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Fettleibigkeit bei Jugendlichen

Liminski: Bundesministerin Künast will ähnlich wie die Regierung Bush in Amerika und ähnlich auch wie die Regierung in Frankreich den dicken Kindern zu Leibe rücken. Eine "Ernährungsplattform Bewegung" ist angelaufen. Die Dickleibigkeit - übrigens nicht nur ein Phänomen der Kindheit und Jugend - hat auch politisches Gewicht bekommen. Die CDU-Abgeordnete im Agrarausschuss Julia Klöckner, selber noch jung und, aber was wir nicht sehen können, keineswegs dick, sieht noch andere Gründe und darüber wollen wir nun reden. Zunächst mal guten Morgen, Frau Klöckner.

    Klöckner: Guten Morgen, Herr Liminski, ich grüße Sie.

    Liminski: Frau Klöcker, erlauben Sie eine erste persönliche Frage, haben Sie heute morgen schon gejoggt, gewalkt oder geschwommen, an der Ausdrucksweise kann man ja sehen wie international das Problem ist.

    Klöckner: In der Tat, da bin ich jetzt ganz entspannt, ich bin zur Zeit in Australien und acht Stunden voraus, heute morgen habe ich eine kleine Runde gedreht.

    Liminski: Sie sind also fit und gehören offensichtlich zur zweiten Hälfte der Erwachsenen in Deutschland. Die erste Hälfte trägt nach dem so genannten Body Mass Index zuviel Gewicht mit sich herum. Liegt das wirklich nur an der Ernährung, essen wir zuviel, zu süß, zu fett? Dem Vernehmen nach will Bundesministerin Künast ja diese Thematik nutzen, um Nahrungsmittel in gute und schlechte einzuteilen und die schlechten sollen dann entsprechend hoch besteuert werden.

    Klöckner: Das ist natürlich sehr problematisch zu sagen a priori jenes Nahrungsmittel ist ein gutes und das anderes ist ein schlechtes. Es ist immer die Frage, wie ausgewogen ich mich ernähre und auch bewege und vor allen Dingen, wie meine Veranlagung auch ist. Also, die Übergewichtigkeit oder die Fettleibigkeit kommt nicht allein vom Essen. Und ein zuviel an Vitaminen ist auch nicht gerade gesund auf Dauer. Insofern muss man das ganzheitlich sehen, ob ich mich genügend bewege, ob ich genügend ausgewogen esse und vor allen Dingen wie ich esse.

    Liminski: Aber ist das denn ein politisches Thema Ihrer Meinung nach?

    Klöckner: Es wird leider zu sehr politisiert und zum Imagegewinn genutzt wie ich meine. Es ist ein gesamtgesellschaftliches Thema und nicht ein rein politisches, denn die Politik kann nicht vorschreiben was Menschen zu essen haben und was sie nicht zu essen haben. Sie kann natürlich Anreize bieten beziehungsweise Aufklärung leisten sei es in den Schulen, sei es in den Familien. Aber ein rein politisches Thema ist es auf keinen Fall.

    Liminski: Sie sind also gegen eine entsprechende Besteuerung nach dem Modell Alkopops zum Beispiel.

    Klöckner: Ja, also ich bin absolut gegen eine Besteuerung. Denn das Ganze beginnt im Kopf und diejenigen, die sich das kaufen könnten oder dann auf die gesünderen Sachen verzichten würden, um sich dann die teueren so genannten ungesünderen einseitig dann zu kaufen, das würde wohl überhaupt nichts nutzen. Und dieses Besteuern bei uns in Deutschland, das hat gezeigt bei vielen anderen Dingen, dort wo die Steuern angehoben wurden, das Thema wurde verlagert oder man hat es durch schlechtere Dinge noch substituiert.

    Liminski: Warum Frau Klöckner, essen denn Kinder Ihrer Meinung nach so gerne Fast Food?

    Klöckner: Warum sie so gerne Fast Food essen? Es geht schnell zum einen, zum anderen kann man es vielleicht auch vor dem Fernseher essen, es ist sozusagen up to date, mit anderen Jugendlichen gemeinsam in die durch Prominente beworbenen Fast Food Ketten zu gehen. Jugendliche essen Fast Food vielleicht auch, weil sie kein Frühstück zu Haus bekommen. Sie essen Fast Food, weil dort vielleicht Geschmacksverstärker drin sind. Also, ich denke, das hat sehr, sehr viele Faktoren, warum Jugendliche das gerne essen. Und Jugendliche, vor allen Dingen auch Kinder, haben einen Hang zu süßen Produkten und gerade auch in Burgern oder auch in Pommes Frites, die haben ja auch Kohlenhydrate. Insofern ist es auch wiederum ein Blumenstrauß an Faktoren, warum Jugendlich und Kinder gerne süß beziehungsweise Fast Food essen.

    Liminski: Könnte ein Grund dafür auch sein, dass Kinder tagsüber zu viel allein gelassen werden, dass es keinen gedeckten Tisch gibt?

    Klöckner: Auf alle Fälle, das ist, denke ich, die Wurzel allen Übels. Denn wenn zu Hause nicht gekocht wird, wenn nicht aus guten Roh- und Grundprodukten eine ausgewogenen Mahlzeit zubereitet wird, man langsam und eben nicht "fast" am Tisch isst und sich unterhält und auch eine gewisse Kultur pflegt, dann glaube ich ganz sicher, dass man dann abrutscht in die so genannte Fast Food Kultur, in der Essen ganz schnell rein geschoben wird mit vielen Kalorien, welche nicht sehr lange anhalten. Und es ist ein familiäres Problem und ich denke, dort müssen wir das Ganze wieder packen, dass Kinder auch mit Schulbrot aus dem Haus gehen, mit Frühstück aus dem Haus gehen und geregelte Mahlzeiten haben.

    Liminski: Es gibt apropos Familie ein Bonmot, dass lautet, Familie ist da, wo ein Kühlschrank steht. Kann es denn sein, dass Fast Food Restaurants bei Kids auch deswegen in sind, weil sie sich dort aufgehoben und geborgen fühlen zum Beispiel unter ihresgleichen?

    Klöckner: Sicherlich unter ihresgleichen, das glaube ich schon. Es ist angesagt, sobald man von der Schule kommt und um die Ecke ist, ein Fast Food Restaurant, mit einer Gruppe Jugendlicher, Gleichaltriger dort sich eben auch aufzuhalten. Und es hat schon was damit zu tun, ob ich häusliche Wärme habe und dort etwas zu Essen bekomme und ich weiß dass ich dort etwas Besseres bekomme und zum Beispiel auch weiß, aus welchen Produkten beziehungsweise aus welchen Rohprodukten etwas hergestellt wird. Die Kinder und Jugendliche wissen immer weniger über unsere Nahrungsmittel. Und wenn Sie einfach mal bei Jugendlichen fragen, oder Kindern in Großstädten, wie denn Kühe aussehen, da hören Sie nicht selten, dass die lila sind. Oder wenn man fragt, wo die Milch herkommt und man dann hört, aus dem Tetrapack, dann haben wir schon ein Problem, denn das Verhältnis zum Essen und zu den Nahrungsmitteln, zu den Ursprungsmitteln, das stimmt nicht mehr.

    Liminski: Aber die Fast Food Ketten geben ja nun ein Wahnsinnsgeld dafür aus, um zu beweisen, dass ihre Angebote gesund sind. Könnte es sein, dass auch die Art und Weise des Fast Food Konsums von Kindern, also zu viel, zu schnell auf psychologische und psychosoziale Defizite in Erziehung und Betreuung von Kindern hinweisen - sozusagen ein Frustfressen?

    Klöckner: Das wird es sicherlich sein, es hat aber auch was mit dem Vorbild der Eltern zu tun. Wenn Eltern selbst auf Convenienceprodukte stehen, das heißt alles miteinander zu verbinden und kurz vor dem Essen noch irgendwo schnell Fertiggerichte kaufen und dann beginnen, das den Kindern so vorzuleben beziehungsweise selbst sich keine Zeit zu nehmen oder mit den Kindern mal einen Kuchen zu backen, das hat natürlich immense Folgen. Und wo sollen es Kinder denn lernen und deshalb wäre es sicherlich nicht schlecht, wenn wir an den Schulen Ernährungsweisen, Ernährungsunterricht genau wie den Sportunterricht auch dahingehend ausbauen würden.

    Liminski: Frau Klöckner, im Osten sind die Deutschen nachweislich dicker als im Westen und am dicksten sind sie in Mecklenburg Vorpommern. Haben Sie dafür eine Erklärung.

    Klöckner: So genau, genaue Erklärung fällt natürlich schwer zu sagen, dass irgendwelche Landstriche in Deutschland fettleibiger sind. Aber es gibt schon eine Relation zwischen sozialen Schichten, unteren sozialen Schichten und dickeren Kindern. In sozial niedrigeren Schichten wird schlechter gegessen, wird unausgewogener gegessen, viel kalorienreicher, zuckerreich und auch fettreich. Wenn wir uns dann vielleicht anschauen, wie hoch die Arbeitslosenquote vielleicht im Osten ist im Vergleich zur sozialen Schicht, zur Bildung auch und zum Bezug zu Essen, da könnte das einer der Gründe sein.

    Liminski: Und die Arbeitslosigkeit?

    Klöckner: Sicherlich auch. Das hat auch vielleicht, was wir vorhin schon erwähnt haben, mit einem gewissen Frustessen zu tun, viel essen, kurzzeitig Hunger stillen. Hunger steht aber für viel, viel mehr als nur körperlich Kalorien zuführen zu müssen, weil der Körper Energie braucht.

    Liminski: Gesundes Essen auch ein gesellschaftliches Problem, das war Julia Klöckner CDU-Abgeordnete im Agrarausschuss, besten Dank für das Gespräch.

    Klöckner: Bitte sehr.