Archiv


"Fernsehen und Literatur passen nicht zusammen"

Die Weigerung von Marcel Reich-Ranicki, den Deutschen Fernsehpreis für sein Lebenswerk anzunehmen, hat bei dem Deutschlandfunk-Literaturkritiker Hajo Steinert Verwunderung ausgelöst. Schließlich habe Reich-Ranicki bereits den "Bambi" und die "Goldene Kamera" angenommen und habe gewusst, worauf er sich da einlasse.

Hajo Steinert im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske |
    Doris Schäfer-Noske: Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki hat sich also geweigert, den Deutschen Fernsehpreis für sein Lebenswerk anzunehmen und dabei seinem Zorn über die Verflachung des Fernsehens Luft gemacht. Elke Heidenreich, die zurzeit die Fernsehsendung "Lesen" moderiert, sekundierte ihm nun heute mit einem Artikel in der "FAZ" und dieser Artikel gipfelt in den Sätzen, man schämt sich, in so einem Sender überhaupt noch zu arbeiten. Von mir aus schmeißt mich doch raus. Frage an Hajo Steinert, Leiter des "Kulturellen Worts" im Deutschlandfunk: Herr Steinert, hier kündigen Vertreter der Kultur dem Fernsehen ihre Gefolgschaft, die ja eigentlich durchs Fernsehen erst bekannt geworden sind. Ist das nicht paradox?

    Hajo Steinert: Marcel Reich-Ranicki hat schon den Bambi bekommen 1989. Er hat die "Goldene Kamera" bekommen, das sind nicht unbedingt in Literaturkreisen angesehene Preise. Er hat natürlich bei allem Respekt, den ich für Marcel Reich-Ranicki habe, wichtige Literaturpreise auch bekommen. Aber er müsste eigentlich wissen, worauf er sich da einlässt in diesem Fernsehen und auch Elke Heidenreich, die gar heute davon spricht in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", im "Feuilleton", wie jämmerlich unser Fernsehen sei, Zitat wörtlich, "wie arm, wie verblödet, wie kulturlos, wie lächerlich." Auch sie verdankt ja ihren Ruhm zu einem großen Teil dem Fernsehen. Dass sie jetzt dagegen so protestieren, das mag zwar für uns, die wir auch in der Kultur arbeiten, die wir die höhere Kultur im Radio, in den Zeitungsfeuilletons vertreten, wir mögen da uns auf die Schenkel klatschen, endlich wird es denen mal gezeigt. Aber so ist es gar nicht. Ich sehe darin eher eine Form des ohnmächtigen Protest, eine Form von Ohnmacht, jahrelang mitgemacht zu haben und jetzt zu erkennen, es hilft sowieso nichts, das Fernsehen können wir nicht ändern. Und das wäre auch meine Auffassung. Denn so laut jetzt auch protestiert wird und es mag meinetwegen auch eine Kulturdebatte jetzt geben über Literatur, Kultur und öffentlich-rechtliches Fernsehen, die Ersten Programme zumindest, aber es hilft nicht darüber hinweg, es passt einfach nicht zusammen. Und ich gehöre nicht zu denen, die jetzt wie es schon seit Jahrzehnten ist, diese These wiederkauen, ja, wir müssen wirklich mehr Literatur in ARD und ZDF haben. Es hat keinen Sinn. Es wird einfach nicht funktionieren. Die Gesetzmäßigkeiten sind andere. Wir leben in einer "Verkernerung" des Fernsehens, um einen bekannten Moderator jetzt ein bisschen auf die Schippe zu nehmen.

    Schäfer-Noske: Marcel Reich-Ranicki hat ja im Gespräch mit "Kultur heute" gestern gesagt, er schaue gerne Arte und 3sat. Ausgezeichnet wurden aber bei dieser Preisverleihung ja vor allem ganz andere Sendungen, zum Beispiel "Deutschland sucht den Superstar", eine Art Castingshow. Inwieweit waren denn dieser Preisträger überhaupt repräsentativ für das Fernsehen heute?

    Steinert: Diese Preisträger sind durchaus repräsentativ. Es läuft ja alles so auf einen Starkult hinaus. Auch, müssen wir zugestehen, im Literaturbetrieb gibt es ja "Deutschland-sucht-den-Superstar-Prinzipien". Wenn heute der Deutsche Buchpreis vergeben wird im Kaisersaal des Frankfurter Römer, so hat es ja auch etwas von diesem Urgu. Man versucht ja auch in Klagenfurt beim "Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb" zum Beispiel jetzt einen Fernsehmoderator zu installieren, der auch für das Unterhaltungsgenre steht. Man möchte immer mehr Unterhaltung auch in die hohe Kultur hineinbringen, um so den alten Gegensatz zwischen U und E, zwischen Unterhaltung und ernster Kultur aufzulösen. Aber meiner Ansicht nach funktioniert es nicht. Man sollte sich schon zurückziehen weiter und auf seine Stärken in der Kultur pochen. Und ich habe nichts dagegen, wenn auch in Arte und 3Sat gutes Fernsehen läuft und Spartenprogramme laufen. Das ist kein Eingeständnis ins Scheitern, das ist vielleicht eine neue Stärke, die man bekommen kann. Und das ZDF ist auch gut beraten, zum Beispiel daran zu erinnern, dass ein Kulturmagazin "aspekte" 30 Jahre alt wird. Das Opfer dieser Sendung besteht doch darin, dass es immer zu einem späteren Zeitpunkt gesendet wird, weil irgendwelche Kochsendungen dazwischenkommen. Auch mit Sendungen im Ersten Programm könnte man darüber sprechen, werden auch immer weiter nach hinten geschoben, falls es da überhaupt noch Literatur gibt.

    Schäfer-Noske: Marcel Reich-Ranicki hat ja bei seiner Medienschelte durchaus gezeigt, wie er die Mechanismen des Fernsehens in Gang zu setzen weiß. Und Sie haben es ja auch schon angesprochen, möglicherweise wird es ja auch jetzt eine öffentliche Debatte geben, die es sonst gar nicht gegeben hätte, wenn er das irgendwie in einem Interview sonst gesagt hätte.

    Steinert: Es wäre ein Verdienst von den hoch geschätzten Kollegen Marcel Reich-Ranicki und Elke Heidenreich, wenn sie tatsächlich Augen und Ohren im Publikum öffnen, dass man sich die Sachen einfach nicht mehr anschaut, dass die Quoten nicht immer weiter höher gehen bei solchen Sendungen, die man ertragen musste an diesem Abend. Das wäre gut. Befürchte ich allerdings, dass die Mittel, die man jetzt einsetzt, aufgesaugt werden vom Fernsehen selbst und der Intendant des Zweiten Deutschen Fernsehens geht ja dahin und empfindet diese Sendung, die am Samstag vielleicht peinlich für ihn gewesen sein könnte, aber es wird wieder als Sieg dargestellt des Fernsehens. Auch das ist wieder Teil der Unterhaltung. Auch Marcel Reich-Ranicki wird mit seiner Schelte nichts daran ändern, dass das Fernsehen demnächst wieder kulturbewusster wird und dass der öffentlich-rechtliche Auftrag Kultur und Bildung hochzuhalten weiter vonstatten geht. Das wird dort reduziert werden. Aber wie gut, dass wir die Zeitung haben, das "Feuilleton", und wie gut, dass es das Radio gibt.

    Schäfer-Noske: Das war Hajo Steinert, Leiter des "Kulturellen Worts" im Deutschlandfunk anlässlich des Eklats von Marcel Reich-Ranicki bei der Fernsehpreisgala.