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Fester als Stahl, leitfähig wie Gold

Materialforschung. - Schwerelos scheint die Lampe über dem Buch zu schweben, erst auf einen genaueren Blick hin bemerkt man die feinen Drähte, die sie halten und mit Strom versorgen. Es sind Fasern aus Kohlenstoff-Nanoröhrchen, die mehr als 20 Jahre nach ihrer Entdeckung, ein gutes Stück in Richtung Anwendung zurückgelegt haben. In der aktuellen "Science" ist der jüngste Schritt auf diesem Weg veröffentlicht. Der Wissenschaftsjournalist Ralf Krauter berichtet im Gespräch mit Monika Seynsche darüber.

Ralf Krauter im Gespräch mit Monika Seynsche | 11.01.2013
    Seynsche: Herr Krauter, was ist so toll an diesen Fasern?

    Krauter: Es sind die Zutaten, Frau Seynsche. Diese Fasern bestehen nämlich aus Kohlenstoff-Nanoröhren. Das ist so ein Wunderwerkstoff, den man 1991 entdeckt hat. Makkaroni aus Kohlenstoff war eins der Schlagworte dafür. Ein Tausendstel eines Haares sind die nur breit, diese Makkaroni, und ein Millimeter bis ein Mikrometer lang. Und die Fachwelt war schon damals elektrisiert, weil diese Kohlenstoff-Nanoröhrchen extrem stabil sind, zehnmal stabiler als Stahl und dabei hervorragende Strom- und Wärmeleiter. Weil das alles so beeindruckend ist, kam man relativ schnell auf die Idee: Wäre doch toll, wenn man diese Winzlinge zu größeren Einheiten zusammenbasteln könnte, also zum Beispiel zu Fasern, die dann hoffentlich ähnlich fantastische Eigenschaften haben. Seit über zehn Jahren tüfteln Materialforscher nun genau daran. Und jetzt gab es zumindest einen kleinen Durchbruch. Dieses schwarze Garn, was da heute im Fachmagazin "Science" präsentiert wird, das ist tatsächlich so etwas wie die langersehnte Superfaser. Das kann man schon sagen. Extrem stabil, ein hervorragender Strom- und Wärmeleiter. Und das genau illustriert dieses Bild, dass Sie gerade erwähnten, von der aufgehängten Lampe: die Drähte sind so fein, dass sie gar nicht zu sehen sind.

    Seynsche: Aber warum hat es so lange gedauert? Zehn Jahre sind ja eine enorme Zeit?

    Krauter: Diese Kohlenstoff-Nanoröhrchen sind sozusagen die Primadonnen unter den Werkstoffen, sehr sensibel, extrem schwer zu handhaben. Das Problem ist: Die klumpen ganz schnell zusammen und sind dann unbrauchbar. Und aus diesem Grund hat man nach der Entdeckung 1991 ungefähr zehn Jahre gebraucht, um überhaupt Prozesse zu entwickeln, mit denen man diese Stoffe im industriellen Maßstab herstellen kann. Das kann man jetzt seit ungefähr zehn Jahren und seitdem versucht man den nächsten Schritt zu gehen, nämlich Myriaden von diesem winzigen Röhrchen zu größeren mikroskopischen Fasern zusammenzubasteln. Das entpuppte sich noch einmal als irrsinnig schwierig. Wenn man nämlich diese tollen Eigenschaften, die man auf mikroskopischer Ebene hat, auf der größeren Faserebene halten will, dann muss man diese Röhrchen hoch parallel zusammenpacken und am besten so dicht, wie die Spaghetti in der Packung Spaghetti. Um das zu erreichen, hat man über Jahre ganz verschiedene Ansätze erprobt. Der jetzt vorgestellte Prozess, wet spinning also ein nasschemisches Spinnverfahren, das ist nicht ganz neu, liefert aber jetzt erstmals wirklich Eigenschaften und Ergebnisse, die viel besser sind als alles, was man bisher konnte. Also, ganz wichtig auch: Dieser neue Prozess sollte skalierbar sein, also im industriellen Maßstab anwendbar, um Mengen von diesen neuen Fasern herzustellen.

    Seynsche: Und wie funktioniert dieser Prozess? Was passiert da?

    Krauter: Ganz vereinfacht gesagt ähnelt das so ein bisschen einem Prozess, der auch bei der Herstellung von Aramid-Faser zum Einsatz kommt, also Kevlar wird zum Beispiel ähnlich hergestellt. Man startet mit einer Suspension von diesen Nanoröhrchen, die werden dann durch feine Poren gepresst, also diese Suspension mit den darin schwimmenden Nanoröhrchen. Und aus diesen Poren kommen dann eben Faserstränge raus, die werden getrocknet und auf Spindeln aufgewickelt. Das klingt jetzt alles ganz einfach, aber um diese hochparallele, dichte Packung zu winzigen Fasern zu erzielen, hat man also wirklich jahrelang an ganz verschiedenen Stellschrauben dieses Prozesses gedreht. Das Lösemittel optimiert, Zusätze optimiert, eine Prise Jod kam dabei noch ins Spiel. Also alles irrsinnig aufwändig. Das Ergebnis von Teamwork. Also neben den Forschern der Rice University in Houston waren noch welche aus Holland und aus Israel beteiligt. Und das Ergebnis dieser konzertierten Aktion sind eben Fasern, die zehnmal leitfähiger sind als alle bisherigen Fasern aus Kunststoff-Nanoröhrchen [der Gesprächspartner meint Kohlenstoff-Nanoröhrchen, die Redaktion]. Die leiten Strom so gut wie Kupfer, also die besten Leiter, so gut wie Kupfer und Gold, nur dass dieses schwarze Garn stabiler ist. Also ein Stoff, der das Beste aus allen Welten eigentlich, aus zwei Welten vereint.

    Seynsche: Klingt gut. Aber wozu hat man das entwickelt, also kann man damit machen?

    Krauter: Eine ganz wichtige Anwendung könnten dünnere Stromkabel für Elektronik aller Art sein. Denken Sie an Signalkabel, die zum Beispiel beim Flugzeug die Sensordaten ins Cockpit oder zum Rechner führen. Da kommen heute Drähte aus Kupfer, Gold oder Alu zum Einsatz. Die kann man nicht zu dünn machen, weil diese sonst brechen. Mit dem neuen Material könnt man diese Drähte viel dünner machen und zum Beispiel Gewicht oder Platz einsparen. Eine andere ganz wichtige Anwendung: intelligente Materialien. Denken Sie an Faserverbundwerkstoffe, mit eingebauten Sensoren. Da könnte man völlig mit solchem Strom leitenden superstabilen Fasern künftig ganz neue Dinge machen. Denken Sie an Autos mit eingebauten Sensoren, in der Seitenwand. Materialermüdung würde sofort angezeigt. Also man darf davon ausgehen, dass sich reichlich Anwendung für diese Art von Superfaser finden werden.