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Fest der Ehre

"Puja" ist Sanskrit und bedeutet soviel wie "Verehrung", "Ehrerweisung" oder einfach nur: "Fest". Jedes Jahr Ende September, Anfang Oktober wird in Kalkutta, der Hauptstadt von Westbengalen, Durga Puja gefeiert, das Fest zu Ehren der Göttin Durga. Es ist die wichtigste Festivität im Lande und kommt vom Stellenwert her den Weihnachtsfeiertagen hierzulande gleich.

Von Vera Linß | 27.12.2009
    Der Überlieferung nach hat Durga den Büffeldämon Mahishasura bezwungen, der die Erde bedrohte. Nur eine Frau war in der Lage, ihn zu besiegen und deshalb schufen die Götter Durga. Sie versahen sie mit den notwendigen Waffen: einem Dreizack, glänzenden Strahlen, einem Schwert und einem Löwen zum Reiten. Durga zog in den Kampf gegen den Mahishasura, der ihr in verschiedenen Gestalten entgegentrat - als Löwe, Elefant und Büffel. Schließlich überwältigte sie ihn. Sie hackte ihm den Kopf ab, aus dem der Dämon in Menschengestalt herauskroch und vernichtete ihn. Seither wird Durga als Schutzgöttin Kalkuttas verehrt und kehrt jedes für ein paar Tage symbolisch in ihr Zuhause zurück. Vera Linß hat die Feier miterlebt.


    Kalkutta im September. Es ist Abend, doch von Dunkelheit keine Spur. Zu Durga Puja wird in Kalkutta die Nacht zum Tag gemacht. Die Straßen sind hell erleuchtet von Lichterketten und vollgestopft mit Bussen, Autos und Fußgängern. Unzählige Menschen sind unterwegs, herausgeputzt in neuen Anzügen und bunten Saris, dem traditionellen Kleidungsstück der indischen Frauen.

    "Durga Puja ist die wichtigste Puja, wird auch in anderen Teilen Indiens gefeiert, auch in Nepal, aber eben ganz besonders in Kalkutta. Das ist ein Fest, was alle Bevölkerungsschichten ergreift und über mehrere Tage geht und sehr intensiv erlebt wird und durchlebt wird hier", "

    sagt Reimar Volker, der in Kalkutta das Goethe-Institut leitet.

    Die Puja wird nach dem hinduistischen Mondkalender ausgerichtet. Sie beginnt am ersten Tag nach dem Neumond im September und geht über zehn Tage. Aber erst zum Schluss wird intensiv gefeiert, erklärt uns die Kalkuttanerin Pinki Kenworthy.

    " "Es ist das wichtigste Fest Bengalens und es geht über vier Tage. Es ist wie Karneval. Die Straßen sind voller Menschen und alle tragen neue Kleidung. In den Familien und zwischen Freunden werden Geschenke ausgetauscht. Es ist wie Weihnachten. Das ist wirklich vergleichbar."

    Der überwiegende Teil des Festes spielt sich auf der Straße ab. Die ganze Stadt ist geschmückt. Überall stehen sogenannte Pandals, die Hauptattraktion der Durga Puja. Pandals sind Tempel, die aus Bambusstöcken und Stoff errichtet werden - nur für die Dauer des Festes. Manche von ihnen sind über zehn Meter hoch und sehen aus wie richtige Häuser. In jedem dieser farbenprächtigen Provisorien steht eine Durga-Figur, an ihrer Seite andere Götter: Ganesha, der Beseitiger der Hindernisse, Lakshmi, die für Reichtum steht, oder Saraswati, die Göttin der Künste. Sie alle bilden im Pandal den Altar.

    "Man hat ja auf der einen Seite die Leute, die in diesen alten Palästen wohnen, wo ganz explizit Altarräume vorgesehen sind für solche Fälle. Aber es gibt eben auch die Leute, die in etwas einfacheren Gegenden wohnen, die bauen sich dann eben so einen Tempel. Und drum herum, je nachdem, wie groß das ist, das ist also auf Fußballplätzen, auf anderen großen Plätzen. Das hat dann eher Rummelcharakter. Aber diese Pandals sind oft auch ein bisschen Themen orientiert. Aztekisch oder altes Ägypten oder es gab jetzt einen Pandal, das ist einem Viva Bird nachempfunden. Das ist ein Vogel, der so wie aus Bast sich ein Netz webt, so n rundes Nest und da hat man ein ganzes Pandal aus Seilen genauso gestaltet. Das ist teilweise sehr originell."

    In Gruppen ziehen die Kalkuttaner tagelang von Pandal zu Pandal, um die Bauwerke zu bewundern. Pandal-Hopping wird das genannt. Es wird gegessen, gefeiert, gesungen. Musik dröhnt aus riesigen Lautsprechern.

    Der Höhepunkt des Festes ist die sogenannte Immersion. Dann werden an den rituellen Badestellen des Hugli die Figuren ins Wasser geworfen. Wir machen uns auf, um die Zeremonie vom Wasser aus zu beobachten. Reimar Volker:

    "Wir machen gleich eine Bootsfahrt auf dem Hugli, das ist ein Nebenarm vom Ganges, also auch ein heiliger Fluss. Wir fahren ein bisschen flussaufwärts. Und da gibt es ja die verschiedenen Brücken hier, die sehr schön sind und sehr schön illuminiert werden. Und dann gibt es diese Gats, die sogenannten Gats. Das sind rituelle Badestellen, die benutzt werden, um die Figuren ins Wasser zu lassen. Und die schwimmen da ein bisschen mit und tauchen die Figuren ein in das Heilige Wasser und verabschieden sich bis zum nächsten Jahr von den Durga-Figuren."


    Zuvor werden die Puppen aus den Pandals getragen und auf Sattelschlepper geladen. Jeder Pandal mit seinen Götterfiguren gehört zu einer Nachbarschaftsgruppe. Das Geld für den Tempel wird in den jeweiligen Gemeinschaften gesammelt. Ein Komitee wacht über die Finanzen. Je mehr ein Pandal-Komitee eintreiben konnte, desto opulenter fallen der Pandal und die Figuren aus. Das kann mitunter Zehntausende Rupis kosten, das ist mehr, als das Monatsverdienst eines Arztes.

    Die Nachbarschaftsgruppe fährt dann das Figurenensemble zum Fluss. Wenn es soweit ist, sind Kalkuttas Straßen voll mit Karawanen von Lastwagen. Ausgewählte Mitglieder dürfen schließlich die Puppen in den Fluss werfen.

    "Das ist ein richtiges Hallo dort. Man sieht also die Menschen, die hinter den Absperrungen stehen, die Polizei koordiniert das. Bis ins feinste Detail werden richtige Slots vergeben, wie die einzelnen Figuren zu Wasser gelassen werden. Und dann werden die da rein getragen und einige der, wahrscheinlich so eine Art Komiteemitglieder, oder besonders wichtige Leute aus den Bezirken können da mitlaufen und benetzen dann auch die Figur mit dem Wasser und schubsen sie noch mit in den Fluss hinein. Also ich finde faszinierend, wie in einer Stadt, in einem Land, wo sich die Ordnung und Systematik sich einem Europäer nicht auf den ersten Blick erschließt, solche Sachen dann unglaublich gut organisiert sind. Das ist verblüffend. Das hat was sehr Friedliches, aber dennoch gibt es unglaublich viele Menschen, die unterwegs sind."

    Mit den Durga-Puppen hat es eine spezielle Bewandtnis.

    "Die Figuren sind ja aus dem Schlamm selbst gemacht, aus dem Fluss. Das ist ja auch diese Vorstellung des Zyklus, des Kreislaufs. Sie werden in einem Viertel in Kalkutta, in Kumatuli gibt es eine richtige Gruppe von Künstlern, die das ganze Jahr über mit einer unglaublichen Hingabe zu allen Festen diese Figuren erstellen. Und dann werden sie dort meistens an so einer Art Gestell aus Stroh und Holz wird dieser Schlamm geformt. Dann werden sie noch bemalt und geschmückt. Und das einzige Problem - wir haben auch gerade mit jemandem gesprochen von der Polizei - ist, dass diese Ölfarben und die anderen Sachen, mit denen die Figuren behangen werden, eine ganz starke Umweltbelastung darstellen für den Fluss, der ja ohnehin schon ziemlich gebeutelt ist, sodass man auch - da gibt es bestimmte Stellen, das sieht man dann von hier aus, wo dann bestimmte Sachen abgenommen werden, damit die nicht in den Fluss geschmissen werden müssen. Aber die Ölfarben, mit denen die Figuren bemalt sind, ist natürlich eine riesen Belastung. Etwas flussabwärts gibt es dann auch Stellen, wo die Figuren wieder eingesammelt werden und gewissermaßen recycelt werden. Dann sieht man, dass da ein bisschen was schon weggeschmolzen ist. Aber der Fluss verschlammt natürlich dadurch unheimlich. Wenn man sich vorstellt, wie Tausende von diesen riesigen Figuren rein geschmissen werden."

    Wir sind mit unserem Kutter auf dem Weg zu einer besonderen Immersion. Sie findet in Dakshineswar statt, direkt am Flussufer in einem nördlichen Vorort von Kalkutta.

    "Also wir sind an einer großen Anlage. Das ist ein Ashram von Rama Krishna. Rama Krishna ist eine sehr wichtige Figur in der bengalischen Renaissance im 19. Jahrhundert. Das ist so eine Art Orden, der sehr viel für Bildung getan hat und unterrichtet hat. Und einer der Jünger, Swami Wiwikananda, hat hier gelebt und unterrichtet und das ist eine wunderbare Anlage. Eine Art Tempelanlage, aber auch ein Ashram. Ashram heißt auf Indisch eigentlich Dorf oder so eine Lernstätte. Man sieht eben sehr schön diese Tempelanlage hier aus dem 19. Jahrhundert. Sehr schön erhalten auch und rechts davon dieses riesige Pandal, also dieser vorübergehende Tempel, der so im Trompleu-Prinzip aus Bambus und Stoff sehr kunstvoll gestaltet ist und auf den ersten Blick gar nicht als solcher zu erkennen ist, dass das hier so eine Art temporäre Struktur ist. Und jetzt gibt es ein bisschen Feuerwerk auch und wir warten jetzt alle darauf, dass die Durga aus dem Pandal an den Fluss getragen wird."

    Wie bei einer Operninszenierung wird das Figurenensemble schließlich in den Fluss getaucht. Hunderte Schaulustige verfolgen das Spektakel vom Wasser und von Land aus. Tief in der Nacht fahren wir zurück.

    Am nächsten Abend sehen wir uns die Durga-Zeremonie von Land aus an. Noch immer gibt es Tausende von Durga-Puppen, die noch nicht dem Hugli übergeben worden sind.

    "Wir sind hier am Babu Gat, dem größten Strand in Kalkutta und die einzelnen Figuren werden jetzt von den Sattelschleppern runter getragen, von dem Dorfkomitee mit Helfern auf riesigen Bambusstangen. Teilweise sind die also fünf, sechs Meter hoch und mit unzähligen Helfern werden sie erst zum Wasserrand gebracht und dort dann sieben Mal gedreht, das ist der Brauch, sieben Mal. Bevor sie dann direkt zum Wasser runter geschleppt werden buchstäblich und dann rücklings ins Wasser gelassen werden."

    Das Babu Gat ist abgesperrt. Nur Polizisten, Journalisten und wenige Offizielle dürfen sich dort aufhalten. Hinter den Absperrungen drängen die schaulustigen Massen. Immer wieder fahren Lastwagen heran, die Durga-Puppen bringen. Die Luft ist erfüllt von traditionellen Shehanai- und Trommel-Klängen, mit der die Musiker den Transport der Figuren begleiten.

    In kleinen Grüppchen warten die Puppenträger hinter den Absperrungen darauf, die Badestelle betreten zu dürfen. Der Ansturm ist riesig. Damit das Gedränge nicht zu groß wird, wird den Puppenträgern, Gruppen von bis zu zwanzig Männern, nur nach und nach der Zutritt zur Badestelle gestattet. Überall steht Polizei. Rund 20.000 Männer und Frauen in Uniform sind zu Durga Puja in ganz Kalkutta im Einsatz. Unter ihnen Bina Sen. Die Anfang-50jährige ist im Hauptberuf Rezeptionistin im Goethe-Institut von Kalkutta, hier ehrenamtlich tätig.

    "Im Grunde gehören wir zur Polizei von Kalkutta. Der einzige Unterschied ist, dass wir nicht bezahlt werden, wir machen das alles freiwillig. Ein Ehrenamt sozusagen, so etwas gibt es ja auch in Deutschland. Wir haben Einsätze das ganze Jahr über, ein bis zweimal die Woche, normalerweise. Und zu Durga Puja haben wir Extra-Schichten."

    Das Gedränge an den Absperrungen ist riesig. Jeder will sehen, wie die Götterfiguren ins Wasser getaucht werden. Über Lautsprecher mahnen die Ordnungskräfte, den Platz für nachrückende Schaulustige freizumachen.

    "Er sagt: Bitte räumt die vorderen Reihen. Geht nach hinten und holt euch was zu essen. Damit auch andere Menschen nach vorn kommen und die Immersion sehen können."

    Unten am Wasser gibt es einen Tumult. Offenbar ist einer der Puppenträger gestürzt.

    "Manchmal kommt es vor, dass die Figuren anstatt ins Wasser auf die Träger fallen. Wenn, so wie jetzt gerade, die Person in der Mitte stecken bleibt, sterben manchmal auch Menschen. Manchmal ertrinken sie im Wasser. Solche Unfälle gibt es."

    Glücklicherweise ist alles gut gegangen. Was auffällt, ist, dass es keine Frauen unter den Puppenträgern gibt, nur Männer.

    "Sie haben die Kraft, also sollen sie das übernehmen. Wir haben es nicht so gern, dass Frauen mit dabei sind, aus dem einfachen Grund, weil dann mehr Unfälle passieren. Weil sie nicht so kräftig sind, wie die Männer. Darum nehmen wir nur Männer, denn die Kraft ist bei den Männern."

    Ununterbrochen drängen die Gruppen mit den Götter-Figuren ans Wasser. Bis in die frühen Morgenstunden dauert die Immersion an, bis sich alle von ihrer Schutzgöttin verabschiedet haben. Am nächsten Tag geht die Zeremonie weiter - bis alle Durga-Puppen wieder ihrem Ursprung zugeführt wurden, dem Heiligen Hugli und dem Schlamm, aus dem sie gemacht wurden.

    Dann wird es wieder ruhiger in Kalkutta. Die Pandals sind verschwunden, am Flussufer liegen Überreste der Puppen - Bambusgestelle, umflochten mit Stroh, die bei der nächsten Puja wieder verwendet werden, wie Reimar Volker erklärt:

    "Die nächste Feier ist ja nie weit. Es gibt das ganze Jahr verteilt immer Pujas und diese Künstler in Kumatuli leben ja auch davon, dass das ganze Jahr über immer diese Figuren hergestellt werden müssen. Und können dann zurückgreifen auf Gestelle, die sie aus dem Fluss geholt haben."

    Doch bis zur nächsten - einer kleineren Puja -, die schon knapp drei Wochen später ansteht, kehrt erst einmal der Alltag zurück.