Sonntag, 05. Mai 2024

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Festung Europa: Werden Flüchtlinge in Europa angemessen empfangen?

Vom 30. August bis zum 7. September 2001 lädt die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte Mary Robinson in die südafrikanische Hafenstadt Durban ein: zur Weltkonferenz gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz. Es ist die dritte UNO-Konferenz zu diesem Thema und in Genf wird zur Zeit noch bis Freitag darüber verhandelt, wie das Schlussdokument von Durban aussehen soll. Über den Inhalt gibt es noch viel Streit. Denn die afrikanischen Staaten verlangen von den ehemaligen Kolonialmächten und Profiteuren der Sklaverei nicht nur eine Entschuldigung, sondern auch eine Entschädigung. Und arabische Staaten fordern, Israel wegen des Konfliktes mit den Palästinensern als rassistischen Staat zu verurteilen. Am Umgang mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt scheiterten bereits die beiden UN-Vorgängerkonferenzen 1978 und 1983: Damals nahmen die USA erst gar nicht teil, die Europäer verließen die erste Konferenz im Protest, auf der zweiten verweigerten sie dem Schlussdokument die Unterschrift. Doch es wird in Durban auch darum gehen, wie Diskriminierung bei uns zu begegnen sei. Als die Europäer vergangenen Oktober in Straßburg ihre Position für die Antirassismuskonferenz festlegten, gab ihnen die UN-Menschenrechtskommissarin die Mahnung mit, dass Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Europa ein ernstes Problem darstellten. Jule Reimer sprach in Genf mit der früheren irischen Staatspräsidentin. Sie fragte Mary Robinson, ob den europäischen Regierungen und Bürgern bewusst sei, in welchem Ausmaß Rassismus hierzulande auftrete.

09.08.2001
    Robinson: Ja, zunehmend. Die Straßburger Vorbereitungskonferenz hat dabei geholfen und der Prozess auf dem Weg nach Durban befördert dies auch, denn Nichtregierungsorganisationen sind einbezogen worden und man hat begonnen, eine globale Allianz gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu formen. Die Regierungen widmen diesem Thema auch wegen der Weltkonferenz eine größere Aufmerksamkeit. Und meiner Ansicht nach muss die Weltkonferenz wiederum auf nationaler Ebene Anstöße für den Umgang mit diesen Problemen geben.

    Reimer: Gibt es Ihrer Ansicht nach in Europa besonders gefährdete Minderheiten?

    Robinson: Bedeutsam ist, dass die Situation der Roma mit dieser Weltkonferenz sichtbar wurde und sie spüren dies auch. Einige haben gesagt: Jetzt ist das Schweigen endlich gebrochen, unsere Stimmen werden wahrgenommen, wir wollen uns in Durban beteiligen. Das gilt auch in meinem Heimatland Irland und für die Sinti. Und die Tatsache, dass der Handel mit schutzlosen Menschen ohne Ausweisdokumente wahrgenommen wird oder die Gefahr einer Festung Europa - all diese Themen erhalten mehr Aufmerksamkeit, weil in Durban die Konferenz stattfindet.

    Reimer: Sie haben in Straßburg vor einer Festung Europa gewarnt. Werden Flüchtlinge in Europa angemessen empfangen?

    Robinson: Nein, ich finde, jedes Land könnte noch mehr tun! Vielleicht beginnt es mit mehr Aufklärung der Öffentlichkeit, mit einer Herangehensweise, die es ermöglicht, Flüchtlinge und Asylsuchende von einer deutlich positiveren Seite zu sehen. Wir begehen jetzt den 50. Geburtstag der Hohen UN-Kommission für Flüchtlinge. Das UN-Flüchtlingshilfswerk hat dabei den Begriff "Respekt" in den Mittelpunkt gestellt, also nicht passive Toleranz, sondern das Bemühen um Verständnis, das dem Respekt vor den einzelnen Menschen innewohnt. Ich glaube, dass auf allen Ebenen mehr getan werden könnte, von Lehrern, von Kommunalpolitikern, in den Medien, um klarzumachen, wie die Menschenrechte gestärkt werden, wenn für Flüchtlinge und Asylsuchende ein Schutzrahmen besteht. Außerdem brauchen die Europäischen Staaten mit ihrer alternden Bevölkerung Zuwanderer, die ihnen dabei helfen, die Zukunft zu meistern.

    Reimer: Zu den herausragenden Konflikten bei der Vorbereitung in Genf und später in Durban gehört die Forderung der Afrikaner an die früheren Kolonialmächte und die Profiteure des Sklavenhandels wie die USA, sich für die Sklaverei zu entschuldigen und eine Entschädigung zu leisten. Was meinen Sie dazu?

    Robinson: Mich ermutigt, dass es Fortschritte in dem Sinne gibt, sich als Weltgemeinschaft der Vergangenheit zustellen. Die Verhandlungen auf dieser Vorbereitungskonferenz waren bislang bedeutsam und ich glaube, dass es in Durban einen Durchbruch geben wird. Man wird die Vergangenheit auf eine angemessene Weise behandeln, die den Kampf und die globale Allianz gegen Rassismus beleben wird, weil es uns als Weltgemeinschaft näher zu einander bringt, wenn wir fähig sind, die Bedeutung der Sklaverei anzuerkennen.

    Reimer: Das heißt, es wird von Anerkennung geredet und nicht von Entschuldigung?

    Robinson: Die Wortwahl, die sich abzeichnet, ist, dass weltweit Reue und tiefes Bedauern empfunden wird und dass es ein Bewusstsein gibt, dass Worte allein nicht ausreichen, sondern dass es auch eine Art praktischen Solidaritätsbeweis geben muss gegenüber solchen Ländern, deren Entwicklungschancen durch Massenversklavung und kolonialistische Ausbeutung nachhaltig beeinträchtigt wurde. Das sind überaus wichtige Fragen und zum ersten Mal machen wir hier Fortschritte.

    Reimer: Der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern hat schon die beiden ersten Weltkonferenzen gegen Rassismus mehr oder weniger zum Scheitern gebracht und auch hier droht ähnliches. Wie sollte damit umgegangen werden?

    Robinson: Dies ist ein besonders schwieriger Streitfall. Ich habe bereits bei meiner Eröffnungsrede zur laufenden Vorbereitungskonferenz deutlich gesagt, dass es nicht angemessen war, das Thema Zionismus als Rassismus erneut im Stil der früheren UNO-Resolution einzubringen. Diese Resolution wurde 1991 aufgehoben. Wir brauchen eine Sprache, die einer Konferenz entspricht, die etwas für Opfer erreichen und die Verständnis und Versöhnung fördern will. Aber auch hier bin ich beeindruckt, mit welcher Ernsthaftigkeit die Verhandlungen geführt werden angesichts der sehr schwierigen Lage im Mittleren Osten. Und wenn es so weitergeht, dann können wir uns auf einen Durchbruch in Durban freuen.

    Reimer: Die Deklaration von Durban und das Aktionsprogramm, das dort verabschiedet werden soll, ist völkerrechtlich nicht verbindlich für die Staaten. Was muss getan werden, damit die Konferenz auch konkrete Folgen zeigen wird?

    Robinson: Darin liegt die Bedeutung des Aktions-Programms, hier geht es um die Umsetzung. Rassismusprobleme betreffen jedes Land. Deshalb sollte jedes Land ermutigt werden, einen nationalen Plan zur Bekämpfung von Rassismus, Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit aufzustellen. Das können Gesetze sein, zum Beispiel die Ratifizierung der Internationalen Konvention zur Beseitigung jeglicher Form von Rassendiskriminierung, das kann Rechtshilfe für Opfer sein oder Bildungsprogramme, die Inanspruchnahme von Kommissionen für Rassenbeziehungen - soweit diese existieren - oder nationaler Menschenrechtskommissionen. Und es wäre mir wichtig, dass junge Leute nicht nur am Jugendforum in Durban teilnehmen, sondern wirklich fühlen, dass es dabei um Werte geht, die wir voranbringen wollen.

    Link: Interview als RealAudio