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Fernbus-Romantik
Von Freiburg nach Lissabon

28 Frauen und Männer aus Freiburg und der weiteren Umgebung reisen zwei Wochen lang im hochmodernen Fernbus durch Spanien und Portugal. Highlights gibt es viele, darunter Bilbao mit dem außergewöhnlich geformten Guggenheim-Museum, eine Marienprozession in Zamora und natürlich die Hafenstadt Porto.

Von Franz Lerchenmüller | 01.03.2015
    Blick auf die portugiesische Hafenstadt Porto. Ihr historisches Zentrum ist seit 1996 Unesco-Weltkulturerbe.
    Blick auf die portugiesische Hafenstadt Porto. Ihr historisches Zentrum ist seit 1996 Unesco-Weltkulturerbe. (dpa / picture alliance / Mark Read)
    Zehn Uhr abends, San Sebastian in Nordspanien. Ein warmer Wind vom Meer streichelt die Haut, Lichter funkeln um die Bucht wie ein glänzendes Collier und von oben grüßt eine weiß angestrahlte Christusstatue. Eine Gruppe deutscher Touristen macht einen Nachtspaziergang. Renate aus Frankfurt kann noch kaum glauben, was sie sieht.
    "Eine hellweiß glänzende Mauer, und dann noch ne Burg da oben und eine Statue, die ziemlich geheimnisvoll aussieht, wie so ein Eisblock – ich muss mir jetzt einfach mal sagen: Du bist jetzt in San Sebastian. Heute morgen noch in Freiburg rumgemacht und jetzt steht man in einer ganz anderen Welt, zwölf Stunden später, und sehr, sehr viel gesehen. Ist ne tolle Art, unterwegs zu sein, weil man den Weg wirklich selber macht und nicht irgendwo hinverpflanzt wird."
    Die "tolle Art, unterwegs zu sein", ist: mit dem Bus. 28 Frauen und Männer aus Freiburg und der weiteren Umgebung reisen zwei Wochen lang im hochmodernen Fernbus durch Spanien und Portugal. Heute ging es nur darum, Strecke zu machen: über 1.100 Kilometer waren es von Freiburg bis hierher. Am nächsten Tag wird es ruhiger. Bilbao liegt nur 100 Kilometer entfernt. Schon bei der Einfahrt taucht das Guggenheim-Museum auf, vor 17 Jahren von Frank O. Gehry erbaut: ein silbern schimmerndes, monströses Raumschiff. Stefan und Regine, beide sehr kunstbegeistert, versuchen seine ungewöhnliche Form zu fassen.
    "Von dem Punkt, wo wir jetzt stehen, fällt uns als erstes die Glänzende, metallische Oberhaut des Gebäudes auf, die sofort an Schiffe, an Industriebauten erinnert. Also, man hat das Gefühl, er hat Spaß am Experiment gehabt, es sieht aus wie so ein Schiffsrumpf. Es wirkt wie aus Knetgummi, aus länglichen Knetgummiquadern sozusagen geformt, die man in sich dreht und verbiegt und nachher zusammensetzt. Ich habe eher das Gefühl, er hat Papier genommen und es gebogen und hat mit dem Nagel nachher nochmal die Falten nachgezogen da oben und hat es so aufeinander aufgetürmt."
    Es gibt keine Dauerausstellung in dem Kunsttempel, die Projekte wechseln stetig. Derzeit versetzt ein Konzertfilm des Isländers Ragnar Kjartansson auf acht Leinwänden, "The Visitors",die Besucher in geradezu meditative Stimmung.
    Die Kathedrale von Burgos
    Schon am dritten Morgen ist die Stimmung im Bus richtig familiär – vor allem dank Chauffeur Hans-Peter.
    "Herzlich Willkommen, guten Morgen, Jungs und Mädels, habt Ihr gut geschlafen, einigermaßen?"
    Burgos steht heute als erstes auf dem Programm. Im Schatten der Kathedrale sammeln sich schon vormittags Wanderer in kurzen Hosen und mit Muschel am Rucksack: Dies ist das Revier der Jakobsweg-Pilger. Die Kirche selbst, zu der seit dem 13. Jahrhundert viele Baustile ihre Charakteristika beigesteuert haben, findet nicht unbedingt den Beifall von Harald, dem Architekten.
    "Das ist so ein Mischmasch aus allen möglichen Stilen. Bisschen Gotik sieht man hier. Im Anbau, da sind so ein paar romanische Rundfenster drin, und wenn ich die Türmchen hier seh, denk ich, da ist so ein maurischer Einfluss. Es ist so ein bisschen Zuckerbäckerstil, also mich beeindruckt es nicht sonderlich. Was schön ist, das sind nochmal bei den Eingängen die ganzen Figuren, die Heiligen, die Apostel mit ihren Symbolen da.."
    Hans-Peter, der Fahrer, ist fast 40 Jahre im Geschäft. Im Gegensatz zu vielen Kollegen unterhält er sich gern während der Fahrt - auch wenn die Geräuschkulisse das manchmal schwierig macht. Sein Beruf ist anstrengend. Aber er liebt ihn.
    "Ja, das ist schon eine Verantwortung. Aber man trägt die gerne, weil es ja auch Spaß macht, diese Fahrerei. Gerade auf diesen relativ leeren Fernstraßen in Spanien, kaum Verkehr, gut ausgebaut. Ich finde das ein erhebendes Gefühl, hier durchbrettern zu können. Man fühlt sich ein bisschen wie der Kapitän der Landstraße? Admiral, nicht Kapitän."
    Die Reisenden genießen die Art des Unterwegsseins. Uli, die Sekretärin, schätzt besonders, dass sie nicht selbst am Steuer sitzen muss.
    "Dass man mit 100 wie auf Schienen fährt, nicht mitbremsen muss, man kommt an, total relaxt, ich sitze viel höher als im Pkw, ich habe totale Aussicht. Man kann lesen, man kann stricken, ständig wird eine Pause gemacht. Dann kann man sich unterhalten, auch mal woanders hinsetzen, ich genieß das."
    In Portugal werden die Straßen enger
    In Zamora findet ausgerechnet an diesem Tag die große Marienprozession statt. Miguel Redoli, ein junger Historiker, erklärt, worum es dabei geht:
    "Die Statue der Jungfrau de la Concha aus Zamora wurde morgens zu einem "Besuch" bei ihrer "Base" Virgen La Hiniesta in ein nahes Dorf getragen. Jetzt kommt sie, begleitet von Fahnen, von Trommlern und Dudelsackspielern und Dutzenden von Gläubigen, wieder in ihre Heimatkirche zurück. Und alle freuen sich darüber."
    In Portugal werden die Straßen enger und kurviger und verlangen dem Fahrer alles ab. Der weiß, welche Verantwortung er trägt. Die Sicherheitsvorschriften sind streng – zu Recht.
    "Man darf als Busfahrer dreimal pro Woche neun Stunden am Lenkrad sitzen, und zweimal zehn Stunden. Und diese neuen beziehungsweise zehn Stunden müssen auch unterbrochen sein durch Pausen. Nach viereinhalb Stunden Lenkzeit müssen mindestens 45 Minuten Pause eingelegt werden. Wobei viereinhalb Stunden Lenkzeit ist definitiv zu lang für die Fahrgäste. Also ich mach immer alle zwei bis zweieinhalb Stunden eine Pause, damit man sich die Beine vertreten kann."
    Hans-Peter ist überzeugt, dass Busfahren die nachhaltigste Art der Fortbewegung ist.
    "Der Bus ist, gemessen am Primärenergieverbrauch, das Fortbewegungsmittel, das am wenigsten Energie braucht, und das folglich den geringsten Schadstoffausstoß hat. Im Vergleich zur Eisenbahn, die ja immer als sehr fortschrittlich gilt, haben wir nur etwa zwei Drittel der Emissionen eines Zuges – auf den Fahrgast bezogen. Und das sind die Statistiken vom Umweltbundesamt."
    In Geres steht der Bus zwei Tage still. Eine Ruhepause ist eingeplant und die Beine sind gefragt. Wer will, unternimmt eine Wanderung in den Nationalpark. Veronika, die oft und gern zu Fuß unterwegs ist, steht als eine der ersten auf dem Gipfel. Und genießt den Tag mit allen Sinnen.
    "Auf einem Felsbalkon weit über dem Stausee, dem dunkelblauen, verwinkelten – man sieht von oben die Boote fahren, wir sind über der Waldgrenze, man sieht weit bis nach Westen, aber man sieht noch nicht das Meer. Die Sonne ist sowas von angenehm heute, es ist nicht schwül, es ist ein leichter Wind, es ist vollkommen klar, ein wunderbares Blau in alle Richtungen."
    Wandern macht Hunger. Einträchtig schnippeln Hebamme, Ingenieur, Sozialpädagogin, Bibliothekar und Krankenschwester Gemüse und Käse, die sie in den Rucksäcken nach oben getragen haben. Ina, die im Bus immer mal wieder Kaffee und Kekse verteilt, hat auch hier die Versorgung fest im Blick.
    "Es gibt Banane. Es gibt Nisperos, Mispeln, kriegt man bei uns eher nicht so. Diese Bergpfirsiche, platte. Feingeschnittene Karotten, Oliven. Lomo, also verschiedene Wurst- und Fleischspezialitäten. Kirschen, Tomaten, lokale Weine, ein gutes Brot. Und dann hier das Allerbeste jetzt. Man nimmt etwas Brot, tunkt dieses Brot in Knoblauchöl und hier ist Fleur de Sel aus Portugal, unten aus Tavira. Das dann darüber und dann – aah – also mehr braucht es eigentlich nicht. – so – zum Wohl.. sehr schön."
    Dann geht es weiter nach Süden. Längst haben die Mitreisenden klarere Konturen gewonnen. Man notiert Buchtipps und tauscht Rezepte gegen Giersch im Garten, spricht über böse Nachbarn und musikalische Töchter, man blödelt und legt Beichten ab. Manche müssen sich erst daran gewöhnen, mehrere Stunden am Tag mit 28 Frauen und Männern zusammen zu sein. Ingrid, die sonst einen Partyservice betreibt, hat da keine Probleme.
    "Das macht mir gar nichts aus, im Gegenteil, das ist eine Herausforderung. Am Ende der Reise kennt man in der Rgel alle. Man weiß vom einen mehr, vom anderen weniger, je nachdem, wie weit die Leute sich öffnen wollen oder wie weit man auf die Leute zugehen kann – unterschiedlich. Aber das ist kein Problem."
    Portugal zieht an den Panoramafenstern vorbei und scheint in dottergelbem Ginster entflammt. In den Gärten wachsen Feuerbohnen und eineinhalb Meter hoher Kohl. Dann ist Porto erreicht.
    So gleißend liegt das Licht über der Stadt am Douro, dass die Luft staubig erscheint. Aus dem Meer der Ziegeldächer am Hang ragen barocke Kuppeln, Kirchtürme, Paläste. Bunte Wäsche hängt zum Trocknen und kaschiert den Verfall. Denn überall zerbröseln Holzfenster, blättert der Rost von den eisernen Balkonen. Stadtführer Felipe erklärt, warum so viel Stillstand herrscht.
    "Der Hauptgrund ist, dass der Besitzer aus dem einen oder anderen Grund nicht das notwendige Geld hat, die Gebäude komplett zu restaurieren. Es sind sehr niedrige Mieten, die er auch nicht von heute auf morgen erhöhen kann, weil er auch die Bauten nicht gemacht hat – ist also ein Teufelskreis. Die Restaurierung schafft er auch nur anhand Kredit. Den Kredit bekommt er entweder von der Bank oder vom Rathaus, und das ist das Problem: Das Geld reicht nicht für alles, weil extrem viele Gebäude auch unter Denkmalschutz liegen, was bedeutet im Nachhinein, dass die Restaurierung noch teurer ist, und darum muss man warten und warten und warten."
    Michael, den einstigen Universitätsprofessor, kümmern auf Reisen historische Jahreszahlen und Stammbäume nicht allzu sehr.
    "Was mich interessiert, ist die Realität dieses Landes, Arbeitslosigkeit, die Struktur des Wirtschaftslebens, Land und Laute. Und das wird uns, glaube ich, nicht nur hier, sondern auch an früheren Tagen ganz gut nähergebracht."
    Felipe beschäftigt sich durchaus mit der nicht besonders erfreulichen wirtschaftlichen Lage in Portugal.
    "Hier in Porto ging Textil vor einigen Jahren den Bach runter: Konkurrenz des Chinesischen. Dann haben einige auf Luxusartikel gewendet – das Problem hier ist die hohe Arbeitslosigkeit. Statistisch ist sie in den letzten Jahren von 7 auf 17 gestiegen und jetzt mittlerweile auf 15,4. Aber, natürlich, die zwei Prozent, die gesunken sind, haben viel mit den Portugiesen zu tun, die Portugal verlassen haben. Über 40.000 allein voriges Jahr."
    In Porto bleibt viel Zeit, auf eigene Faust loszuziehen und die Stadt zu erkunden. Gerade deshalb hat Anna, die sonst ganz gern für sich ist, keine Probleme, auch mal in einer Gruppe unterwegs zu sein.
    "Ich denke, weil genügend Möglichkeit für einen Rückzug da ist. Und weil du nicht gezwungen bist, jeden Programmpunkt mitzumachen. Das ist der Hauptgrund, wieso ich organisiert und mit der Gruppenreise unterwegs bin. Es ist kein Muss dabei. Die Philosophie ist: Individualismus ist gestattet."
    In einer Seitenstraße entdecken einige ein nettes kleines Restaurant. Bacalao-Pasteten, Rindfleisch mit Silberzwiebeln und Krakensalat stehen auf der Karte, Schweinbäckchen und eine Brotsuppe mit Krabben. Das "Aurora" hat erst vor drei Monaten eröffnet. Maria Castro hat es mit ihren beiden Brüdern zusammen gegründet. Sie ist 50 und war davor bei einem chinesischen Schuhkonzern angestellt. Ihre Geschwister, Ende 40, fanden als Lehrer keinen Job mehr. Anhand eines der Gerichte erklärt die Chefin die Philosophie ihres Lokals.
    "Kalbfleisch ist sehr traditionell in Portugal. Unsere Idee ist, das Kalbfleisch mit anderen typischen Zutaten aus verschiedenen Regionen des Landes zu verbinden. Da haben wir zum Beispiel Aleira, eine Wurst aus Trans-os-montes, wir nutzen den Spargel aus dem Süden und den Spinat aus dem Alentejo. Das alles bringen wir zusammen und unseren Rotwein dazu – und kreieren schließlich so ein ganz neues Gericht."
    "Es ist ganz ruhig, friedlich und ausgewogen"
    Fast die Hälfte der Reise ist jetzt vorbei. Die richtige Zeit, eine Zwischenbilanz zu ziehen. Wie gefällt es denen, die zum ersten Mal im Fernbus unterwegs sind, wie zum Beispiel Karlaß?
    "Ich finde die Sitze komfortabel. Der Abstand ist sogar besser als im Zug. Ich finde das Rausschauen in die Landschaft ganz wesentlich. Ab und zu durch das zarte Fahren schlafe ich ein. Dann lese ich wieder ein Stückchen im Führer nach, was uns bevorsteht. Ina sorgt wunderbar an der richtigen Stelle für einen Kaffee oder mal ein kleines Plätzchen – es ist ganz ruhig, friedlich und ausgewogen."
    Ingrid dagegen ist so etwas wie ein alter Hase. Sie weiß genau, warum sie so oft den Bus dem Auto vorzieht.
    "Ich muss mir im Vorfeld keine Wahnsinnigen Gedanken machen über Hotels, wo ich übernachte, welche Strecke wir fahren, ob es eventuell Staus geben könnte, ich brauch keine Autobahngebühren recherchieren und ähnliches. Also diese ganze Reiseplanung, die man normalerweise im Individualverkehr haben müsste, die hab ich nicht. Ich setz mich rein und genieß."
    Und so kann es also getrost weitergehen. Nach Coimbra, zu den Studenten im schwarzen Mantel, in die Fischlokale von Lissabon, zum Baden im Atlantik bei Vila Nova de Milfontes... und am Ende zurück nach Freiburg – wohlbehalten und gut erholt.