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Ferrero-Waldner erwartet Waffenstillstand im Nahen Osten

Peter Lange: Wenn die Intensität der internationalen Reisediplomatie ein Indiz für die Chancen eines neuen Nahost-Friedensprozesses sein sollte, dann sind diese Chancen offenbar im Moment nicht so schlecht. Condoleezza Rice, die neue US-Außenministerin, war in den letzten beiden Tagen in Jerusalem und Ramallah. Der französische Außenminister Barnier hält sich in der Region auf und auch die Europäische Kommission zeigt Flagge in einem Moment, in dem es zumindest wieder den Hauch einer Chance gibt, den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern einzudämmen. Denn heute kommt es in Scharm el-Scheich zum ersten Gipfeltreffen zwischen dem neuen Palästinenser-Präsidenten Mahmud Abbas und dem israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon. Am Telefon in Jerusalem begrüße ich nun Benita Ferrero-Waldner. Sie ist die EU-Kommissarin für die außenpolitischen Beziehungen. Schönen guten Morgen.

Moderator: Peter Lange |
    Benita Ferrero-Waldner: Schönen guten Morgen.

    Lange: Frau Ferrero-Waldner, man muss sicher jede Chance nutzen um dieses jahrelange mörderische Blutvergießen zu beenden aber wie groß oder wie klein ist diese Chance im Moment wirklich?

    Ferrero-Waldner: Nach den gestrigen Gesprächen mit dem Premierminister Scharon und mit dem neuen gewählten Präsidenten Mahmud Abbas, die ja sozusagen gerade dabei waren, fast ins Flugzeug nach Scharm el-Scheich zu steigen, bin ich sehr ermutigt. Es haben wirklich beide Seiten sehr mutige Schritte aufeinander zu getan, und ich hoffe, dass heute beim Gipfel in Scharm el-Scheich, und ich bin sehr optimistisch, ein Waffenstillstand zustande kommen wird.

    Lange: Woran machen Sie diesen Optimismus fest und den Willen der beiden Seiten, sich zu verständigen?

    Ferrero-Waldner: Nun, an den Aussagen der beiden und an den Taten in den letzten Tagen. Zum einen war es encouragierend zu sehen, wie Mahmud Abbas es gelungen ist, die verschiedenen Fraktionen der PLO zu einer Vereinbarung zu bringen, zu einer "Hudna". Und auf der anderen Seite, dass diesmal auch Premierminister Scharon darauf positiv reagiert hat, indem er eben angekündigt hat oder angedeutet hat, er könnte fünf Westbankstädte befreien, und auch sonst die Möglichkeiten angedeutet hat, zu diesem Treffen bereit zu sein und dabei beträchtliche Konzessionen zu geben.

    Lange: Bisher ist ja noch jeder Dialogansatz durch einen Terroranschlag im Keim erstickt worden. Meinen Sie, das wäre diesmal anders?

    Ferrero-Waldner: Das kann man natürlich nie voll ausschließen. Aber ich habe gestern Abend, als ich Präsident Abbas hier gesehen habe, einen durchaus ermutigten Mann gesehen, der hofft, dass er hier einen nationalen inneren Konsens geschafft hat. Wir müssen alles dafür tun, damit dieser Friedensprozess endlich beginnen kann und das wäre wirklich ab heute, ab diesem Treffen.

    Lange: Frau Ferrero-Waldner, die EU hatte, zusammen mit den USA, der UNO und Russland einen Friedensplan erarbeitet, der bekannt geworden ist unter der Bezeichnung "Roadmap". Ist das weiterhin und ohne Abstriche die Basis für einen Friedensvertrag und eine Zweistaatenlösung?

    Ferrero-Waldner: Ja, für uns ist es weiterhin die Basis und Premierminister Scharon hat dieses Wort gestern auch klar in den Mund genommen. Es muss eben jetzt Scharm el-Scheich der Start sein, wieder in die Roadmap einzudrängen und dann am Ende doch die zwei Staaten, Palästina und Israel, als lebensfähige Staaten nebeneinander zu haben, und zwar in sicheren Grenzen.

    Lange: Aber US-Präsident Georg Bush hatte ja diesen Plan durchaus zugunsten der Israelis verwässert, wenn man das so sagen kann, wie ihm ja überhaupt die Rolle des ehrlichen Maklers von den Palästinensern nicht mehr abgenommen wurde. Welche Signale haben Sie da von der neuen Außenministerin?

    Ferrero-Waldner: Ich denke, dass Condi Rice hier durchaus klar aufgetreten ist, auch mit festen, eindeutigen Botschaften, und der nächste Schritt für Premierminister Scharon jetzt wirklich ist, diesen Abzugsplan aus Gaza verwirklichen zu lassen, als ersten bedeutenden Schritt in dieser Roadmap.

    Lange: Wie muss man sich denn in einem neuen Dialog nun die Arbeitsteilung zwischen den USA und der Europäischen Union vorstellen?

    Ferrero-Waldner: Wir sind beide in dem so genannten Quartett. Ich bin selber seit letztem Dezember in Scharm el-Scheich Mitglied in diesem Quartett und wir sind nicht nur aktiv im politischen Bereich, sondern wir sind auch aktiv natürlich als größter Geber. Und gerade gestern habe ich auch bereits mit dem Palästinenserchef gesprochen, wie wir in Zukunft hier unsere Mittel einsetzen werden, damit wir das Leben der Palästinenser erleichtern. Zum einen, indem wir sozusagen Basisversorgung verstärken, zum anderen, indem wir helfen auch über die UNHCR, die Flüchtlingsorganisation der Vereinten Nationen, und zum dritten, indem wir auch andenken, Infrastrukturprojekte zu finanzieren. Ich denke hier zum Beispiel als Möglichkeit an den Seehafen, allerdings dann, wenn die entsprechenden Rahmenbedingungen gegeben sind, das heißt unter anderem auch eine gewisse Freizügigkeit der Bewegung von Personen und auch von Gütern.

    Lange: Die Europäische Union hat ja auch früher den Aufbau in den Palästinensergebieten unterstützt und vieles von dem, was die EU bezahlt hat, liegt inzwischen wieder in Trümmern. Welche Garantien haben Sie denn, dass beim nächsten Rückschlag diese Projekte nicht aufs neue zerstört werden?

    Ferrero-Waldner: Nun, ich habe selbstverständlich dieses Thema auch mit Premierminister Scharon angesprochen. Und ich erwarte, dass hier Zusicherungen kommen von der israelischen Seite, dass das, was die Europäische Union und hier die Kommission vor allem wiederaufbauen würde, nicht wieder zerstört wird. Die Botschaft ist grundsätzlich angekommen, aber wir müssen selbstverständlich darüber noch weiter sprechen.

    Lange: Jeder Kompromiss in diesem Prozess verlangt von beiden Seiten Unerhörtes. Von Israel zum Beispiel die Räumung von Siedlungen, von den Palästinensern das Einlenken der Frage der Rückkehr der Flüchtlinge. Wie zuversichtlich sind Sie, dass jetzt gelingt, was fünf Jahre nicht gelungen ist, dass wirklich ein Prozess des Umdenkens auf beiden Seiten tragfähig begonnen hat?

    Ferrero-Waldner: Ich würde sagen, wir müssen Schritt für Schritt voran gehen. Der erste Schritt, der heute gesetzt werden wird, wird wieder mit der Roadmap beginnen. Das heißt, auf der einen Seite darf es keine Gewalt geben, auf der Seite der Palästinenser. Auf der anderen Seite muss Israel das eben mit positiven Schritten auf der Seite der Möglichkeit, den Palästinensern eine Verbesserung der Lebenskonditionen zu geben, zurückgeben. Dann erst wird es weitergehen und der nächste große Schritt ist die Vorbereitung des Disengagement-Plans, also des Abzugsplans aus Gaza, der ja in sich schon nicht einfach ist und das müssen wir positiv begleiten und auch die Palästinenser müssen hier positiv mitwirken. Das sind die nächsten Schritte, dann können wir weitersehen.

    Lange: Frau Ferrero-Waldner, wenn jetzt mit Mahmud Abbas das gelingen sollte, was mit Arafat nicht geklappt hat, haben dann diejenigen Recht, die am Ende immer gesagt haben, Arafat ist daran Schuld?

    Ferrero-Waldner: Arafat war sozusagen die Identifikation des palästinensischen Volkes. Abbas ist der Mann, der lange schon im Hintergrund verhandelt hat. Ich glaube, es hängt oft auch an der Persönlichkeit eines Mannes, der sich zurücknehmen kann und der für den Frieden voran schreiten kann. Ich glaube, Mahmud Abbas ist der Mann.

    Lange: In den Informationen am Morgen war das Benita Ferrero-Waldner, die EU-Kommissarin für außenpolitische Beziehungen.