Im Labor von Professor Gary Ruvkun winden sich Milliarden Exemplare von C. elegans in den Petrischalen, fressen sich durch den dicken Bakterienrasen. Ein Paradies für die rund einen Millimeter langen, durchsichtigen Fadenwürmer, es gibt allerdings einen Hacken. Die Futterbakterien sind genetisch manipuliert, sie bilden jeweils eine bestimmte Interferenz RNA. Und damit legen sie sobald sie verspeist werden, sozusagen als postmortale Rache, das entsprechende Gen des gierigen Wurms lahm. Die Effekte sind vielfältig, manche Tiere sehen anders aus, andere verhalten sich seltsam, nicht wenige Würmer sterben an der Genmanipulation. Gary Ruvkun interessiert sich allerdings nur dafür, ob die C. elegans Varianten dicker oder dünner als der Standardwurm in der Gartenerde sind. Rund 300 übergewichtige und etwa 100 Magersüchtige Würmer hat er entdeckt. Die Ursache ist jeweils eine bestimmte Interferenz RNA und die weißt den Weg zu dem betroffenen Gen. Der Forscher vom Massachusetts General Hospital in Boston glaubt so die wichtigsten genetischen Mitspieler in der Gewichtsregulation gefunden zu haben. Jedenfalls viel mehr, als bisher aus Untersuchungen an Menschen und Mäusen bekannt waren. Ruvkun:
Es gibt einen großen Unterschied zur Fettgenetik mit Säugern wie den Menschen. Da ist man davon abhängig, wer zufällig in die Klinik kommt, wer dem Arzt auffällt und von welcher übergewichtigen Familie er Blutproben nimmt. Es gibt hier und da einen Glückstreffer. Wir haben eine systematische Untersuchung gemacht und fast alle Gene betrachtet. Unser Bild ist viel vollständiger, vielleicht nicht hundertprozentig aber sicher viel besser als die Schrotschussmethode.
Unter den 400 Genen, die das Gewicht des Fadenwurms beeinflussen, sind viele bisher unbekannte Erbanlagen. Hier gibt es spannende neue Aufgaben für die Fettforscher. Auf den ersten Blick weniger interessant sind Gene, die schon von Experimenten mit Mäusen bekannt sind. Dass die Interferenz RNA aber fast alle bekannten Fettgene jetzt auch im Wurm identifiziert hat, bestätigt für Gary Ruvkun die Zuverlässigkeit des Verfahrens:
Einige Gene beeinflussen, wie die Fettzellen das Fett herstellen und es einlagern, wie sie das Fett wieder aus den kleinen Öltröpfchen herausholen. Es finden sich aber auch Hormone, die das Fettgewebe ans Gehirn sendet und Gene, die dieses Signal im Gehirn empfangen, weiterverarbeiten und dann das Verhalten des Tiers kontrollieren, seine Energieaufnahme und -Abgabe. Das belegt die enge Verbindung zwischen der Kontrolle des Appetites und der Fetteinlagerung. Wie dick man ist hängt eben auch damit zusammen, wie zufrieden man ist.
Auch bei C. elegans gilt, was Fettforscher schon lange wissen: Fettgewebe ist weit mehr als ein langweiliges Lagerhaus für Nahrungsenergie, es ist über ein komplexes Netzwerk aus Hormonen aufs Engste mit dem Gehirn verknüpft. Das ist auch notwendig, denn wer kein Fett um die Hüften anlagern will, der muss Nahrungsaufnahme und Energieverbrauch bis auf ein zehntel Prozent genau aufeinander abstimmen. Ein großes Essen mehr oder weniger im Jahr entscheidet über Zufriedenheit oder Erschrecken beim Blick auf die Waage. Der kluge Fetthaushalt des Wurmes wird sich dank der neuen Befunde viel besser verstehen lassen. Was heißt das aber für den Menschen, schließlich hat C. elegans noch nicht einmal spezialisierte Fettzellen und so wichtige Gewichtshormone wie das Leptin sind bei Würmern ebenfalls unbekannt. Das aber spricht eher gegen die Bedeutung des Leptins meint Gary Ruvkun. Immerhin für die Hälfte der Fettgene des Wurms finden sich im menschlichen Genom Gegenstücke. Ruvkun:
Vergessen Sie nicht, wir haben nur gezeigt, dass diese Gene im Wurm das Fett regulieren, dass sie es auch beim Menschen tun, ist vorerst eine Vermutung. Ich bin aber ein Spieler und ich würde wetten, auf unserer Liste von 200 Genen sind 20 die im Menschen genauso arbeiten wie im Wurm. Wenn man diese Gene ausschaltet, dann würde die Person dünner oder fetter, je nachdem in welche Richtung der Effekt geht. Unter diese 20 Gene sind sicher einige attraktiv für die Entwicklung von Medikamenten.
Gary Ruvkun kann da schon erste Hinweise geben. Er hat die Bakterien mit der Interferenz RNA nicht nur normalen Fadenwürmern gefüttert sondern auch drei übergewichtigen Sorten von C. elegans. In siebzig Fällen konnte die i-RNA alle drei Formen der Fettsucht korrigieren. Dieser Absatz seiner "Nature"-Arbeit wird sicher schon heute in den Forschungsabteilungen der Pharmaindustrie diskutiert.