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Festival
Hohes Opernniveau in Glyndebourne

Glaubhafte Darsteller, geschickte Inszenierungen und nicht zuletzt ein angehender großer Dirigent machen das Opern-Festival in Glyndebourne dieses Jahr zu einem vollen Erfolg - auf einem Niveau, mit dem nur wenige Festivals mithalten können.

Von Kirsten Liese | 01.07.2014
    Portrait der Sängerin Tara Erraught.
    Tara Erraught - über die charmante Titelheldin des "Rosenkavalier" wurde beim Opernfestival von Glyndebourne heiß diskutiert. (picture alliance / dpa / Frank Leonhardt)
    Mozart war erst 18 Jahre alt, als er seine "Gärtnerin aus Liebe" schrieb. Das Libretto um sechs Figuren wirkt etwas kompliziert und hölzern. Drei Akte lang brauchen sie, um nach allerhand Aufregungen mit ihren Liebsten zusammenzufinden. Doch tut das Opernfestival in Glyndebourne gut daran, "La Finta Giardiniera" erstmals in seiner 80-jährigen Geschichte auf die Bühne zu bringen. Denn die Partitur dieser Opera buffa ist immer wieder eine Entdeckung wert und mitnichten unausgegoren, wie ihr bisweilen nachgesagt wird. Vielmehr besticht sie mit melodischem Einfallsreichtum, lyrischem Feinsinn und Witz, wunderbar frisch einstudiert vom Orchestra of Enlightenment unter Robin Ticciati.
    Die Produktion in Glyndebourne beschert zudem den Glücksfall einer adäquaten Inszenierung. Eine elegante Rokoko-Ausstattung und lebendige, heutige Figuren stehen hier in keinem Widerspruch. Denn Regisseur Frederic Wake-Walker entfacht ein vergnügliches Kammerspiel um zärtliches Verlangen, Eifersucht und verletzte Eitelkeiten, bei dem übertriebene Gesten und leichte Anflüge von Ironie keineswegs fehl am Platz wirken. Ein großer Trumpf ist zudem die wunderbare Christiane Karg mit ihrem leuchtenden Sopran in der Titelrolle.
    Generell verstehen sich die Briten ausgezeichnet auf Mozart, wovon die wiederaufgenommene Erfolgsproduktion des Don Giovanni von 2010 ein weiteres Beispiel gibt. Der kanadische Bariton Elliot Madore verkörpert einen agilen, lässigen Draufgänger, dem man seine Erfolge bei Frauen abnimmt. In Kostüm und Maske erinnert er an italienische Kinohelden der 1950er Jahre.
    Heftige Diskussionen
    Die Vergänglichkeit ist stets allgegenwärtig in dieser dunklen Inszenierung von Jonathan Kent, die gleichwohl nicht geizt mit raffinierten szenischen Wechseln. Ein schwarzer geziegelter Würfel offenbart nach und nach seine Geheimnisse. Hinter seinen Türen verbergen sich mal eine romantische Burg, das Interieur einer Kirche, ein lichter Garten mit Bäumen und ein Ballsaal. Zum Ende hin wird es dann morbider, die Wände des Quaders brechen auseinander, über den Platten erhebt sich der Friedhof. Bei aller Düsternis sorgt jedoch eine stets lebendige Personenregie dafür, dass komische und erotische Momente nicht zu kurz kommen.
    Beim 80. Festivalsommer wurde in Glyndebournes herrlichen Gärten, in denen die Zuschauer während der langen Opernpausen traditionell picknicken, auch heftig diskutiert. Anstoß dazu gab die britische Presse, die nach der Eröffnungspremiere von Richard Strauss' "Rosenkavalier" die Titelheldin Tara Erraught ihrer etwas drallen, weiblichen Figur wegen zur Fehlbesetzung erklärte.
    Die Mezzosopranistin mag nicht dem Ideal einer androgynen Hosenrollen-Darstellerin entsprechen, aber ein "molliges Bündel Babyspeck" ist sie gewiss nicht. Neben ihren ausgezeichneten stimmlichen Qualitäten besitzt die junge Irin zudem Charisma, das der starken Personenregie von Richard Jones sehr zugutekommt. Die große Entdeckung innerhalb eines rundum vorzüglichen Ensembles ist die Marschallin von Kate Royal, die alles besitzt, was diese Partie ausmacht: feine lyrische Stimmgaben, Noblesse, Schönheit und Witz.
    Auf Paul Steinbergs Bühne verbindet sich erstaunlich stimmig Pop Art mit Stilelementen des Rokoko und Fin de Siècle. Bei alledem kann sich Glyndebourne glücklich schätzen, in dem Briten Robin Ticciati einen vielseitigen neuen musikalischen Leiter und würdigen Nachfolger für Vladimir Jurowski gefunden zu haben. Mit ihm steht ein angehender großer Strauss-Dirigent vom Format eines Christian Thielemann in den Startlöchern. Wenige andere Festivals bieten so viele Produktionen auf hohem Niveau.