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Fetisch Auto

Die Ausstellung "Fetisch Auto" im Museum Tinguely in Basel ist ein großer, anregender Spielzeugladen, ein technoider Erotik-Shop für das erwachsene Kind. Die Vielfalt der gezeigten künstlerischen Strategien ist groß, alle feiern den Sex-Appeal des Autos.

Von Christian Gampert | 08.06.2011
    Jean Tinguely ist ein gutes Beispiel: Einerseits baute er völlig sinnfreie Schrott-Monstren, die die mechanische Bewegung spielerisch ad absurdum führten; andererseits war er ein ernsthafter Geschwindigkeits-Freak, der stolz Ferrari fuhr und bei möglichst vielen Auto-Rennen zuschaute. Im Unterstock des Tinguely-Museums sieht man jetzt einige seiner - aus Filmapparaten, Formel-1-Cockpits und Flugzeugrädern zusammengeschweißten - Fabelwesen, die oft noch Bisonköpfe und Baldachine anmutig bewegen. Gleich daneben aber steht eine 70er-Jahre-Installation von Tinguelys zeitweiliger Lebensgefährtin Eva Aeppli, die fünf schwarze Witwen neben einen Rennwagen setzt.

    Der Rausch und die Niederlage, der Triumph und der Tod: Das ist die Spannweite dieser Ausstellung, die diese Themen quer durch die Kunstgeschichte verfolgt. Und, wie Kurator Roland Wetzel sagt, natürlich auch den Sex-Appeal des Automobils gebührend in Szene setzen will: den Fetisch-Charakter:

    "Man kauft nicht nur Waren, um Bedürfnisse oder Funktionen zu befriedigen, sondern es wird immer auch ein Mehrwert mitverkauft, an Emotionen, an Ich-Erfüllung. Und da gibt es eigentlich kein schöneres Beispiel als das Auto."

    Man muss bei einer solchen Ausstellung aufpassen, dass man nicht nur Klischees aneinanderreiht - also sich räkelnde Models auf Kühlerhaube (wie bei Liz Cohen) versus John Chamberlains Schrott-Skulpturen vom Autofriedhof. Aber Wetzel konstruiert ein Rondell, eine kreisrunde Ausstellungsfläche, in deren Mitte Damián Ortegas "Cosmic Thing" schwebt, ein in seine Einzelteile auseinanderberstender VW Käfer.

    Und von diesem Zentrum aus kann der Besucher verschiedenste Themen-Kabinette und kunsthistorische Epochen begehen: vom Futurismus bis zur Pop-Art und vom Auto als "religiösem Fetisch" (wie dem "Papa-Mobil") bis zum "Unfall" als dem Endpunkt des Schnelligkeits-Rauschs.

    Man trifft zum Teil alte Bekannte: etwa Gerhard Richters "2 Fiat" oder die Autoscheiben zertrümmernde Pipilotti Rist. Die Futuristen, das ist der Ausgangspunkt, feierten das Auto als neue Göttin und brachten verzückt Geschwindigkeit ins Bild: Giacomo Ballas "Velocita astratta" (von 1913) zeigt das zersplitterte, abstrahierte Sehen, das diese neue Fortbewegungs-Art mit sich brachte; 60 Jahre später filmt der Schweizer Peter Stämpfli aus dem Auto heraus vorüberhuschende Straßen-Markierungen, besonders die Mittellinie der Landstraße, und schafft so einen abstrakten Tanz der Zeichen, den er mit einem sich steigernden Schlagzeug-Solo unterlegt.

    Das Auto wird, mit zunehmender technischer Perfektionierung, allerdings auch zur Körpererweiterung, zum Rückzugsort, zum sexuellen oder auch aggressiven Objekt. Man muss es nicht so arg treiben wie Franck Scurti, in dessen Film ein Mann die nasse Karosserie eines Sportwagen-Cabrios ausdauernd ableckt; man kann auch einfach nur den kalten Sex der Motorblöcke vorzeigen, wie Sylvie Fleury. Der Filmer Stephen Dean lässt Autos wie wilde Tiere aufeinander losgehen, die Künstlergruppe "Superflex" fackelt im Video genussvoll einen Mercedes ab, als seien wir mitten im Straßenkampf, und der ehemalige Polizeifotograf Arnold Odermatt inszeniert die traurigen Trümmer von Unfallwagen wie menschliche Wesen: Autos sehen dich an.

    Natürlich kann man der Ausstellung vorwerfen, sie sei selber eine Art Beeindruckungs-Maschinerie, die uns mit einer Fülle von Effekten zuschüttet. Allerdings ist die Vielfalt der gezeigten künstlerischen Strategien so groß, dass der Zuschauer eben selber gefordert ist: Ein jeder suche sich das heraus, was ihn antörnt oder abstößt. "Fetisch Auto" ist ein großer, anregender Spielzeugladen, ein technoider Erotik-Shop für das erwachsene Kind.