August 2001. Das australische Fernsehen zeigt einen Horrorfilm. Die heimlich gedrehten, verwackelten Video-Aufnahmen stammen aus Villawood, einem Auffanglager für Asylbewerber. Ein verzweifelter Vater kauert am Boden eines fensterlosen Raums und hält seinen Sohn in den Armen. Der abgemagerte Junge starrt abwesend an die Decke. Seit Monaten hat das Kind nicht ein Wort gesprochen und kaum gegessen. Denn Shayan Badrachy wurde immer wieder Zeuge von Selbstmordversuchen und Hungerstreiks, Übergriffen der Aufseher und von Revolten der eingesperrten Flüchtlinge.
1999 aus dem Iran geflohen und von Menschenschmugglern nach Australien geschleust, sitzen die Badrachys 60 Monate lang hinter Stacheldraht. Doch der Videofilm aus dem Abschiebelager zeigt Wirkung. Eine Kommission entscheidet: Shayans Internierung habe die Menschenrechte des Kindes verletzt. Die Badrachys werden freigelassen und bekommen Aufenthaltsgenehmigungen. Jetzt, drei Jahre später, schreibt Shayan Justizgeschichte. Der heute Zehnjährige ist der erste Asylbewerber, der die australische Regierung wegen seelischer Grausamkeit auf Schadensersatz verklagt.
" Der Junge lebte in ständiger Furcht und vertraute niemandem mehr. Die Zustände in diesen Lagern sind systematischer Kindesmissbrauch", meint Psychologe Zachary Steel, "Die Regierung muss endlich für ihre unmenschliche Flüchtlingspolitik zur Rechenschaft gezogen wird. Die Bedingungen sind ein Alptraum. Alle Internierten sind traumatisiert - nicht wegen der Erlebnisse, die hinter ihnen liegen. Diese Menschen haben Angst vor der Zukunft."
Einen Sieg hat Shayan schon errungen, bevor das Verfahren überhaupt eröffnet wurde. Die Regierung kündigte überraschend an künftig keine Flüchtlingskinder mehr einzusperren, sondern mit den Eltern in Gemeindezentren unterzubringen. Grund war eine Studie der Vereinigung australischer Psychologen. Sie ergab, dass völlig gesunde Kinder wie Shayan schon nach Monaten in Lagerhaft geistig und psychisch schwer krank werden. Depression und stressbedingte Krankheiten traten zehnmal häufiger auf als bei anderen Kindern. Doch die Politik Asylsuchende weiter automatisch zu internieren, bleibt bestehen.
Der Slogan "Wir entscheiden, wer und unter welchen Umständen in unser Land kommt" stammt aus dem Jahr 2001. Für Regierungskritiker der Anfang vom Ende humaner Asylpolitik in Australien. Premier John Howard verweigert mehr als 400, überwiegend afghanischen Flüchtlingen an Bord des Frachters "Tampa" die Einreise und schiebt sie in die Südsee ab. Howard gewinnt dadurch die Wahl und verwandelt Australien in eine Festung: Die Navy patrouilliert die Küste, Flüchtlinge auf Menschenschmugglerbooten werden gezwungen wieder umzukehren, oder in Drittländer wie Nauru oder Papua Neuguinea gebracht. Nur nicht nach Australien.
" Wir sprechen hier ständig darüber, welche Menschen wir in Australien haben wollen", sagt eine Frau in Sydney, "Die Regierung erhöht ständig die Quoten für Einwanderer. Und wenn man bedenkt welche Opfer diese Flüchtlinge gebracht haben, nur um hierher zu kommen. Als Australierin denke ich: Es wäre wundervoll diese Leute hier bei uns zu haben."
Die Regierung gibt offen zu: Der Zweck heilige die Mittel. Vor vier Jahren saßen mehr als 4000 Flüchtlinge in insgesamt sechs Abschiebelagern im In- und Ausland, heute sind es nur noch etwa 400 - drei der Camps wurden inzwischen geschlossen. Australien hat Milliarden an Steuergeldern ausgegeben, um Asylsuchenden die Tür vor der Nase zuzuschlagen. Einwanderungsministerin Amanda Vanstone aber hält das Geld für gut angelegt.
" Vor drei, vier Jahren wollten sich Tausende illegal in Australien einschleichen. Jetzt nicht mehr. Und warum ? Weil wir Asylbewerber ins Ausland abschieben. Nichts hat mehr Wirkung gegen Menschenschmuggler. Denn es gibt keine Garantie mehr, dass es ein Flüchtling bis aufs australische Festland schafft."
Um Asylsuchende davon abzuhalten sich ein Bleiberecht in Australien einzuklagen, begann die Regierung sogar die Grenzen des Landes zu verändern. Obwohl australisches Staatsgebiet, wurden mehr als 4000 Inseln vor der Nord- und West-Küste des Kontinents zum Niemandsland erklärt und von der Einwanderungszone ausgenommen. Wer es nicht mehr aufs Festland schafft, hat demnach keinen Anspruch in Australien als Flüchtling anerkannt zu werden.
" Das sind die gleichen Spielchen wie vor ein paar Jahren - diese Politik ist einfach verfehlt", sagen zwei Passanten in Sydney, "Warum erklären wir nicht gleich ganz West-Australien und das Nordterritorium zum Ausland ? Das ist doch ein Witz. Jeder sollte überall in Australien die gleichen Rechte haben. Und nicht abhängig davon, wo man sich gerade aufhält."
Wer Land hergibt, der verliert an Boden. Nicht aber die australische Regierung.
Seit Asylsuchende aus den Augen und aus dem Sinn der Öffentlichkeit in entlegene Abschiebelager oder Drittländer gebracht werden, wird Premier Howards Flüchtlingspolitik kaum diskutiert. Seinen harten Kurs, vor allem gegen Asylbewerber aus Afghanistan, Irak und Iran, rechtfertigt er mit Gründen nationaler Sicherheit. Bürgerrechtler Frank Brennan hält die angeblichen Anti-Terror-Maßnahmen der Regierung für Fassade. Dahinter verberge sich nur Australiens schrittweise Abkehr von den Verpflichtungen der UN-Flüchtlingskonvention.
"90 Prozent aller Boots-Flüchtlinge der letzten Jahre wurden später als echte Asylbewerber anerkannt - und nicht einer stellte eine Bedrohung dar. Terroristen kommen nicht mit der Familie und auch nicht in einem rostigen Boot. Sie kommen per Flugzeug und mit einem Visum. Das sollte uns beunruhigen."
Menschenrechtsgruppen und die Oppositionsparteien fordern die Abschiebelager zu schließen und das, wie sie sagen, zynische Monopoly mit dem Leben Verzweifelter zu beenden. Bisher vergeblich. Es dauert immer noch Jahre bis die meisten Asylanträge bearbeitet sind. Doch neun von zehn Boots-Flüchtlingen, die man vor der Küste aufgegriffen hat, wurden auch als legitime Asylbewerber aufgenommen. Auch die von Bord der Tampa. Obwohl Australiens früher guter Ruf als offenes Einwanderungsland durch die strikte Asylpolitik der Regierung gelitten hat: Für Flüchtlinge, die versuchen durch die Hintertür nach Australien zu kommen, heißt es weiter: "Betreten verboten !"
1999 aus dem Iran geflohen und von Menschenschmugglern nach Australien geschleust, sitzen die Badrachys 60 Monate lang hinter Stacheldraht. Doch der Videofilm aus dem Abschiebelager zeigt Wirkung. Eine Kommission entscheidet: Shayans Internierung habe die Menschenrechte des Kindes verletzt. Die Badrachys werden freigelassen und bekommen Aufenthaltsgenehmigungen. Jetzt, drei Jahre später, schreibt Shayan Justizgeschichte. Der heute Zehnjährige ist der erste Asylbewerber, der die australische Regierung wegen seelischer Grausamkeit auf Schadensersatz verklagt.
" Der Junge lebte in ständiger Furcht und vertraute niemandem mehr. Die Zustände in diesen Lagern sind systematischer Kindesmissbrauch", meint Psychologe Zachary Steel, "Die Regierung muss endlich für ihre unmenschliche Flüchtlingspolitik zur Rechenschaft gezogen wird. Die Bedingungen sind ein Alptraum. Alle Internierten sind traumatisiert - nicht wegen der Erlebnisse, die hinter ihnen liegen. Diese Menschen haben Angst vor der Zukunft."
Einen Sieg hat Shayan schon errungen, bevor das Verfahren überhaupt eröffnet wurde. Die Regierung kündigte überraschend an künftig keine Flüchtlingskinder mehr einzusperren, sondern mit den Eltern in Gemeindezentren unterzubringen. Grund war eine Studie der Vereinigung australischer Psychologen. Sie ergab, dass völlig gesunde Kinder wie Shayan schon nach Monaten in Lagerhaft geistig und psychisch schwer krank werden. Depression und stressbedingte Krankheiten traten zehnmal häufiger auf als bei anderen Kindern. Doch die Politik Asylsuchende weiter automatisch zu internieren, bleibt bestehen.
Der Slogan "Wir entscheiden, wer und unter welchen Umständen in unser Land kommt" stammt aus dem Jahr 2001. Für Regierungskritiker der Anfang vom Ende humaner Asylpolitik in Australien. Premier John Howard verweigert mehr als 400, überwiegend afghanischen Flüchtlingen an Bord des Frachters "Tampa" die Einreise und schiebt sie in die Südsee ab. Howard gewinnt dadurch die Wahl und verwandelt Australien in eine Festung: Die Navy patrouilliert die Küste, Flüchtlinge auf Menschenschmugglerbooten werden gezwungen wieder umzukehren, oder in Drittländer wie Nauru oder Papua Neuguinea gebracht. Nur nicht nach Australien.
" Wir sprechen hier ständig darüber, welche Menschen wir in Australien haben wollen", sagt eine Frau in Sydney, "Die Regierung erhöht ständig die Quoten für Einwanderer. Und wenn man bedenkt welche Opfer diese Flüchtlinge gebracht haben, nur um hierher zu kommen. Als Australierin denke ich: Es wäre wundervoll diese Leute hier bei uns zu haben."
Die Regierung gibt offen zu: Der Zweck heilige die Mittel. Vor vier Jahren saßen mehr als 4000 Flüchtlinge in insgesamt sechs Abschiebelagern im In- und Ausland, heute sind es nur noch etwa 400 - drei der Camps wurden inzwischen geschlossen. Australien hat Milliarden an Steuergeldern ausgegeben, um Asylsuchenden die Tür vor der Nase zuzuschlagen. Einwanderungsministerin Amanda Vanstone aber hält das Geld für gut angelegt.
" Vor drei, vier Jahren wollten sich Tausende illegal in Australien einschleichen. Jetzt nicht mehr. Und warum ? Weil wir Asylbewerber ins Ausland abschieben. Nichts hat mehr Wirkung gegen Menschenschmuggler. Denn es gibt keine Garantie mehr, dass es ein Flüchtling bis aufs australische Festland schafft."
Um Asylsuchende davon abzuhalten sich ein Bleiberecht in Australien einzuklagen, begann die Regierung sogar die Grenzen des Landes zu verändern. Obwohl australisches Staatsgebiet, wurden mehr als 4000 Inseln vor der Nord- und West-Küste des Kontinents zum Niemandsland erklärt und von der Einwanderungszone ausgenommen. Wer es nicht mehr aufs Festland schafft, hat demnach keinen Anspruch in Australien als Flüchtling anerkannt zu werden.
" Das sind die gleichen Spielchen wie vor ein paar Jahren - diese Politik ist einfach verfehlt", sagen zwei Passanten in Sydney, "Warum erklären wir nicht gleich ganz West-Australien und das Nordterritorium zum Ausland ? Das ist doch ein Witz. Jeder sollte überall in Australien die gleichen Rechte haben. Und nicht abhängig davon, wo man sich gerade aufhält."
Wer Land hergibt, der verliert an Boden. Nicht aber die australische Regierung.
Seit Asylsuchende aus den Augen und aus dem Sinn der Öffentlichkeit in entlegene Abschiebelager oder Drittländer gebracht werden, wird Premier Howards Flüchtlingspolitik kaum diskutiert. Seinen harten Kurs, vor allem gegen Asylbewerber aus Afghanistan, Irak und Iran, rechtfertigt er mit Gründen nationaler Sicherheit. Bürgerrechtler Frank Brennan hält die angeblichen Anti-Terror-Maßnahmen der Regierung für Fassade. Dahinter verberge sich nur Australiens schrittweise Abkehr von den Verpflichtungen der UN-Flüchtlingskonvention.
"90 Prozent aller Boots-Flüchtlinge der letzten Jahre wurden später als echte Asylbewerber anerkannt - und nicht einer stellte eine Bedrohung dar. Terroristen kommen nicht mit der Familie und auch nicht in einem rostigen Boot. Sie kommen per Flugzeug und mit einem Visum. Das sollte uns beunruhigen."
Menschenrechtsgruppen und die Oppositionsparteien fordern die Abschiebelager zu schließen und das, wie sie sagen, zynische Monopoly mit dem Leben Verzweifelter zu beenden. Bisher vergeblich. Es dauert immer noch Jahre bis die meisten Asylanträge bearbeitet sind. Doch neun von zehn Boots-Flüchtlingen, die man vor der Küste aufgegriffen hat, wurden auch als legitime Asylbewerber aufgenommen. Auch die von Bord der Tampa. Obwohl Australiens früher guter Ruf als offenes Einwanderungsland durch die strikte Asylpolitik der Regierung gelitten hat: Für Flüchtlinge, die versuchen durch die Hintertür nach Australien zu kommen, heißt es weiter: "Betreten verboten !"