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Festival "Tanz im August"
Aktueller Tanz in Berlin

Das Festival "Tanz im August" in Berlin hat begonnen: Rund 150 Künstler aus 20 Ländern zeigen ihre Arbeiten. Unter anderem wird eine Retrospektive auf die spanisch-schweizerischen Performance-Künstlerin La Ribot gezeigt sowie das Stück "Kalakuta Republik", das sich auf Fela Kutis Kommune bezieht.

Von Wiebke Hüster | 13.08.2017
    Theater Hebbel am Ufer (HAU) Berlin
    Das Festival ist eine Veranstaltung des HAU Hebbel am Ufer. (dpa/picture alliance/Paul Zinken)
    Musikalisch überzeugender als in dramaturgischer Hinsicht, so begann der "Tanz im August" 2017. Nach den Reden wie den ersten Aufführungen des Eröffnungswochenendes bleibt das Berliner Publikum mit zwiespältigen Eindrücken zurück. Nur schwer befreien kann man sich von dem Gefühl, alles, was mit Identität, Rasse und Geschlecht, mit Gender und Difference zu tun hat, sei ungeheuer kompliziert. Sehr viel komplizierter jedenfalls, als es Programme von Tanzfestivals reflektieren könnten, von einzelnen Produktionen ganz zu schweigen.
    Eine Menge hängt von sprachlichen Definitionen ab und man könnte meinen, dass die Sensibilität da besonders groß sein müsste bei Festival-Direktorin Virve Sutinen und ihrem Team. Stattdessen stürzt mit der Eröffnungsvorstellung im Hebbel-Theater in Kreuzberg gleich ein ganzes begriffliches Kartenhaus über einem Stück zusammen, das tänzerisch mitreißende Passagen enthält, dramaturgisch aber schlecht konzipiert und insgesamt schwach strukturiert ist.
    "Kalakuta Republik" und Fela Kuti
    "Kalakuta Republik" heißt das Stück des in Burkina Faso geborenen, seit 2002 in Europa arbeitenden Choreografen Serge Aimé Coulibaly. Es führe, so das Programmheft, "von der afrikanischen Revolution direkt in die globalisierte Gegenwart". Nichts dergleichen konnte man auf der Bühne erkennen. Und ist es falsch zu fragen, ob es nicht überheblich und ignorant ist, von afrikanischem Kontext und afrikanischer Revolution zu sprechen, wo es um Nigeria geht? Wir reden ja auch nicht über Amerika, als seien die Südstaaten und New York dasselbe?
    Der Stücktitel "Kalakuta Republik" bezieht sich auf die Kommune des weltberühmten, 1997 an Aids gestorbenen nigerianischen Musikers und Aktivisten Fela Kuti, dessen Mischung aus Funk, Jazz und afrikanischen Beats den Abend akustisch prägt. Fela Kuti benutzte Englisch statt Yoruba, weil er auf dem ganzen Kontinent verstanden werden wollte, hier im Hebbel-Theater werden Sprache oder Gesang nicht übertitelt. Wie Widerstandsbewegungen ausgelöst werden oder wie es nach einer Revolution weitergeht, fragt das Programmheft. Die Frage kann aber das dynamisch choreografierte, deutlich vom belgischen Tanztheater beeinflusste Stück nicht ansatzweise klären. Natürlich nicht.
    Retrospektive auf Performance-Künstlerin La Ribot
    So wenig wie die Retrospektive der spanisch-schweizerischen Performance-Künstlerin La Ribot und darin ihre sechsstündige Aktion "Laughing Hole" Erkenntnisse über Guantanamo liefert. Frauen in Slips, Kitteln und Flip Flops tragen Pappschilder mit Wörtern umher oder liegen hysterisch lachend mit ihnen am Boden, bevor sie sie an die Wand kleben. Wenn man die anderen Aufführungen des Wochenendes mit einbezieht, könnte man sagen, dass das Festival "Tanz im August" 2017 alles daran setzt, den Tanz begrifflich stets noch weiter aufzulösen. Sagen wir, es handelt sich um eine Situation, bei der ein zwischen 40 und 600 zugelassene Personen zählender Kreis sich um eine oder mehrere andere Personen versammelt und schaut, was passiert. Vieles ist da denkbar. Alexandra Bachzetsis zwängt sich in Latex, reicht ihr übelriechendes Latex-Glanzspray einem Zuschauer und lässt sich besprühen, bevor sie beginnt, zu posieren. Ihre Posen reichen von Sex-Stellungen zu Yoga-Haltungen, alle werden mit derselben gleichmütigen selbstbewussten Miene präsentiert.
    Später tanzt sie sehr schön etwas, das an griechische Männervolkstänze erinnert. Schließlich singt sie ein Lied. Die an der Scuola Teatro Dimitri ausgebildete Schweizerin Lea Moro zeigt in "Fun!" witzige Einfälle. Performer, deren Köpfe in Papp-Konstruktionen stecken, rutschen Rampen hinunter. Es wird gesungen und erzählt, dass man gern in Katzen-Nacken beißt, natürlich ohne beteiligten Katzen Schaden zuzufügen. Witzig. Es scheint, als würde diese zwischen Tanz, Performance, Bildender Kunst und Theater umherschlingernde Kunst nur noch aus kurzen, impulsartigen Bild-Reizen bestehen, ohne Übergänge, ohne Narrative. Ohne wirkliche Themen surft man so zwischen den Ideen umher und wischt dann weiter zur nächsten. Alles natürlich mit dem richtigen Bewusstsein, gender-, differenz- und revolutionsmäßig, ganz klar, und da möchte man dann, wenn man rauskommt, auch gleich mal die entsprechenden Wikipedia-Einträge lesen, damit man ein bisschen mehr weiß.