Freitag, 17. Mai 2024

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Fetisch

Im Westen sind Fetisch-Parties nun schon seit Jahren der Hut der Saison. Lack, Leder und ein fetischistischer Dress-Code treibt Samstagabend Tausende von Frauen und Männern, die den Rest der Woche als wohlanständige Bürger in der Provinz, im Büro und im Kreis der Familie verbringen, zu Großveranstaltungen, die unter so klangvollen Motti wie "Dressed to Thrill", "Black & Blue" oder "Feticon" stehen. Dabei regiert ein Kleidungsstil, der zwischen Lack und Leder, Gummi und Intimschmuck, High Heels und PVC immer neue Revolutionen ausruft. Flankiert wird diese Explosion unorthodoxer Sexualinsignien von Magazinen wie der "O - The Art of Fetish, Fashion & Fantasy", das landauf landab die Kioske erobert, und von sündteuren, sozusagen schwäbischen Latex-Boutiquen, die die Innenstädte mit ihren Auslagen erotisieren. Ohne Frage: Fetischmode ist, wenn nicht gerade zur Massen-, so doch immerhin zur Alltagskultur geworden. Die amerikanische Kulturhistorikerin Valerie Steele, die am New Yorker "Fashion Insitute of Technology" lehrt, hat Anfang diesen Jahres in Amerika ein Buch veröffentlicht, das im Herbst auch bei uns unter dem Titel "Fetisch - Mode, Sex und Macht" erschienen ist und das sich mit den Formen fetischistischer Kleider- und Körpermode beschäftigt - als gegenwärtiger modischer Mainstream.

Thomas Palzer | 24.08.1998
    Ausgehend von der Kulturgeschichte des Fetischismus, untersucht die 41jährige Valerie Steele im besten Parlando-Ton das Korsett als Ironisierung jener Kulturtechnik, die der französische Philosoph Michel Foucault "Überwachen und Strafen" genannt hat, beschreibt Schuhe mit hohen Absätzen als Etui, die das weibliche Geschlecht symbolisieren, oder zeichnet den Werdegang der Unterhose zum Höschen nach. Sie befragt den Kult der Uniform - vom Schulmädchen über die Krankenschwester zur Zofe -, befragt ferner die Macht der Kleidung und die Faszination von Seide und Satin; sie folgt dem Gummienthusiasten mit ebensolcher Leichtigkeit in seine bizarre Welt wie dem homoerotischen Tom Boy in die des harten Ledersexes. Sie zeigt, daß der Fetischismus als Kategorie sexueller Abweichung eine Erfindung des 19. Jahrhunderts ist - eine abweichlerische Antwort auf Schrebergarten und Duden - und Perversion Auflehnung gegen die soziale Ordnung. Das Material, dessen sich die Autorin bedient, ist kenntnisreich und unterhaltsam aufbereitet und von grotesken Fallbeispielen illustriert.

    Verblichen war der Reiz der Zopfabschneider, Knopfstiefel, der englischen Regenmäntel und Kammerzofenschürzen, als man noch glaubte, die Sexualität könne befreit werden. Damals, in den späten 60er und in den 70er Jahren, war man emanzipiert und der festen Überzeugung, daß der BH und erst recht der Projektil-BH ein Instrument sexueller Repression sei - weswegen er folgerichtig öffentlich verbrannt wurde - ein Hexenprozeß, der diesmal gegen die symbolische Ordnung geführt wurde.

    Heute, im Zeitalter von Aids, übersättigt von der Allgegenwart sexueller Bilder, kehrt der Wonder-Bra, die "Perversion" und die viktorianische Moral rechtzeitig als Auflehnung gegen diese Ordnung der Dinge zurück. Das Verbot erotisiert - und die Perversion beinhaltet ein Glücksversprechen, welches das der normalen Sexualität übertrifft. Zugleich organisiert sich im Fetisch und der von ihm favorisierten Perversionen der Widerstand gegen die Unterwerfung der Sexualität unter das Zeugungsgebot und gegen Institutionen wie Familie und Staat, die diese Ordnung durchsetzen sollen. Im Fetisch wird Lust gegen Fortpflanzung ausgespielt und die Sexualität der Eltern kritisiert - heute also die der befreiten Sexualität der 68er-Generation, die naturgemäß auch nichts anderes gewesen ist als eine Variante unterdrückter Sexualität. Sexualität ist nämlich immer Unterdrückung und Revolte dagegen in einem - ein Paradox, das in nichts anderem besser Ausdruck findet als im Fetisch, der das, was er unentwegt umkreist, zugleich unentwegt verhüllt und verbirgt.

    Valerie Steeles "Fetisch" ist ein amüsantes Coffee-table-book, das mit den Kulturtechniken der Lust vertraut macht - gewissermaßen ein postmodernes Kamasutra auf der Ebene der Zeichen. Und wenn wir dann endlich uns selbst und unsere Freundin komplett gummiert und eingeledert haben, dürfen wir selbstverständlich unsere neugewonnene Sexualität und die mit ihr verbundene soziale Ordnung wieder mit fliegenden Fahnen von sich selbst befreien. Ja, in der Mode kehrt alles zurück, ohne daß es wiederkommt.