal nach Menschen, sucht, mit denen man verbunden ist, mit denen man was gemeinsam hat. Das ist dann schon neu.
    Wegmann: In dem Roman Marsmädchen geht es um eine 15Jährige, die sich zu ihrem eigenen Erstaunen in ein anderes Mädchen verliebt.
    Busfahrt mit Kuhn ist eine Art Reiseroman: Vier Jugendliche fahren nach dem Abitur mit einem VW-Bus zu einem Konzert quer durch Deutschland.
    Jetzt ist Hier – eine Woche im Leben von vier Jugendlichen zeigt sie in ihrem Alltag, mit Parties, Elternstress, joggen, essen, duschen.
    Was ist das interessante an der Pubertät?
    Bach: Meine Null-Acht-15- Antwort ist, dass die Pubertät eine Zeit ist vieler erster Male ist, voller großer Gefühle, und Hormonschwankungen und so vielen Veränderungen in kurzer Zeit. Was es eigentlich für viele Schrifsteller sehr interessant machen sollte.

    WEGEMANN: Ohne Anbiederung an Jugendsprache gelingen Ihnen sehr gute Dialoge. Sie sind sehr nah an jugendlichem Empfinden. Ist es wichtig, den Kontakt zu Jugendlichen zu halten?
    Bach: Ich schreibe eigentlich umgangssprachlich, wie Menschen auf der Straße oder in der Bahn sprechen oder am Tresen reden und nicht wie sie sprechen, wenn sie vor ihrem Chef sitzen oder ein offizielles Telefonat führen. Ich hab ja auch ganz viele Sprachen. Wenn ich mit meinen Freunden zusammen bin, spreche ich ja ganz anders.
    WEGEMANN: Als mit mir?
    Bach: Als im Radio.
    WEGEMANN: Ich spiel Dialoge oft in meinem Kopf durch. Ich frage mich, ob das andere auch machen, ich glaub schon. Ich glaube, jeder hat das schon mal gemacht, vor einem Telefonat, auf das er nicht richtig Lust hatte, oder wo es drauf ankam, in kurzer Zeit, die richtigen Worte zu finden, dann übt man das vorher schon mal. Bei mir gehen im Kopf andauernd Dialoge hin und her. Ich habe außerdem ein sehr bildliches Gedächtnis. Wenn ich Sachen selbst erlebt habe, dann sind die Bilder einfach in meinem Kopf und da gehören die Dialoge vielleicht einfach dazu.
    - Und ich höre viel zu.

    WEGEMANN: Sie suchen immer wieder nach neuen literarischen Formen. Ihr Stil ist assoziativ, mit vielen Halbsätzen, manchmal atemlos, manchmal abgerissen, immer temporeich und doch emotional und mitreißend. In Jetzt ist Hier fließen Gedanken und wörtliche Rede ineinander. Busfahrt mit Kuhn ist, anknüpfend an den Inhalt, größtenteils in Drehbuchform geschrieben. In dem neuen Roman gibt es zwei Erzählerinnen, deren Stimmen sich mehr und mehr miteinander verknüpfen. Es bleibt immer der unverkennbare TamaraBachStil, aber die Formen changieren, ändern sich. Wie wichtig ist es für Sie, nach einer neuen Form zu suchen?
    Bach: Sehr wichtig. Bevor man anfängt, sucht man nach der richtigen Stimme. Bei Jetzt ist Hier war schnell klar, dass ich nicht in der 1. Person schreiben wollte und konnte, da war es wichtig, dass es ein Blick von außen ist. Es brauchte die dritte Person.
    Das Spielen mit Schreibarten ist teilweise auch ein Mittel mich beim Schreiben zu halten, mich beim Spaß zu halten und nicht einfach nur eine Geschichte runter zu erzählen.. Ich will Spaß haben beim Schreiben, und da muss man teilweise spielen. So wie ich das damals in meinen Anfängen mit 15, 16,17 gemacht habe, einfach alles ausprobieren. Und wenn es mir Spaß macht, dann macht es hoffentlich dem Leser auch Spaß. Das ist die Prämisse: Ich erzähl mir die Geschichte. Und vor allem die Leser zu vergessen und Verlag und Feuilletons und sich zu sagen: "Okay, probier ein bisschen Spaß dabei zu haben."
    Es muss mich interessieren.

    WEGEMANN: Früher spielte Musik eine große Rolle in ihren Romanen? Hat sich das geändert?
    Bach: Ich habe mich schon letztens mit Heide Lexe darüber unterhalten, von der STUBE in Wien. Mir ist das gar nicht aufgefallen. Bei den anderen Büchern hab ich erzählt, ich höre immer nebenbei Musik, und die fließt dann in den Text ein. Ich hab bei dem Buch auch Musik gehört, aber es gab nicht die Notwendigkeit , die Titel oder Zeilen in den Text zu integrieren. Peter Maffay hab ich mal erwähnt. Kinderlieder und Volkslieder tauchen noch auf. Allerhöchstens.
    Beim Schreiben höre ich viel Musik, das macht dann vielleicht auch das Atemlose aus. Man kann teilweise hören, mit wie viel bpm die Musik lief., hilft sehr beim Schreiben, das haben andere beim Joggen auch. Aber es muss über die Musik jetzt im Text nichts mehr transportiert werden.

    WEGEMANN: Kurz zum Inhalt. Zwei Mädchen begegnen sich zufällig. Jana, 13, Louise, 17. Zwei Erzählerfiguren. Es sind Sommerferien. Louise hat gerade Stress mit einem Schulkameraden hinter sich, wurde gemobbt, nimmt verschiedene Jobs an, weil sie nicht wegfährt, aber auch weil sie nicht Nein sagen kann.
    Jana hängt in der Stadt rum, Mutter und Vater, getrennt lebend, trifft sie nur im Krankenhaus, wo – wie man später erfährt – ihr Bruder nach einem Selbstmordversuch im Koma liegt. Beide Mädchen sind verlorene Seelen. Beide sind zu dem Zeitpunkt, als sie sich begegnen, auf sich selbst zurückgeworfen und sehr einsam. So beginnt Jana Louise nachzustellen, will von ihr wahr genommen werden, will mit ihr was unternehmen. Vor allem weil ihre Eltern ihren 13. Geburtstag vergessen haben. Eine riesige Kränkung.
    Es geht in diesem Roman um Einsamkeit, um Passivität, wohin man schliddert, wenn man nicht das Leben selber in die Hand nimmt, um den Egoismus und die Selbstbezogenheit der Erwachsenen? Und um das große Thema Geliebt zu werden. Was war Ihnen das Wichtigste?
    Bach: Das Wichtigste - nicht nur bei dem Buch, ist bei allen Büchern, ist erstmal die Figuren kennenzulernen. Am Anfang gab es nur eine grobe Idee und nur Louise, die eher nüchtern erzählt, wo sie herkommt und alle Fakten , aber dann auch klar wird, dass sie mit dieser Nüchternheit nicht glücklich wird. Bevor man anfängt, gibt es ja einen ganz langen Denkprozess, viele Geschichten waren jahrelang im Hinterkopf, dann kommt mal eine Idee dazu, manches schreib ich auf, manches nicht., aber es braucht die Zeit. Wichtig war mir erstmal nur die beiden Figuren kennenzulernen, sie beim Schreiben zu entwickeln. Welche Themen sich dann herauskristallisieren, das ist dann was anderes, weil die Figuren mir dann die Geschichte erzählen. Was sehr schön ist, aber auch ein langer Weg.

    Die Schrifstellerin Tamara Bach ist heute Gast im Büchermarkt.
    Wir hören einen Auszug aus : was vom sommer übrig ist.

    LESUNG
    S. 92-96
    S. 102 – 105 - mit Strichen

    UW:Das war Tamara Bach.
    mit einem Auszug aus dem Roman was vom sommer übrig ist.
    Alle Angaben zu den Büchern können Sie auch im Internet nachlesen unter
    www.dradio.de/literatur

    Louise und Jana brechen aus aus ihren Systemen, verlassen ihre Umlaufbahnen, tun Verbotenes, brechen Regeln, entfliehen für eine Nacht dem Funktionieren, das ihnen anerzogen wurde. Wie wichtig ist das Ausbrechen, um sich zu finden?
    Bach: Sehr wichtig. Ich bin eigentlich eine große Gesetzeseinhalterin, ich gehe zum Beispiel nie bei Rot über die Ampel. Aber es gibt so viel widerliche Regeln und gerade Tagesabläufe. Und Freiheiten geben , ist wichtig. Ich bin ein großer Freund von Freiheiten. Auf jeden Fall.


    WEGEMANN: Ich würde gern noch einmal auf die Form zurückkommen. Abwechselnde Erzählperspektiven – beide Ichs – beleuchten sich gegenseitig.
    Das wird gerade in den beiden Kapiteln als ob und wirklich sehr deutlich.
    Eine spannende Form der Verschachtelung, die bei jedem Kapitel ein Stück zurückgeht und somit einen zweiten Blick auf eine vorangegangene Situation zulässt. Haben Sie das so konstruiert oder hat sich das beim Schreiben ergeben?
    Bach: Tatsächlich ergibt sich das teilweise aus dem Schreibfluss. Ich bin eine schlechte Planerin. Der Schreibprozess ist für mich auch immer ganz spannend.


    WEGEMANN: Zum Schluss ist etwas vom Sommer übrig: HOFFNUNG. Als Louise, die Ältere, die Beerdigungsgesellschaft auf dem Friedhof sieht, gibt es für sie nur eine wichtige Frage. Wer hält Janas Hand bei der Beerdigung ihres Bruders?
    Das ist so ungeheuer berührend und menschlich.
    In kleinen Schritten holt die Große die Kleine zurück ins Leben. Mit Phantasie, mit einem Spiel. Ist das auch ein Buch über Trauer und Loslassen? Und über Trauerbewältigung?
    Bach: Das ist eine Geschichte, in der auch getrauert wird. Ich hab übrigens Rotz und Wasser geheult beim Schreiben, obwohl ich mir immer wieder nebenbei gesagt:
    "Das ist eine fiktive Figur, die du selbst entwickelt hast."
    Loslassen, es ist einfach eine Sommergeschichte, eine Sommergeschichte über zwei Mädchen, die beide ihr Päckchen zu tragen haben und die sich begegnen.
    Und was jeder darin liest, was jeder einzelne Leser da für sich herausholt, ist jedem selber überlassen.
    WEGEMANN: Es ist eine wunderbare Sommergeschichte.
    Vielen Dank Tamara Bach, sie war heute Gast im Büchermarkt.
    Wir sprachen über ihren neuen Roman:
    was vom sommer übrig ist, 144 Seiten, Carlsen Verlag für junge Leser ab 13 Jahre.
    Aber auch über die Romane:
    Marsmädchen, 192 Seiten, Oetinger Verlag, ab 13
    Busfahrt mit Kuhn, 160 Seiten, dtv, ab 14
    Jetzt ist Hier, 350 Seiten, Oetinger Verlag, ab 14

    Alle bibliografischen Angaben finden Sie auch im Internet unter www.dradio.de/literatur. Dort kann man die Sendung auch noch einmal anhören.
    Vielen Dank für Ihr Interesse. Am Mikrophon verabschiedet sich Ute Wegmann.

    Tamara Bach, geboren 1976 in Limburg, gewann mit ihrem Romandebüt Marsmädchen gleich zwei wichtige deutsche Preise: den Oldenburger Jugendbuchpreis und den Dt. Jugendliteraturpreis, im Jahr 2004.

    In der Zwischenzeit sind weitere Jugendromane erschienen: Busfahrt mit Kuhn, Jetzt ist Hier und aktuell Was vom Sommer übrig ist Geschichten über Heranwachsende, über ihre Wünsche und Hoffnungen, ihr Glück und Unglück. Geschichten fern jeder Fantasy, fern von Vampiren und Werwölfen, fern von Utopien oder den zur Zeit sehr beliebten Dystopien. Geschichten vom Hier und Jetzt im Hier und Jetzt.