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Fernsehen statt Fantasie

Der Terminator metzelt seine Gegner nieder, Daily-Soap-Stars fallen sich in die Arme - in Schüleraufsätzen lassen sich immer häufiger Erlebnisse aus Fernsehfilmen finden. Kommunikationswissenschaftler der Universität Bonn haben jetzt Ergebnisse veröffentlicht, die zeigen, wie sehr Medien die Fantasie der Schüler prägen.

Von Henning Hübert | 24.11.2007
    Eine im Wald verirrte Prinzessin wird von böser Hexe auf Schloss gefangen genommen und in ein Reh verwandelt. Der König lässt nach ihr Suchen und verspricht dem Finder die Hochzeit. Das hören drei Burschen aus einem fernen Land - soweit der Text. Ab jetzt war die Fantasie der ungefähr 14-Jährigen gefragt. Die Hälfte erfand einen märchenhaften Schluss, mehr als jeder vierte davon war gewaltsam. Was die Bonner Forscher überraschte: Bei den nicht-märchenhaften Schlüssen war sogar etwas mehr als die Hälfte gewaltorientiert. Die Kommunikationswissenschaftlerin Jessica von Wülfing.

    "Es gab viele Szenen, das waren Metzelszenen. Da wurden wirklich Schlachtungen und Kampfszenen sehr detailliert beschrieben mit sehr viel Blut, sehr vielen Waffen. Mit sehr viel wirklich unnötiger Gewalt. Es wurden andere Figuren eingeführt wie der Terminator, der völlig unmotiviert metzelte."

    In einem Aufsatz sagt ein Bursche zur Hexe:

    Bring mich zum Schloss. Sie tat es. Als alles wieder normal war, blies er der Hexe das Gehirn weg.

    Oder ein anderes Zitat:

    Verona sah zwar die drei Burschen, aber sie dachte, wann passiert schon mal eine Tragödie und sie gab Gas und überfuhr die drei Buben.

    "Es ist halt insofern unmotiviert, dass die Figuren zur Handlung selber nichts beitragen. Also, sie erscheinen nur zum Zwecke der Metzelung. Das heißt, es kommen Orks und es werden eben Schlachten mit Orks durchgeführt. Manchmal sind es noch Orks, die die Burg der Hexe bewachen, dass man sagen könnte, es findet noch ein Kampf gegen ein Wächterfigur statt. Aber der Kampf selber ist dann so detailliert geschildert, dass die Kampfhandlung und Schlachtungsszene eindeutig im Vordergrund steht und nicht das Retten der Prinzessin. Das wird oft sogar ganz vergessen und sie taucht am Ende gar nicht mehr auf."

    Die Auswertung unter den 280 Schülerinnen und Schülern ergab große Unterschiede je nach Geschlecht. Anstatt eine Geschichte fortzuführen, entschieden sich vor allem die Jungen dazu, ihre Kenntnisse über Gewaltarten auszubreiten. Jessica von Wülfing.

    "Mit Schlachtungsszenen, mit Kriegsszenen, mit Metzelszenen - während die Mädchen auch teilweise in modernen Bildern geblieben sind. Aber eben eher aus dem Bereich Daily Soap oder Romantik und dadurch vielleicht dem kitschigen Märchen näher gekommen sind."

    Auch bei den Mädchen also nachweisbar: Die Omnipräsenz der Medien. Das hat Volker Ladenthin, Professor am Institut für Kommunikationswissenschaften der Uni Bonn, überrascht bei der Auswertung der Studie mit dem Titel "Gewalt der Medien" und dem Untertitel "Studien zu Gewalt an Schulen".

    "Wir hatten nicht erwartet, dass die Kinder in dem Maße mit Bildern aus den Medien ausgestattet sind. Sie müssen bedenken, das Experiment hat in der Schule stattgefunden unter den Bedingungen von Unterricht mit Lehrerinnen, wo man eigentlich domestiziert ist von dem, was in der Schule läuft. Und trotzdem brechen die Bilder aus den Medien in die Fantasie der Kinder ein, äußern sich in der Fantasie der Kinder und das hat uns schon so überrascht, dass wir es mehrfach überprüft haben, weil wir es erst gar nicht glauben konnten und dann immer wieder bestätigt worden sind."

    Nach den Ursachen konkreter Gewaltverbrechen wie zum Beispiel Amokläufen können und wollen die Bonner Wissenschaftler nicht fragen. Sie können nun aber zeigen, wie sehr inzwischen Medienbilder die Fantasie von Kindern besetzen. Volker Ladenthin:

    "Kinder werden durch Medien vokabularisiert. Sie lernen die Vokabeln, mit denen sie dann ihre Welt beurteilen. Und da haben die Medien einen großen Einfluss, weil sie wirklich diese Vokabeln vorgeben: Gewalt statt vielleicht Verständnis, Aggression statt Zuhören. Das sind ja Vokabeln, die in gewaltsamen Medien und in den Spielen auch vorkommen. Und das kann man sehr schön zeigen, das diese Kategorien in die Köpfe der Kinder kommen."

    Sein Rezept ist deshalb aber nicht Verteufelung - so wie man etwa früher oft Spielzeugpistolen vom Gabentisch verbannt habe.

    "Es ist nicht das Verbot, das geht heute in unserer Welt gar nicht mehr. Die Kinder haben immer Zugang zu diesen Medien, zu den Spielen im Kaufhaus, bei Freunden. Das ist überholt. Sondern unser Rezept ist, Gegenbilder zu geben. Das heißt: Die Schule, das Elternhaus muss starke Bilder selber schaffen aus der Literatur, aus der Kunst, aus der eigenen Erfahrung, aus dem Leben. Und diese Gegenbilder geben eben andere Kategorien, so dass die Heranwachsenden vor wirkliche Alternativen gestellt werden."

    Und da sei der Weg, Kinder alleinzulassen mit PC, Fernseher und DVD, vordergründig zwar der bequemste. Er sei aber auch der falscheste: Weil dann schnell Aggression und Gewalt die Fantasie der Heranwachsenden dominieren könnten - und ihnen nötige positive Alternativbilder schlicht fehlen.

    Literaturtipp:
    Ladenthin, Volker/ Wülfing, Jessica von: Gewalt der Medien.
    Studien zu Gewalt an Schulen

    Ergon Verlag, Würzburg 2007