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FIFA-Skandal
Del Neros taktischer Rückzug

Unter den 16 von der US-Justiz Beschuldigten Fußballbossen ist Brasiliens Verbandspräsident Marco Polo Del Nero. Überrascht hat das kaum jemanden. Seit der Verhaftung seines Vorgängers hat er Brasilien nicht mehr verlassen. Nun um Freistellung von seinem Amt gebeten – allerdings scheint es, eher aus taktischen Gründen.

Von Carsten Upadek | 05.12.2015
    Der Präsident des brasilianischen Fußballverbandes, Marco Polo Del Nero.
    Der Präsident des brasilianischen Fußball-Verbandes, Marco Polo del Nero, lässt vorübergehend sein Amt ruhen. (dpa / picture alliance / Marcelo Sayao)
    "Ich hab nicht gedacht, dass ich das noch erleben darf nach so vielen Jahren der Recherchen und öffentlichen Anklagen",
    lautete die erste Reaktion von Brasiliens renommiertesten Fußball-Kolumnisten Juca Kfouri gegenüber dem Deutschlandfunk am Morgen des 4. Dezember 2015. Am Abend zuvor hatte sich Marco Polo Del Nero für fünf Monate von seinem Amt freistellen lassen. Der Präsident des brasilianischen Fußballverbandes wolle sich laut offizieller Note des Verbandes gegen die Anschuldigungen der US-Justiz verteidigen und seine Unschuld beweisen. Die Geschäfte übertrug er seinem Vize Marcus Vincente. Der flog noch am gleichen Abend nach Rio de Janeiro und sagte bei Ankunft dem Sender SporTV:
    "Ich bin bereit einen Beitrag für den brasilianischen Fußball zu leisten. Das ist ein schwieriger Moment. Ich bin solidarisch mit Marco Polo Del Nero. Ich werde ihn ersetzen, solange es notwendig ist, damit er sich verteidigen kann. Und dann hoffe ich, dass er in sein Amt als Präsident zurückkehrt!"
    Alle korrupt? Drei Präsidenten beschuldigt.
    Das US-Justizdepartment beschuldigt Del Nero wie seine beiden Amtsvorgänger José Maria Marin und Ricardo Teixeira der Bildung einer kriminellen Vereinigung und illegaler Bereicherung bei der Vermarktung von Fußball-Events wie der Copa América. Außerdem sollen die drei ihren Verband, die CBF, systematisch ausgenommen haben. Eine beklagenswerte Situation, findet der Journalist Silvio Barsetti, der seit 1988 über die CBF schreibt:
    "Diese Bosse haben den brasilianischen Fußball betrogen, ihn als Geisel genommen. Sie waren nur bedacht in ihre illegale Bereicherung, während der Fußball auf dem Platz immer schlechter geworden ist. Das beste Beispiel ist das 1:7 gegen Deutschland!"
    Der US-Justiz kam am 3. Dezember noch der FIFA-Ethikkommission zuvor. Sie bestätigte, gegen Del Nero ein Ermittlungsverfahren eröffnet zu haben wegen eines nicht genauer beschriebenen Ethik-Verstoßes. Schon eine Woche zuvor hatte der Brasilianer seinen Posten im FIFA- Exekutivkomitee, dem höchsten Entscheidungsgremium, nach sechs Monaten Abwesenheit geräumt. Er hat Brasilien nicht mehr verlassen, seit sein Amtsvorgänger Jose Maria Marin Ende Mai in der Schweiz verhaftet worden war. Mit seiner Freistellung sei Del Nero einer Suspendierung durch die FIFA zuvorgekommen, meint Silvio Barsetti vom Online-Portal "Terra."
    "Im Fall seines Banns vom Fußball oder seinem Rücktritt würde dessen ältester Vize dessen Amt übernehmen."
    Möglicher Nachfolger verspricht Veränderungen
    Das ist der 74jährige Delfim Peixoto, Präsident des Landesverbandes Santa Catarina und Del Neros größter Widersacher. Deshalb wolle der ihn verhindern, so Barsetti.
    "Er hat gute Ideen, zumindest sagt er in Interviews, wenn er an die Macht käme, würde er ein transparentes Mandat führen und effektive Veränderungen einleiten."
    Dem Deutschlandfunk sagte Delfim Peixoto bei einem Besuch in Rio Ende November:
    "Dem brasilianischen Fußball geht es nicht gut, wegen des schlechten Managements einiger Personen. Er könnte stärker sein, wenn er nicht so einseitig administriert würde. Eine Person hat alles in den Händen. Ich denke, im Fußball müssen wir Aufgaben teilen. Und wir müssen unser Aufmerksamkeit auf die tatsächliche Unterstützung des Nachwuchsfußballs legen."
    Manöver soll Konkurrenten ausbremsen
    Am 4. Dezember luden Del Nero und sein ausgewählter Platzhalter Marcus Vincente die Landespräsidenten zur Fraternisierung in das CBF-Hauptquartier ein – alle außer Delfim Peixoto. Nur wenige Landesfürsten wollten danach mit der Presse reden. Aber die es taten, wie etwa Carivaldo Souza aus dem Bundesstaat Sergipe im Nordosten Brasiliens, berichteten von einer Art Familientreffen:
    "Marco Polo geht es gut! Er war fröhlich, alle Freunde waren da. Es gab ein Mittagessen der Verbrüderung. Ich glaube fest daran, dass er mit den Anschuldigungen nichts zu tun hat!"
    Dabei wurde auch beschlossen, die vakante fünfte CBF-Vize-Präsidentenstelle neu zu besetzen. Die hatte bisher José Maria Marin inne. Aber der steht in New York vor Gericht. Deshalb sollen die Landespräsidenten und Clubbosse der ersten und zweiten Liga schon am 16. Dezember einen neuen Vize wählen. Seinen Kandidaten habe Del Nero gestern in den Startblock gebracht, sagt der preisgekrönte Journalist Sérgio Rangel:
    "Er hat den 77 Jahre alten Präsidenten des Landesverbandes Pará davon überzeugt zu kandidieren. Und der hat mit viel Vergnügen zugesagt, obwohl er aus dem Nordosten kommt und den Südosten repräsentieren wird: Rio und São Paulo, mehr als 1500 Kilometer von seinem Zuhause."
    Der Schachzug ist einfach: Tritt Del Nero als Präsident zurück, übernimmt dessen ältester Vize. Sein Gegenspieler Delfim Peixoto ist 74 Jahre alt. Del Neros Kandidat: 77. Er würde laut Statuten CBF-Präsident. Warum Del Nero das macht? Vermutlich, um seine Spuren zu verwischen, meint Sérgio Rangel.
    "Wenn es um Del Nero geht, kann man nie sagen, das ist das letzte Kapitel. Das ist eine Novela, die nicht so schnell zu Ende geht."
    Fürchten, verhaftet und in den USA vor Gericht gestellt zu werden, muss Del Nero nicht. Brasilien liefert seine Staatsbürger nicht in die USA aus.