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Festival über Lebenskunst

Das Zusammenbringen von modernem Leben und ökologische Vernunft ist eine Kunst. Vielleicht gibt es aber kein richtiges Leben im falschen Damit hat sich jetzt das Festival "Über Lebenskunst" im Haus der Kulturen der Welt beschäftigt.

Von Frank Hessenland |
    So voller Menschen, so voller Ideen und Anregungen, so voller neuer überraschender ästhetischer Einblicke war das altehrwürdige Haus der Kulturen der Welt, das derzeit gegen eine Mittelkürzung von sechs Prozent für den Programmetat in 2011 kämpft, selten. Vier Tage lang boten 14 Umweltinitiativen Stände, 50 Künstler Performances, Gespräche, Filme, Konzerte, 35 Wissenschaftler und 15 Politiker Vorträge und Diskussionen auf allen Ebenen des Hauses vom Keller bis zur Terrasse an von zehn Uhr morgens bis drei Uhr nachts. Die Überforderung des Besuchers angesichts des Programmplans, das Verpassenmüssen wichtiger Dinge, war dabei im künstlerischen Konzept des Festivals ‘Überlebenskunst' bewusst angelegt, sagt Bernd Scherer, Leiter des Haus der Kulturen der Welt

    "Ich würde sagen, der zentrale ästhetische Ansatz .. .war, darauf zu verzichten, von Anfang an, dem Besucher Regeln an die Hand zu geben, was er tun soll, sondern dem Besucher vorzuführen: Möglichkeitsräume, so dass er selbst für sich überlegen kann: Was will ich tun?”"

    So konnte sich denn jeder aussuchen, ob er oben auf der Terrasse unter den drei Fahnenmasten in Sichtweite des Kanzleramtes eines von fünf Fahrräder betreiben wollte, die an Dynamos angeschlossen waren. Diese versorgten einen CD-Spieler und große Musikboxen mit Strom. Wer strampelt, kann tanzen.

    Alternativ lehrte unter dem geschwungenen Betondach der ‘schwangere Auster' genannten Kongresshalle eine Initiative die Grundlagen der Stadtimkerei. Am Nebentisch wurde spanische Käsekultur mit Berliner Milchprodukten vorgestellt. Im Teich vor dem Haus an der Bronzeskulptur von Henry Moore wuchs Salat auf schwimmenden Inseln.

    Innen im Foyer kraxelten Menschen durch einen Holzparcours mit einer Handvoll Klassenzimmergroßen Nischen und hörten in Workshops rein, in denen man T-Shirts selbst bedrucken kann, während im großen Saal gerade ein 12-Jähriger seine Erfahrungen im politischen Aktivismus vorstellte

    ""Da hatten wir alle Kinderrechte ins Grundgesetz T-Shirts an und.. haben dann demonstriert, (den Leuten, die in den Reichstag wollten, Buttons gegeben, wo der Slogan draufstand ‘ Kinderrechte ins Grundgesetz' als Zeichen, die gehen jetzt in den Reichstag und bringen es somit ins Gesetz.”)""

    Die Atmosphäre war heiter, das Ernährungskonzept beschränkte sich auf in der Region geerntete Nahrungsmittel, daher gab es keinen Kaffee und keine Cola; Begrenztheit der Ressourcen als konkrete Festivalerfahrung. Erfüllt von Ideen, was man nun im eigenen Garten oder Leben besser machen könnte, ging so mancher Gast nach Hause. Und alles wäre schick und schön gewesen, wenn nicht die Konferenz auch politische Antworten auf die Fragen nach der schmerzfreien gesellschaftlichen Umsetzung des Konzepts ‘Nachhaltigkeit' versprochen hätte. Moderatorin:

    ""Es geht um die eine große Frage: Wie werden wir künftig leben? Meine Damen und Herren, wir müssen reden und wir wollen reden! Herzlich willkommen, schön, dass Sie da sind zu unserer Veranstaltung ‘Über den Wohlstand, der ohne Wachstum wächst."

    Wie nun wohl Wachstum ohne wachsen, gehen soll. Oder wie weniger Energieverbrauch zu mehr Konsum, zu mehr Natur und mehr westlichem Wohlstand für alle in aller Welt führen soll, dafür hatten u.a. Soziologe Elmar Altvater, Politikberater Tom Jackson, Linken-Fraktionschef Gregor Gysi viele Worte, aber keine Antworten, weshalb so mancher Zuhörer die Dunkelheit des Raumes zum Schläfchen nutzte oder sich wieder zu den Imkern aufmachte. Die Flucht der Kunst vom Politischen ins Private sei eben der bestimmende Trend der gegenwärtigen kulturellen Szene auch auf eigentlich politischen Festivals wie der ‘Überlebenskunst', resümiert daher selbst Bernd Scherer Leiter des Haus der Kulturen der Welt:

    Ich würde mal behaupten, dass die Gesellschaft Anfang des 21. Jahrhunderts eine ist, also jedenfalls in Berlin, die nicht in dieser Größe denken möchte, sondern sich eigentlich vor dieser Komplexität zunächst mal zurückzieht. Also die Reaktion von kreativen Leuten auf Klimawandel, auf Finanzkrise usw. ist nicht, zu sagen: Wir machen ein großes gesellschaftliches Gegenmodell, da ist eine große gesellschaftliche Alternative Ideologie gegen das bestehende, sondern man zieht sich zurück in relativ ephemere Praxen und eigentlich die ästhetische Struktur von ‘Überlebenskunst' reflektiert genau dieses.”