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Fernab jeder Konvention

Mit einer konsequent subjektiven Kamera hat Julian Schnabel "Schmetterling und Taucherglocke" gedreht. Der Zuschauer blickt mit dem am ganzen Körper gelähmten Hauptdarsteller wie aus einer Taucherglocke auf die Welt, sieht sie unscharf und oft nur die Details, die wie zufällig in das Blickfeld geraten.

Von Josef Schnelle |
    Schon "Das Parfüm" von Patrik Süßkind habe er ganz im Kopf der Hauptfigur spielen lassen wollen, bekennt Regisseur Julian Schnabel im Interview. Doch Produzent Bernd Eichinger wollte davon nichts wissen und ließ den Film von Tom Tykwer als gängiges Erzählkino drehen. Mit der gleichen Methode ging Schnabel an "Schmetterling und Taucherglocke" heran, dem Bestsellererfolg von Jean-Dominique Bauby, in dem er seine innere Verfassung als am ganzen Körper gelähmter Patient beschreibt, der jedoch bei vollem Bewusstsein ist. Locked-In-Syndrom - so beschreiben die Ärzte den Zustand des ehemaligen Herausgebers der Modezeitschrift "Elle". Tatsächlich ist er aber nicht ganz in seinem Körper eingeschlossen. Er kann sein linkes Augenlid bewegen. Eine Therapeutin erklärt ihm am Krankenbett wie er von nun an mit seiner Umwelt kommunizieren kann.

    Mit dieser Methode hat Jean-Dominique Bauby in 14 Monaten das Buch diktiert, eine Botschaft die mit der Poesie des Flügelschlags eines Schmetterlings aus der Taucherglocke des zu fast keiner Regung mehr fähigen Körpers berichtet. Soweit die Vorlage, das bewegendes Schicksal eines Menschen, der plötzlich auf das reine Denken, seine Fantasie und das Halluzinieren zurückgeworfen wird. Bei einer Autofahrt mit seinem kleinen Sohn hat er plötzlich so ein komisches Gefühl gehabt. Er hat es noch geschafft, am rechten Fahrbahnrand anzuhalten, und ist dann zusammengesackt. Ein Schlaganfall hatte seine Stammhirnrinde zerfetzt. Julian Schnabel fängt die Dramatik dieser Szene mit Charles Trenets Sehnsuchtschanson "La mer" ab. Es ist nichts zu Ende gegangen. Etwas Neues hat angefangen.

    Stilistisch bleibt Julian Schnabel mehr als die Hälfte des Filmes ganz konsequent bei seiner Hauptfigur. Die Kamera von Januzs Kaminski nimmt kompromisslos deren Blickwinkel ein. Der Zuschauer schaut mit diesem Mann in der Taucherglocke auf die Welt, sieht sie unscharf und oft nur die Details, die wie zufällig in sein Blickfeld geraten. Gesichter kommen zu nah, die ganze Außenwelt wirkt oft grotesk verzerrt. Unter den in der Filmgeschichte nicht eben zahlreichen Experimenten mit einer konsequent subjektiven Kamera, ist Schnabels Variante die radikalste. Schließlich wird der Strom der Wahrnehmungen immer wieder von Fantasien, Wünschen und Erinnerungen überlagert, bis man gar keinen Unterschied mehr machen kann zwischen Welt, Wille und Vorstellung. Doch der Film hält auch eine moralische Lektion bereit: dass das Leben in jedem Moment und in jeder Form lebenswert sein kann, dass die Kunst - hier das Verfassen eines Buches - die Rettung aus tiefer Verzweiflung sein kann und dass es sich im Leben immer nur um eines dreht: sich selbst zu erkennen. Der echte Bauby hat gerade noch das Erscheinen seines Buches erlebt, ist wenige Tage später gestorben, aber die fantastische Reise durch sein Bewusstsein bleibt uns erhalten, nicht zuletzt durch diesen ungewöhnlichen und ergreifenden Film fernab jeder Hollywood-Konvention.