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Feudalismus im Europa der Demokraten

Zum 200. Jubiläum der Unabhängigkeit des Fürstentums Liechtenstein fällt ein Schatten auf die die Feierlichkeiten: Die jüngste Verfassungsreform hat Fürst Hans Adam II. eine besondere Machtfülle beschert, was den Europarat zu einigen kritischen Anmerkungen veranlasst hat. Thomas Wagner berichtet.

12.07.2006
    Der Springbrunnen mitten in der Fußgängerzone von Vaduz plätschert in diesen Sommertagen friedlich vor sich hin. Vaduz ist Hauptgemeinde des Fürstentums Liechtenstein - eine Kleinstadt mit ein paar tausend Einwohnern, umrahmt von steil ansteigendem Felsmassiv. Dort, hoch über Vaduz, ragt das spätmittelalterliche Schloss mit seinen pittoresken Wehrtürmen empor. Das ist die Residenz von Staatsoberhaupt Fürst Hans Adam , zu dem die Liechtensteiner unten, in der Fußgängerzone, aber ein gespaltenes Verhältnis haben.

    "Das Verhältnis zum Fürsten ist bei mir sehr gut. Wir brauchen den Fürsten. Was wären wir ohne Fürsten? Was wären wir ohne Fürstentum? Gar nichts wären wir."

    "Ich glaube, das Verhältnis zu unserem heutigen Fürsten ist immer noch etwas angespannt. Es liegt an gewissen Aussagen, die er einfach gemacht hat, die ganze Geschichte mit dem Verfassungsstreit. Insofern erklärt sich das."

    Und genau der Streit um die neue Landesverfassung hat dieser Tage zu einem Nachspiel geführt. Die Verfassung war 2003 im Rahmen eines Volksentscheides angenommen worden. Eine Kommission des Europarates wurde daraufhin von Verfassungsgegnern ins Fürstentum gerufen - in einer heiklen Mission. Sie sollte die neue Verfassung daraufhin abklopfen, ob sie mit den Demokratiestandards des Europarates überhaupt vereinbar sei. In ihrem Schlussbericht kam die Kommission prompt zu mehreren kritischen Anmerkungen. So habe sich das Machtvolumen ganz eindeutig von Regierung und Parlament hin zum Fürsten verschoben. Denn nach den neuen Verfassungsbestimmungen muss der Fürst jedes vom Liechtensteinischen Landtag beschlossene Gesetz ausdrücklich bestätigen. Ist das Gesetz nicht nach dem Geschmack des Staatsoberhauptes, tritt es nicht in Kraft. Und nicht nur das: Ohne Angabe von Gründen kann er den Landtag auflösen; dieses Recht hatte er bereits nach der alten Verfassung.

    "Aber was er sicher nicht hatte, war das Recht, die Regierung zu entlassen. Dieses Recht hat er jetzt auch. Er kann die Regierung entlassen, und zwar nur auf Grund des Umstandes, wenn sie sein Vertrauen verliert","

    so Michael Ferster vom Liechtensteiner "Verein zur Stärkung der Volksrechte".

    Ferster und seinen Mitstreitern ist die Machtfülle des Fürsten seit Jahren ein Dorn im Auge. Zwar sei Liechtenstein mit dem Fürsten an der Staatsspitze ja beleibe nicht die einzige Monarchie in Europa. Aber:

    ""Das ist für mich der Hauptunterschied zu den anderen Monarchien in Europa, dass dort im Prinzip die politischen Befugnisse des Monarchen nicht mehr existieren. Nehmen wir das Beispiel der Thronrede: Dort liest die Queen Elisabeth eine Thronrede, die ihr die Regierung quasi vorgeschrieben hat. Und bei uns ist das quasi ein selbstständiger Akt des Fürsten."

    Der kann sich allerdings darauf berufen, dass die von ihm initiierte neue Verfassung vor drei Jahren von 64 Prozent der wahlberechtigten Liechtensteiner gutgeheißen wurde – allerdings nach der massiven Drohung des Staatsoberhauptes, im Falle einer Ablehnung aus Liechtenstein wegzuziehen. Dennoch: Die meisten Liechtensteiner stehen hinter ihrem Fürsten, so auch Wolfgang Bayer von der Gesellschaft "Pro Liechtenstein". Er glaubt fest daran,

    "dass Gesetze, die aus dem Landtag gehen, einer Gegenkontrolle bedürfen. Nachdem wir nur eine Kammer haben, muss das das Staatsoberhaupt erledigen. Die Gegenfrage lautet: Würden wir aus formalen Gründen das Sanktionsrecht des Fürsten wegnehmen? Dann würde das darauf hinauslaufen, dass wir entweder eine mühsame Referendumsdemokratie haben, wo wir bei jedem Gesetz abstimmen müssen, ob das Volk das will oder nicht. Oder wir hätten eine Landtagsdiktatur. Das heißt: Die Parteien beschließen ein Gesetz, und das ist in Kraft. Das wollen wir aber nicht."

    Das aber hätten die Mitglieder der Kommission, die der Europarat nach Liechtenstein entsandt habe, nicht so recht verstanden – oder nicht so recht verstehen wollen.

    "Mit der Geschichte Liechtensteins haben die sich überhaupt nicht ausgekannt. Eine Dame kam aus Estland, einer kam aus Kasachstan, ein Schwede, ein Norweger und ein Türke. Das sind Leute, die sind mit einer vorgefassten Meinung zu uns gekommen. Die haben gedacht: Ja, das ist halt jetzt eine Monarchie, und die können wir nicht brauchen in Europa."

    Die Europaratskommission hat sich mit Ratschlägen zur Änderung der Liechtensteinischen Verfassung bewusst zurück gehalten und es bei den kritischen Anmerkungen belassen. Man müsse über einen längeren Zeitraum hinweg beobachten, wie die einzelnen Artikel in der Praxis angewendet werden, heißt es in dem Bericht. Sollte der Europarat in ferner Zukunft aber tatsächlich auf Änderungen drängen, weiß Wolfgang Bayer von der Gesellschaft "Pro Liechtenstein" schon jetzt, wie das Fürstentum darauf zu reagieren hat:

    "Wir sollten mehr Wehrbereitschaft zeigen gegen außen. Wir müssen von Zeit zu Zeit auch einmal Festigkeit zeigen. Wenn es notwendig ist, treten wir aus dem Europarat aus."