Verblichen war der Reiz der Zopfabschneider, Knopfstiefel, der englischen Regenmäntel und Kammerzofenschürzen, als man noch glaubte, die Sexualität könne befreit werden. Damals, in den späten 60er und in den 70er Jahren, war man emanzipiert und der festen Überzeugung, daß der BH und erst recht der Projektil-BH ein Instrument sexueller Repression sei - weswegen er folgerichtig öffentlich verbrannt wurde - ein Hexenprozeß, der diesmal gegen die symbolische Ordnung geführt wurde.
Heute, im Zeitalter von Aids, übersättigt von der Allgegenwart sexueller Bilder, kehrt der Wonder-Bra, die "Perversion" und die viktorianische Moral rechtzeitig als Auflehnung gegen diese Ordnung der Dinge zurück. Das Verbot erotisiert - und die Perversion beinhaltet ein Glücksversprechen, welches das der normalen Sexualität übertrifft. Zugleich organisiert sich im Fetisch und der von ihm favorisierten Perversionen der Widerstand gegen die Unterwerfung der Sexualität unter das Zeugungsgebot und gegen Institutionen wie Familie und Staat, die diese Ordnung durchsetzen sollen. Im Fetisch wird Lust gegen Fortpflanzung ausgespielt und die Sexualität der Eltern kritisiert - heute also die der befreiten Sexualität der 68er-Generation, die naturgemäß auch nichts anderes gewesen ist als eine Variante unterdrückter Sexualität. Sexualität ist nämlich immer Unterdrückung und Revolte dagegen in einem - ein Paradox, das in nichts anderem besser Ausdruck findet als im Fetisch, der das, was er unentwegt umkreist, zugleich unentwegt verhüllt und verbirgt.
Valerie Steeles "Fetisch" ist ein amüsantes Coffee-table-book, das mit den Kulturtechniken der Lust vertraut macht - gewissermaßen ein postmodernes Kamasutra auf der Ebene der Zeichen. Und wenn wir dann endlich uns selbst und unsere Freundin komplett gummiert und eingeledert haben, dürfen wir selbstverständlich unsere neugewonnene Sexualität und die mit ihr verbundene soziale Ordnung wieder mit fliegenden Fahnen von sich selbst befreien. Ja, in der Mode kehrt alles zurück, ohne daß es wiederkommt.