Dienstag, 23. April 2024

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Festival "FilmPolska" in Berlin
"Der, der Geld gibt, ist immer ein Zensor"

In Berlin läuft das 13. FilmPolska-Festival, veranstaltet vom polnischen Institut. Das Programm zeigt vor allem Filme von jungen RegisseurInnen, weil sie am ehrlichsten erzählten, sagte Kurator Kornel Miglus im Dlf. "Die Jungen sehen mehr als die Altmeister, sie sind keck, frech und angstfrei."

Kornel Miglus im Corsogespräch mit Sigrid Fischer | 26.04.2018
    Filmszene: Eine Freu steht auf einer Wendeltreppe
    Filmszene aus "Man With the Magic Box", dem Festival-Beitrag von Bodo Kox, laut Kurator Kornel Miglus "einer der spannendsten polnischen Regisseuren der letzten Jahre" (Alter Ego Pictures)
    Sigrid Fischer: Polnische Filme erreichen nicht allzu oft deutsche Kinoleinwände, regelmäßig aber sieht man sie auf Festivals. Stammgast im Berlinalewettbewerb ist zum Beispiel Malgorzata Szumowska - auch dieses Jahr mit "Mud" vertreten, Agnieszka Holland sowieso. Im Canneswettbewerb wird im Mai "Cold War" von Pawel Pawlikowski laufen - vor drei Jahren hat er den Oscar gewonnen für "Ida". Und in Berlin hat man seit gestern Abend die Chance, noch viel mehr polnische Filme zu sehen: Das FilmPolska-Festival ist gestartet mit der 13. Ausgabe, veranstaltet vom Polnischen Institut Berlin, das kurz nacheinander zwei neue Leiterinnen bekommen hat, man könnte auch sagen: wo kurz nacheinander zwei Leiterinnen gefeuert wurden. Aber der Kurator des Filmfestes, der ist noch da: Kornel Miglus, guten Tag nach Berlin.
    Kornel Miglus: Guten Tag.
    Fischer: Ja, Filme aus den letzen zwei Jahren zeigen Sie auf diesem Festival. Welche Geschichten erzählt denn Polen so aktuell im Kino?
    Miglus: Das Kino erzählt immer das, was im Lande passiert. Also meistens sind das junge Leute, denn am Herzen liegt mir als Kurator immer junges Kino. Weil: Junges Kino, das ist das Kino, was über Polen am ehrlichsten erzählt. Und bald wird es die europäischen oder internationalen Leinwände erobern, oder hat sie bereits schon erobert. Die jungen Menschen sehen mehr als die Altmeister. Oder die Altmeister sind schon im System. Die Jungen sind keck, frisch und angstfrei, kann man sagen.
    "Es geht also um die Perspektive, wie man die Freiheit definiert oder missbraucht"
    Fischer: Ich habe speziell einen Titel gelesen in Ihrem Programm: "Playground" - dieser Film sei sehr kontrovers in Polen aufgenommen worden. Warum zum Beispiel?
    Miglus: Naja, die Geschichte ist, würde ich sagen, hart. Ich habe den Film in Gdynia beim Festival gesehen. Und viele Leute sind rausgegangen. Nach der Vorführung herrschte im Raum Stille. Es geht um Gewalt unter den Jugendlichen, fast auch in einem familiären Bereich. Und der Film ist sehr schonungslos. Es gibt auch solche Filme, und denen muss man auch eine Bühne bieten, weil dieser Schrei etwas erzählt.
    Wir haben noch länger mit Kornel Miglus gesprochen - hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
    Fischer: Ja. Also der hat nicht politisch gespalten, dieser Film, sondern wegen dieser Gewalt, die man sieht.
    Miglus: Ja. Man kann natürlich so einen Film als Kritik an der vorherigen Regierung von Platforma Obywatelska sehen, die völlig die sozialen Ausgaben gekürzt hatte und vernachlässigte - jegliche Form der Unterstützung. Dann kann man sagen: Hey, okay, da landet man, wenn man den Rand nicht mehr sehen will.
    Fischer: Sie haben ja auch viel historisches Kino. Dieses Jahr gerade "100 Jahre Unabhängigkeit". Und in Ihrem Programm lese ich: Dieses Thema bestimmt den polnischen Film eigentlich schon auch die letzten 100 Jahre, kann man sagen. Also da konnten Sie aus dem Vollen schöpfen, nehme ich an.
    Miglus: Es hängt davon ab, was man zeigt. "100 Jahre Kino" - also Kino ist ein bisschen älter als die neue Unabhängigkeit von Polen. Für mich war immer die Frage: Dass nach 123 Jahren Polen wieder auf die Europa-Karte zurückgekehrt ist, ist schön. Aber was ist die Unabhängigkeit? Was ist die Freiheit? Also ist das 1918, oder 1945? Oder ist das 1989? Oder ist es 2014? Es geht also um die Perspektive, wie man die Freiheit definiert oder missbraucht.
    Was uns interessiert hatte, das haben wir zusammen mit dem Deutschen Historischen Museum gemacht: die Stummfilme, also der Anfang des Kinos. Und diese Stummfilme zeigen für mich auf jeden Fall, diese Wiedergeburt von Polen im Jahr 1918. Wir haben uns überlegt: Wie macht man Stummfilm attraktiv? Mit jungen Künstlern, mit jungen Musikern werden die Vorführungen begleitet, also von ihrem Können und ihrer Musik.
    "Der Zuschauer findet immer politisch aktuelle Kontexte"
    Fischer: Jetzt haben Sie ja eben gesagt, viele junge Regisseure wählen Sie aus, weil die sich eben auch mit ihrer Lebenswelt auseinandersetzen, auch mit Polen aktuell auseinandersetzen. Heißt das also, sie setzen sich auch mit dem aktuellen nationalorientierten, konservativen Kurs dieser Regierung auseinander? Und zeigen Sie solche Filme, die auch vielleicht Kritik üben an der polnischen Regierung? Weil: Ich würde mir vorstellen, ein deutsches Publikum erwartet natürlich genau das, in der aktuellen Debatte, die so läuft.
    Filmstill: Zuschauer in einem Freiluft-Theater blicken auf eine Gruppe von Menschen auf der Bühne
    Verwackelte Bilder und die Nutzlosigkeit von Weltreisen: Marta Wójtowicz-Wcisłos Film "Touristen" ist eine Collage aus von Reisenden selbst gedrehtem Material (filmotor)
    Miglus: Einerseits muss man sagen: Die konservative Regierung ist seit zwei Jahren an der Macht. Einen Film zu produzieren, dauert mindestens drei Jahre. Das heißt: Es sind keine Reportagen, die in diesem Sinne eine Kritik üben. Aber in diesen Filmen übt man auch eine gewisse Gesellschafts- oder Kulturkritik, wie bei dem Film "Touristen", wo man aus selbst gedrehtem Material von Touristen einen faszinierenden Film über Zwecklosigkeit und Verzweiflung organisierter Weltreisen erzählt. Oder die Flucht in die Zukunft von Bodo Kox, von einem der spannendsten polnischen Regisseure der letzten Jahre - da kann man auch sagen: Okay, das ist auch eine Kritik. Weil: In seinem Film gibt es nur einen Radiosender. Und ein Zuschauer kann sich denken: Ach, mit dieser Übernahme der staatlichen Massenmedien … also der Zuschauer findet im Film immer politisch aktuelle Kontexte.
    Fischer: Ja, vielleicht nicht immer ganz direkt formuliert, aber sie sind dann da. Jetzt hat ja nicht nur das Polnische Institut Berlin, auch das Polnische Filminstitut in Polen hat einen neuen Leiter bekommen, der ja wohl den Blick darauf hat, was überhaupt produziert wird. Das heißt, wenn Sie sagen: Naja, die Filme kommen vielleicht noch, wo sich noch mehr auseinandergesetzt wird mit der Regierung. Das heißt: Vielleicht gibt es bald bestimmte Filme nicht mehr oder Filme zu bestimmten Themen. Also: Fürchten Sie da auch so ein bisschen eine Zensur, von der alle sprechen?
    Miglus: Der, der Geld gibt, ist immer ein Zensor - egal, ob es um kommerzielle Filme geht oder um weltkritische oder gesellschaftskritische. Mittlerweile hat das polnische Kino so einen guten Zustand erreicht, dass es auch im Interesse der Machthaber liegt, den Zustand weiter aufrecht zu erhalten - unabhängig davon, ob gerade eine konservative, kommunistische oder neoliberale Regierung an der Macht ist. Die Menschen sind seit Generationen in einer Gesellschaft großgeworden. Und das macht natürlich die Neurosen ziemlich resistent.
    Fischer: Gestern Abend ist das 13. Polnische Filmfest in Berlin, FilmPolska gestartet - geht bis zum 2. Mai. Kornel Miglus, künstlerischer Leiter, ich wünsche Ihnen dann mal ein tolles Festival!
    Miglus: Ja, danke schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.