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Fetisch Figur

Ende vergangenen Jahres entschlossen sich die Erben des 1984 verstorbenen deutschen Bildhauers Waldemar Grzimek, dessen Nachlass dem Gerhard-Marcks-Haus zu überlassen. Damit erweitert sich der Bestand des Bremer Museums um einhundert Arbeiten Grzimeks aus den Jahren 1933 – 1984. Jetzt zeigt das Haus einen ersten Überblick über die großzügige Schenkung unter dem Motto: "Ein Platz für Plastik".

Von Rainer B. Schossig |
    Der Bildhauer Waldemar Grzimek ist nicht ganz so bekannt wie sein Cousin Bernhard Grzimek, der legendäre Zoodirektor und Tierfilmer, der in den 50er Jahren sich mit seiner populären Fernsehserie "Ein Platz für Tiere" einen Ehrenplatz im tierlieben deutschen Nachkriegsbewusstsein eroberte. Doch auch Waldemar Grzimek zeichnete schon als 11-Jähriger Affen im Berliner Zoo; freilich: er liebte Menschen mehr als Tiere. Und deswegen machte er sich ästhetisch auf die Suche nach der menschlichen, der humanen Gestalt.

    Gewohnt an die strengen, alles andere als ekstatischen Figuren des Hauspatrons Gerhard Marcks, erschrickt man jetzt fast beim Betreten des Bremer Bildhauermuseum, angesichts der Dynamik menschlicher Figürlichkeit, die Waldemar Grzimek bevorzugte. Gespreizte, verrenkte und gebogene, sich drehende und schraubende Figuren, Tänzer, die in wirbelnder Bewegung erstarrt scheinen, und Gefesselte, die trotz ihrer Ketten in wilder Dynamik aufbegehren. Hinzu tritt eine eminente Sinnlichkeit der Oberflächen des plastischen Personals, das "natürlich" vorwiegend weiblich ist: kräftige Nymphen und dralle Badende, deren ungezähmt überquellende Haartracht oft Kleider fast ersetzen; hie Wellenreiter zwischen Wassergüssen, da Gebückte und Gekrümmte an erdig-schrundigen Schauplätzen. Dramatisches und Lyrisches mischt sich elementar. Wer Grzimeks Vorbilder sucht, kommt zunächst nicht auf den asketisch verhaltenen Gerhard Marcks sondern auf so expressive Bildhauer wie Medardo Rosso oder Rodin, Maillol oder Marino Marini. Was den Rückblick auf Waldemar Grzimeks skulpturales Oeuvre aber besonders interessant macht, ist das Wandern dieses deutsch-deutschen Künstlers zwischen den politischen Welten des 20. Jahrhunderts.

    Im Revolutionsjahr 1918 geboren, studierte er nach einer Steinmetzlehre in Berlin bei dem preußischen Professor Wilhelm Gerstl; hier lernte er die Plastiker Fritz Cremer, Gustav Seitz und Gerhard Marcks kennen, mit denen ihn lebenslange Freundschaften verbanden. Wegen seiner überragenden künstlerischen Begabung erhielt er 1942 den Rompreis mit Studienurlaub in der Villa Massimo. Danach durfte er ins Feld ziehen. Die Fronterfahrung des 2. Weltkriegs machte Grzimek zum Pazifisten und Kommunisten. Nach 1945 lehrte er zunächst in Halle an der Burg Giebichenstein, dann in Westberlin, wo man ihn jedoch bald hinaus warf, weil er sich an einer Ausstellung gegen den Korea-Krieg beteiligte. So schlug er sich als freier Künstler durch, bis er 1957 eine Professur an der Ostberliner Hochschule für bildende und angewandte Kunst in Weißensee erhielt. Obwohl mit bedeutenden Denkmalaufträgen betraut und hoch mit DDR-Nationalpreisen dekoriert, verließ er den Arbeiter- und Bauernstaat unmittelbar nach dem Mauerbau, was seiner Aufnahme in die Akademie der Künste/Ost jedoch nicht im Wege stand. Bis zu seinem Tod im Jahr 1984 lehrte er an der Technischen Universität Darmstadt.

    Grzimek hatte verfügt, dass sein Nachlass, in dem sich auch einige sozialistisch-realistische Ladenhüter finden, zunächst für 20 Jahre unberührt bleiben sollte. Nun haben die drei Erben, zwei Bildhauerinnen und ein Keramiker, sich nach längerem Zögern für Bremen als Standort entschieden. Da Grzimek zu den profilierten Vertretern der sog. Berliner Bildhauerschule zählte, hatten sie zunächst versucht, das Werk in Berlin zu halten. Die Übernahme der rund einhundert, zum Teil voluminösen Plastiken in den Bremer Bestand bedeutet für das kleine Museum eine logistische und wissenschaftliche Herausforderung. Die bisher größte Erweiterung des Sammlungsbestandes seit Gründung des Hauses legt nicht nur nahe, das Marcks’sche Werk mit dem von Grzimek zu vergleichen. Es könnte in Bremen – wo ja bis heute an der Hochschule der Künste figürliche Plastik gelehrt wird – auf lange Sicht ein Studienzentrum dieser über Jahrzehnte zwischen Ost und West ideologisch umstrittenen Menschenbildnerei entstehen, Anknüpfungspunkte und Quellen für kunstwissenschaftliche Forschungen sind übergenug gegeben. Problematisch ist allerdings, dass der Nachlass dezimiert ist, nicht nur um die monumentalen Entwürfe für die Gedenkstätte Sachsenhausen, das bedeutende Heine-Denkmal und andere Großplastiken. Auch das zeichnerische und schriftstellerische Werk sowie der Briefwechsel gehen nicht nach Bremen sondern ins Nürnberger Nationalmuseum. Schließlich bleiben auch die Gussrechte bei der Familie.

    Dennoch erscheint die Lösung recht glücklich; das Bremer Gerhard-Marcks-Haus ist ein wahlverwandter Platz für diese Plastiken. Schon 1971 hatte Gerhard Marcks mit Blick auf Grzimek geschrieben: "War nicht die figürliche Plastik entgiltig totgesagt? Da ist nun wieder so einer, der’s nicht lassen kann, dem Abenteuer der menschlichen Gestalt nachzujagen. Und was könnte denn als Thema den Menschen mehr interessieren, mehr erregen, mehr erschüttern als – der Mensch?"