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Fernsehkritikerin: Merkel sollte zweites Rededuell nicht ablehnen

Die Publizistin Klaudia Brunst würde Angela Merkel raten, auch Gerhard Schröders Herausforderung zu einem zweiten öffentlichen Rede-Duell anzunehmen. Als besorgniserregend bezeichnete Brunst, dass durch diese Form des Fernsehwahlkampfs die politischen Konzepte noch weiter hinter der persönlichen Performance zurückträten.

Moderation: Bettina Klein |
    Klein: Ist es das, was das Land bewegt? Zumindest bewegt es die Parteien, den Kanzler und die Herausforderin im Moment sehr: Wie viel Direktbegegnungen im Fernsehen, auch genannt "TV-Duell", soll es noch geben bis zu den geplanten Wahlen? Die Kanzlerkandidatin der Union Angela Merkel möchte sich auf eines beschränken, der Amtsinhaber hätte gern zwei, und er wäre dafür auch bereit, sich mit dem Herausforderer von 2002 medial zu messen. Es wird weiter verhandelt und morgen wohl entschieden. Welche Rolle spielt das Fernsehduell im Wahlkampf? Darüber möchte ich mich jetzt mit Klaudia Brunst unterhalten, Publizistin und Fernsehkritikerin, die sich mit den TV-Auftritten der Politiker in unseren Zeiten intensiv befasst hat. Frau Brunst, kann ein zweites TV-Duell Schröder noch mal zum Kanzler machen oder weshalb legt er so großen Wert darauf?

    Brunst: Also beim letzten Mal war es ja so, dass das zweite Duell ihn ein bisschen gerettet hat. Man könnte jetzt sagen, die Dinge passieren nie zweimal genauso. Beim Fußball ist es aber häufig so, dass die Rückrunde entscheidend ist. Ich glaube, niemand weiß das, und ich glaube, diese ganze Diskussion kreist vor allem um die Frage, dass Angela Merkel ein kleines Problem mit ihrer B-Note vermutet und deswegen nicht so häufig im direkten Kontakt mit dem Kanzler stehen möchte.

    Klein: Probleme mit der B-Note, sagen Sie, aber wäre Angela Merkel klug beraten, ein zweites Rededuell abzulehnen?

    Brunst: Das glaube ich nicht. Ich glaube, sie ist jetzt schon nicht wirklich gut beraten, weil das Problem sich umdreht. Es war jahrzehntelang so, dass der Kanzler immer gesagt hat, nein, ich möchte nicht gerne in die Niederungen des Fernsehens gehen, und der Herausforderer - bis jetzt waren es immer nur Männer - gesagt hat, doch, kommt raus aus deinem Bau. Es ist jetzt seltsam, wenn die Herausforderin nicht sagt, komm raus aus deinem Bau, sondern wenn der Kanzler selber sagt, komm doch mal her und stell dich, muss sie eigentlich bei diesem Angebot "ja" sagen.

    Klein: Wird die CDU-Chefin - wir sprachen jetzt auch gerade über eine B-Note - immer noch mehr als andere, als männliche Politiker, zumal über ihre äußere Präsenz definiert, wie das ja immer wieder beklagt wurde?

    Brunst: Also es heißt ja immer, Frauen würden stärker über ihr Äußeres definiert werden, auch gerade in der Politik oder auch eben Journalistinnen. Ich glaube, dass das eigentlich nicht so ist. Ich glaube, dass wir bei Männern auch viel über das Äußere reden, Joschka Fischer, der zu dick ist, um noch mal zu gewinnen, der Kanzler mit seinen nicht oder eben vielleicht doch gefärbten Koteletten. Also da ist ja schon sehr viel Inhalt ersetzt worden durch Performance, durch Äußeres, und Angela Merkel hat ein besonderes Problem dabei: Sie ist den meisten Wahlbürgern noch nicht so bekannt. Sie ist einfach viel kürzer in der Politik. Sie hat sich innerhalb dieser Zeit, in der sie in der Politik ist, auch noch mehrfach gewandelt, und man weiß jetzt gar nicht so richtig, wer einem da gegenübersteht, wenn man jetzt einen ganz großen Kamm nimmt, und das ist, glaube ich, das Problem, warum man sie so häufig anguckt, sie zum ersten Mal wahrnimmt.

    Klein: Wenn Sie sagen, es gibt in der Beurteilung keine großen Unterschiede mehr zwischen ihr und anderen Politikern, zum Beispiel den amtierenden Kanzler, dann bräuchte sie also dieses Urteil auch nicht zu fürchten und könnte sich ruhig auch vor die Kameras ein zweites Mal setzen?

    Brunst: Ja, das Problem ist ja, wenn man selber nicht das Gefühl hat souverän zu sein, dann ist es das Allerschwierigste, souverän zu wirken. Ich fürchte, dass sie selber das Gefühl hat auch aus der Erfahrung mit Stoiber beim letzten Wahlkampf im direkten Umgang mit dem Kanzler, dass man daneben schnell unsouverän wirkt, zu ehrgeizig, nicht so souverän und in sich ruhend wirkt, weil das ist ja wirklich ein großes Talent von Schröder. Das hat man am letzten Sonntag auch gesehen, als er bei Christiansen saß, dass er einfach da sehr ruhig sitzen kann und mit bestimmten Tricks den Leuten das Gefühl vermitteln kann, er sei doch der Kanzler der ruhigen Hand, obwohl wir doch eigentlich schon seit sieben Jahren wissen, dass er damit große Schwierigkeiten hat.

    Klein: Schröder hat diese eine Stunde bei Sabine Christiansen in der Sendung der ARD ja tatsächlich für seinen Wahlkampf genutzt, und er hat - das konnte man an der Reaktion im Publikum beobachten - zumindest die Gäste im Studio für sich eingenommen. Sie sprachen gerade von Tricks. Welche wendet er denn an?

    Brunst: Also mir ist aufgefallen, wenn man sich gerade dieses letzte Gespräch angeschaut hat, er hat mit den Experten geredet und er hat eine Art, verbal die Leute immer zu sich rüberzuziehen. Er sagt dann am Anfang, das ist doch gar keine Frage, Frau Christiansen, wer wird das denn bestreiten oder das wissen Sie doch so gut wie ich. Das heißt, die Experten, die eingeladen waren, um ihm Kontra zu geben, hat er sofort darauf hingewiesen, dass sie doch in seiner Kommission gesessen haben, und plötzlich hatte man das Gefühl, eigentlich ist dieser Kanzler mit allem auf Du und Du, er versteht auch alles, er hat nur noch ein kleines bisschen mehr Überblick als die anderen.

    Klein: Fragt sich, wo bleibt die Rolle des kritischen, unabhängigen Journalismus an dieser Stelle?

    Brunst: Ja, ich glaube, die ist immer ein wenig unterbelichtet, weil diese Sachen, diese Sondersendungen automatisch zu Wahlkampfsendungen werden. Das war auch beim letzten Wahlkampf so. Auch bei Maybrit Illner hat Schröder eine sehr gute Figur gemacht hat. Sie können diese Plattform nicht für investigativen Journalismus nutzen, sondern Sie geben sie her zur Selbstdarstellung für die Spitzenkandidaten, und da hat es jetzt Angela Merkel noch kein Hundertpunkteprogramm hingelegt. Also es gibt keine Sendung, wo man sagen könnte, da war sie toller als je zuvor.

    Klein: Aber wenn es so ist, wie Sie das beschreiben, unter diesen Vorzeichen, die wir da erleben, kann sich eigentlich kein Politiker eine solche Gelegenheit entgehen lassen, da eine Stunde für sich Wahlkampf zu machen, und Frau Merkel ist - so viel ich weiß - auch eingeladen in diese ARD-Talkshow, es gibt noch keine Zusagen. Sollte sie da auch ruhig "ja" sagen?

    Brunst: Also ich würde ihr das raten. Ich habe einfach das Gefühl, sie muss jetzt alles ergreifen, um sich nicht zur Zauderin zu machen. Man hat sowieso bei ihr das Gefühl, dass sie so eine kleine Entscheidungsschwäche am Ende hat und dass sie sich das gerne immer alles offen halten würde. So wirkt es jetzt auch, als wolle sie sich nicht festlegen, als wolle sie nicht sagen, so bin ich, das bin ich, das ist die, die ihr wählt, und das ist natürlich ganz schwierig. Bei einem so kurzen und pointierten Wahlkampf wie dem, den wir gerade erleben, muss man natürlich sofort ins Feld.

    Klein: Kommen wir mal zu einer Bewertung oder Analyse: Wie werden wir beeinflusst durch diese Konzentration auf diese Äußerlichkeiten, auf diese Fernsehbegegnungen?

    Brunst: Also es ist natürlich ein ganz großes Problem, dass die Inhalte dadurch immer weiter nach hinten rücken, dass der Wahlkampf auch jetzt noch so funktioniert, dass man möglichst viel offen hält, dass man Gefühle verkauft, dass die Festlegungen der Wahlprogramme wirklich sehr unpräzise sind. Also Frau Merkel hält sich gerade sehr zurück, der Kanzler sagt, wir machen im Prinzip weiter so, weil wir tolle Konzepte hatten, leider war die Performance bis jetzt nicht so gut. Das heißt, wir haben einen immer amerikanischeren und personalisierteren Wahlkampf, in dem dann tatsächlich irgendwann die Frisur wichtiger ist als die Frage, um wie viel Prozentpunkte die Umsatzsteuer steigt. Das finde ich natürlich für unsere Republik ein ganz großes Problem.

    Klein: Gut, das ist auch immer wieder beklagt worden. Die Frage ist, hat es noch mal zugenommen gegenüber 2002, wo es ja die Premiere gab in Sachen TV-Duell zwischen Kanzlerkandidat und Herausforderer?

    Brunst: Also beim letzten Mal war es eigentlich so, dass dazwischen die Flut und der Irakkrieg lag, und das ist auch natürlich ein Zeichen dafür. Da hat der Kanzler sein ganzes Auftreten noch einmal umdrehen können, weil er plötzlich zweimal stark dastehen konnte. Auch das ist wirklich nur eine Darstellung gewesen. Jetzt könnte es sein, dass es ohne solche riesigen Thematiken trotzdem noch mal funktionieren kann, dass der Kanzler sich besser darstellt als das, was er früher in seiner Legislatur geschafft hat hinzulegen, und dann wäre es eine Verschlimmerung.

    Klein: Inwieweit ist es wirklich eine Gefahr für die Demokratie? Es wird immer wieder beklagt, wir bekommen amerikanische Verhältnisse. Dann hat man inzwischen gesagt, das kann eigentlich so dramatisch gar nicht sein, ein bisschen Unterhaltung tut dem Politikverständnis der Deutschen auch nicht so schlecht. Also inwieweit müssen wir das wirklich kritisieren und befürchten, was auf uns noch zukommt?

    Brunst: Ich möchte jetzt auch nicht immer in dieses Horn gleich tuten, es wäre alles ganz schlimm, wenn alles amerikanisch wird. Aber ich sehe natürlich, wenn wir einen großen Reformbedarf haben, wo die Leute auch wissen wollen, was auf sie zukommt, weil sie Verbindlichkeit mit ihrer Familie, mit ihrem Leben, mit ihrem Bankkonto haben, und wir aufhören, das aussprechen zu können, weil immer die Performance wichtiger ist als die Frage der Parteiprogramme und dessen, was man vorhat, dann ist es, finde ich, auch ein Problem, dass Sie nichts mehr ankündigen und entscheiden können. Offensichtlich schafft man noch nicht mal mehr vier Jahre zwischen den Wahlkämpfen zu haben, weil es im Zweifelsfall Neuwahlen gibt und die Zeit noch kürzer wird, in der wir etwas tun könnten.

    Klein: Mit Blick auf 2002 haben Sie jetzt auch gesagt, dass der TV-Auftritt eine Gelegenheit gegeben hat, sich zu präsentieren. Die Ursachen aber für den Sieg der SPD, die lagen woanders?

    Brunst: Ja, also ich bin jetzt keine Parteiexpertin, ich bin Fernsehkritikerin, ich beobachte eben das Mediale daran. Aber ich hatte das Gefühl, beim zweiten Fernsehduell war Schröder etwas stärker und sicherer als beim ersten. Das alleine hätte aber die Wahl nicht entscheiden können. Er hatte noch andere Faktoren, dass er sich plötzlich in der Öffentlichkeit besser darstellen konnte, und diese Öffentlichkeit war außerhalb des Fernsehduells. Also ich glaube wirklich, man darf dieses Fernsehduell nicht zu hoch hängen, man hat aber ein Problem, wenn man nur eins hat, was wir bis jetzt noch nicht besprochen haben, was ich kurz erwähnen möchte, es gibt bis jetzt das duale System, es gibt ein Duell mit ARD und ZDF, also Christiansen und Illner, und es ist geplant eins mit RTL und SAT1, Klöppel und Kausch. Die werden auch unterschiedliche Fragen stellen und es werden unterschiedliche Duelle sein. Wenn man jetzt nur eins macht, dann hat man ein großes Problem auf Senderseite, was wird da eigentlich passieren? Ich glaube, die werden sich da die Butter nicht vom Brot nehmen lassen und versuchen, immer noch weiter diese beiden durchzusetzen.

    Klein: Vielen Dank für das Gespräch.