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Festival des deutschen Films
Ort kinematografischer Entdeckungen

Das "Festival des deutschen Films" hat sich längst als feste Größe in der Filmbranche etabliert. Die Unterscheidung zwischen Kinofilm und Fernsehfilm spielt dabei zu recht keine Rolle mehr. Das Festival zeigt aber auch, dass es Ort für Entdeckungen geblieben ist. Die vergebenen Preise belegen dies.

Von Klaus Gronenborn | 05.07.2015
    Der Gewinner des Filmkunstpreises, Regisseur und Buchautor Tom Sommerlatte, freut sich am 04.07.2015 in Ludwigshafen bei der Preisverleihung während des 11. Festivals des Deutschen Films
    Der Gewinner des Filmkunstpreises, Regisseur und Buchautor Tom Sommerlatte. (picture alliance / dpa / Uwe Anspach)
    Den diesjährigen "Filmkunstpreis" erhielt verdientermaßen die Komödie "Im Sommer schläft er unten". Sie wird auch im Kino zu sehen sein. Dramaturgisch präzise und schauspielerisch bravourös zwischen angespannter Ruhe und Dramatik ausbalanciert, konfrontiert das Spielfilmdebüt von Regisseur und Drehbuchautor Tom Sommerlatte die beiden Bruder Matthias und David im französischen Ferienhaus der Familie. David ist der Musterjunge; wie sein Vater ist auch er Banker von Beruf. Sein Bruder Matthias ist das genaue Gegenteil: ein Lebenskünstler. Aus der Perspektive seines Bruders David ist er eher: Ein Parasit, der sich mit seiner französischen Freundin Camille und deren Sohn Etienne hier dauerhaft einquartiert hat und sich im Swimmingpool vergnügt.
    "Anstelle hier rumzualbern könntest Du mal den Rasen mähen. Es kann doch nicht sein, dass Papa Dir dein Rumhängerleben finanziert und Du noch nicht mal schaffst, die Wiese in Ordnung zu halten."
    David und seine kinderlose Frau Lena wollen im elterlichen Sommerhaus nur etwas ausspannen. Aber das wird gründlich schief gehen. Zunächst arrangieren sich die beiden Paare notgedrungen miteinander. Die Konfrontationen in diesem Brüderduell nehmen zu. Dramatischen Zuspitzungen folgen erotische Verstrickungen und sorgen für spannungsgeladene Dynamik, bis zuletzt dann doch einige Wahrheiten zwischen David und Matthias zur Sprache kommen, die sie einander in anderem Licht sehen lassen.
    Filme mit Autorenanspruch
    Längst und zu Recht spielt die Unterscheidung zwischen Kinofilm und Fernsehfilm beim "Festival des deutschen Films" keine Rolle mehr. Es bewies auch im elften Jahr erneut, dass Fernsehredaktionen als öffentlich-rechtliche Filmproduzenten fähig sind, Filme mit Autorenanspruch zu produzieren. Fernsehfilme, deren Bilder auch der visuellen Herausforderung einer großen Kinoleinwand vor jeweils 1.200 Zuschauern in den beiden Zeltkinos am Rheinufer standhalten. Prominentes Beispiel dafür war im vergangenen Jahr der "Tatort" mit Ulrich Tukur "Im Schmerz geboren" von Florian Schwarz. In diesem Jahr setzte die Redaktion Fernsehspiel und Spielfilm des Hessischen Rundfunks noch eins drauf - und wurde prompt erneut - diesmal gleichauf mit der Redaktion Kino und Serie des WDR für Rainer Kaufmanns Gender-Trouble-Melodram "Ich will Dich", mit dem "Medienkulturpreis" des Festivals ausgezeichnet.
    Der auf der Parkinsel uraufgeführte Tatort des Hessischen Rundfunks "Wer bin ich?" von Bastian Günther setzt nicht nur den Plot vor der Kamera, sondern auch die "Tatort"-Produktionsrealität hinter der Kamera selbstreferent aufs Spiel. Ein Meta-Tatort mit rhetorischen und visuellen Reminiszenzen an Federico Fellinis "Achteinhalb" und Francois Truffauts "Die amerikanische Nacht".
    Tukur ist Kandidat für einen kommenden Preis
    Ulrich Tukur, der bravourös verwirrt sowohl Ulrich Tukur als auch den LKA-Ermittler Felix Murot "spielt", wird sich bei seinem Rollen-Spagat zwischen Ermittler und Verdächtigtem irgendwann einmal selbst die titelgebende Frage "Wer bin ich?" stellen müssen.
    "Sag mal, was soll das Ganze hier?" - "Was meinst Du?" – "Ich meine, du bist doch ich.“ – "Ja, du machst mir Spaß – Ich bin du?" – Uli, ihr Schauspieler geht mir sowas von auf die Nerven mit eurem Gequatsche. Die Rolle hat 'n Eigenleben, der Murot ist ein eigenständiger Charakter. Man muss sich in ihn einfühlen... bla bla bla."
    Eleganter, so könnte man vermuten, hat sich noch kein Tatort-Kommissar aus diesem seit viereinhalb Jahrzehnten erfolgreichen Fernsehformat verabschiedet. Aber - Ulrich Tukur macht weiter, dreht bereits den nächsten "Tatort" und ist sicherlich Kandidat für einen kommenden "Preis für Schauspielkunst".
    Der ging in diesem Jahr an Corinna Harfouch und Mario Adorf. Der heute 84-jährige Adorf wurde in Ludwigshafen nach seinem Bühnengespräch über sein reiches Theater- und Filmleben in über 200 Filmen seit Mitte der 1950er-Jahre bis heute vom Ludwigshafener Publikum mit Standing Ovations gefeiert.
    Angesichts des hohen Anteils reiner Fernsehfilme auf der Ludwigshafener Parkinsel gilt dennoch: Das "Festival des deutschen Films" ist kein in das stimmungsvolle Zeltkino-Ambiente ausgewandertes Fernsehfestival. Es ist auch Ort kinematografischer Entdeckungen geblieben, die sich nicht so leicht in klassifizierende Film- oder Fernseh-Format-Schubladen stecken lassen.
    Gegen die Müdigkeitsgesellschaft
    Ein Beispiel dafür ist der Filmessay "Müdigkeitsgesellschaft - Byung-Chul Han in Seoul / Berlin", von der Filmkunstpreis-Jury mit einer Besondern Auszeichnung bedacht.
    Inspirationsquelle dieser Ein-Frau-Produktion der Videokünstlerin Isabella Gresser ist der Essay "Müdigkeitsgesellschaft" von Byung-Chul Han. Der Berliner Philosophieprofessor stellt in diesem schmalen Büchlein die These auf, dass jedes Zeitalter seine Leitkrankheiten habe. In der bakteriellen Epoche bis zum 21. Jahrhundert waren dies die viralen Infektionen. Heute aber sei es die freiwillige Selbstausbeutung, durch Barack Obamas Slogan "Yes we can" weltweit popularisiert.
    Gegen die "Müdigkeitsgesellschaft" der sich selbst ausbeutenden Subjekte setzt Byung-Chul Han die Utopie einer "erfüllten", nicht "erschöpften" Müdigkeit im Zeichen des Prinzips der Leere.
    Isabella Gresser inszeniert Byung-Chul Han als interkulturell ambulanten Philosophen und Entdecker der stillen Welt der Dinge. "Ohne Leere sind weder Philosophie noch Kunst möglich“ betont er und unterzieht auf seinen Streifzügen durch Berlin und Seoul den Westen einer östlich inspirierten und darum auch so höflich intonierten Kulturkritik aus taoistischer Perspektive.
    In seinem elften Jahr ist das “Festival des deutschen Films” endgültig zu einer festen Größe in der deutschen Filmbranche herangewachsen. Von den Regisseuren, den Schauspielern und dem Publikum, die hier stets ins intensive Gespräch kommen, gleichermaßen geschätzt.