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Fidelio-Premiere in Leipzig

In der Oper macht der schwedisch-amerikanische Dirigent Herbert Blomstedt sich äußerst rar. Zum Ende seiner Amtszeit als Gewandhauskapellmeister in Leipzig ist er nun aber doch in den Graben des gegenüberliegenden Opernhauses gestiegen. Die Musiker, die er dort zu dirigieren hat, sind ja die gleichen. Fidelio, Beethovens Befreiungsoper, hat er sich ausgesucht. Regisseur: der Norweger Stein Winge. Es ist ein Koproduktion mit den Häusern in Oslo, Genf und Erfurt.

Von Georg-Friedrich Kühn |
    Reger Verkehr in der Poststelle. Päckchen werden abgegeben, untersucht, sortiert. Immer neue, und von Menschen unterschiedlichster Herkunft. Das Leben im Knast ist ausgesprochen multikulturell.

    Originell auch die Getränkefolge in der Kantine. Kaffee steht da bereit zur Frühstückspause für das Wachpersonal. Leider nicht frisch gebrüht aus dem Automaten sondern nur in Thermoskannen. Und Marzelline in ihrer verliebten Dussligkeit verteilt den schwarzen Saft minutenlang als Wischwasser auf dem Fußboden.

    Dann aber gibt’s auch schon eine Runde Bier. Und gleich drauf und immer wieder Sekt und den gewürzt mit Konfetti aus dem Sektkühler. Viel einfallen lassen hat sich der norwegische Star-Regisseur Stein Winge nicht für diesen neuen Leipziger Fidelio. Und auch die Bühnenbilder von Kari Gravklev helfen kaum weiter.

    Die kombinierte Kantinen-Poststelle für den ersten Akt ist eine Art überdachter Innenhof mit Nadelholz-Pflanzen-Insel, auf der die Gefangenen wie eine Herde Schafe dann die "freie Luft" schnappen dürfen.


    Einen großen Dienst hat man dem Dirigenten dieses Abends nicht erwiesen: Herbert Blomstedt. Der Chefdirigent des Gewandhausorchesters, das die Oper mit bespielt, hat jetzt zum Ende seiner 6-jährigen Leipziger Amtszeit erstmals wieder der Oper sich gewidmet.

    Schon in den zehn Jahren als Chef der Dresdner Staatskapelle hat er lediglich einmal auch eine Opernproduktion geleitet. 1980 war das und noch in der Interimsspielstätte Schauspielhaus. Mit Harry Kupfer als Regisseur an seiner Seite dirigierte er Tschaikowskys Eugen Onegin, eine überragende Aufführung.

    Blomstedt, der gern einräumt, dass Oper für ihn eigentlich ein fremdes Terrain ist – den Fidelio, wenn überhaupt eine Oper, hatte er sich gewünscht. Immer wurde an dieser einzigen Oper Beethovens ja ihre Übersteigerung ins Sinfonische gerühmt, trotz der formalen Anlage als Singspiel in der Nachfolge von Mozarts Zauberflöte.

    Ganz leicht tut Blomstedt sich nicht mit der wegen ihrer Breiten-Dimensionen gefürchteten Leipziger Bühne.

    Es gibt Wackler und immer wieder Koordinationsprobleme mit den Sängern. Aber Blomstedt kann doch im Laufe des Abends Orchester, Chor und Solisten zu Außerordentlichem motivieren. Es ist ein sehr schlanker, drahtiger Beethoven, den er dirigiert. Ohne Fettpolster, ohne pathetische Überhöhung.

    Es ist ein Beethoven mit gleichsam Bodenhaftung – im Unterschied zur Szene, die wie etwa im Kerker- oder im Jubelbild am Schluss, wenn die Befreierin Leonore auf einem Sofa herumgereicht wird und der Minister zum Gläschen Sekt mit dem Befreiten fürs Presse-Foto posiert, in oft unfreiwillige Komik stürzt.

    Mit dem hohen Paar Thomas Piffka als Florestan und der anfangs freilich etwas kehligen Gabriele Fontana als Leonore hat man in Leipzig immerhin ansprechende Protagonisten. Eher zur Witzfigur gerät freilich bei Eike Wilm Schulte der Gefängnisdirektor Pizarro. Und James Moellenhoff als Gefängnisaufseher Rocco ist auch mehr nur ein netter Onkel.

    Blomstedt will die Produktion zwar auch in der kommenden Spielzeit weiter betreuen. Das Glanzlicht, das sie werden sollte, wurde sie nicht - trotz Kooperationsabsprachen mit den Häusern in Oslo, Genf und Erfurt.

    Die Leipziger Oper hat unter ihrem Intendanten Henri Maier in den letzten Jahren kaum überregional reüssieren können. Maier träumt zwar weiter vollmundig von kommenden herrlichen Zeiten mit dem künftigen Generalmusikdirektor Riccardo Chailly, der sich mehr um die Oper kümmern will.

    Musiktheater lebt aber eben essenziell auch von der Szene. Da wurden die Leipziger schon lange nicht mehr verwöhnt. Es gab denn auch am Ende trotz der Bravi zumal für Blomstedt und die Musiker heftige und ausdauernde Buhs.