Während zur Ouvertüre die Toccata mit Autohupen blökt, läuft ein schwarzweißer Videofilm über den Vorhang. Zu sehen ist ein feister Konsument von heute in Gestalt einer Frau namens Claudia in legerer Unterbekleidung, die sich auf dem Sofa fläzt, Burger, Chips und ähnlichen Billigfraß in sich hineinstopft und Fernsehen glotzt, die Katastrophenmeldungen der Welt.
"Krise!" schreit die hysterische Schlagzeile auf der Zeitung neben ihr, dabei kriegt Claudia einen Anfall, japst nach Luft und erstarrt mit weiten Augen und aufgerissenem Mund. Der Vorhang hebt sich, und auf der Bühne, den ganzen Raum einnehmend, hockt die erstarrte Claudia des Videos als nackte Riesenfigur. Sie wird die Szenerie in den folgenden zwei Stunden beherrschen, ihre Augen werden wie Bildschirme aufleuchten, ihre Zunge wird sich lasziv zwischen den Lippen winden, die Brustwarzen werden aufspringen, sie wird sich drehen, aus ihrem Hinterteil werden die Sänger hervorkriechen, die Popacken werden sich wie Tore öffnen und die Innereien und Küchen- und Tanzräume freilegen.
Vor allem aber wird die Plastik zur Projektionsfläche von Videobildern des katalanischen Künstlers Franc Aleu, der mit seinen Bildern diesen nackten Frauenkörper mal in ein dreidimensionales Skelett verwandelt, mal in einen gestirnten Himmel, in ein weinendes und alterndes Frauenporträt oder in einen blutigen Fleischklumpen voller Menschenmaden. Zusammen mit dem Bühnenbildner Alfons Flores hat Franc Aleu einen alptraumartigen, surrealen, an die alten Meister Breughel und Bosch erinnernden phantasmagorischen Raum geschaffen, der sich als perfekte Landschaft für die Alptraumoper "Le Grand Macabre" von György Ligeti erweisen wird.
Selten erlebt man im Musiktheater eine so organische Korrespondenz von Klang, Gesang, Spiel und Bühne wie bei dieser Brüsseler Inszenierung, geschaffen vom La-Fura-dels-Baus-Mitglied Alex Ollé und von Valentina Carrasco. Selten auch erlebt man Sänger, die sich in Mimik und Bewegung so schonungslos von der Energie der Musik treiben lassen wie hier: Die Figuren als Marionetten des Orchesters. Die amerikanische Sopranistin Barbara Hannigan als Venus und Chef der Geheimpolizei schwebt und springt durch Breughelland wie ein Zeichentrick-Proteus und legt dabei sicher, präzise und leicht die irrwitzigsten Solopassagen hin.
Überhaupt kann man diese Oper über den drohenden Untergang einer verkommenen Welt kaum besser besetzen. Werner Van Mechelen singt den Sensenmann Nekrotzar, den Großen Makabren, der den Todeskometen prophezeit mit dämonisch aufgeplustertem Bariton. Chris Merritt intoniert den hohen Buffotenor des versoffenen Piet vom Faß mit hohlem Glanz. Frode Olsen gibt seinem läppischen Astrologen Astradamors den passenden läppischen Bass. Dann: Ning Liang als schneidige Mescalina, die ihren Astrologenmann auspeitscht und sich von Nekrotzar vergewaltigen lässt. Der brillante Countertenor Brian Asawa als infantiler Prinz Go-Go. Die zynischen Minister, das Liebespaar - man müsste sie eigentlich alle nennen, wenn die Zeit reichte.
Die Kostüme des Liebespaares übrigens hätte Körperwelten-Plastinator Gunther von Hagens nicht fleischiger hinbekommen. Die egomanisch Liebenden verwurschten sich ineinander mit ihren freiliegenden Muskel-, Sehnen- und Fettsträngen, was Lluc Castells ihnen genäht hat - ein Kostümmeister der grotesken Imagination.
Unter der musikalischen Leitung von Leo Hussain ist Ligetis "Le Grand Macabre" zu einem wuchtigen, grotesken und vergangenheitsgesättigten Klangwunder erwacht. Die Zitate der barocken, klassischen, romantischen und populären Tradition hat Hussain sorgfältig herausgearbeitet und die vertrackte Partitur zum Erzählen gebracht.
Die erstarrte Claudia auf dem Video vom Anfang kann im Film am Ende wieder lächeln. Sie hat den Untergangsschrecken nur geträumt. Die Moral von der Geschichte: Wir alle sind die gleichgültigen Claudias dieser Welt, die sie zerstören. Das ist nicht besonders originell, aber die Bilder und Klänge des Alptraums wirken kräftig nach.
Infos:
Die Oper "La Monnaie" in Brüssel
"Krise!" schreit die hysterische Schlagzeile auf der Zeitung neben ihr, dabei kriegt Claudia einen Anfall, japst nach Luft und erstarrt mit weiten Augen und aufgerissenem Mund. Der Vorhang hebt sich, und auf der Bühne, den ganzen Raum einnehmend, hockt die erstarrte Claudia des Videos als nackte Riesenfigur. Sie wird die Szenerie in den folgenden zwei Stunden beherrschen, ihre Augen werden wie Bildschirme aufleuchten, ihre Zunge wird sich lasziv zwischen den Lippen winden, die Brustwarzen werden aufspringen, sie wird sich drehen, aus ihrem Hinterteil werden die Sänger hervorkriechen, die Popacken werden sich wie Tore öffnen und die Innereien und Küchen- und Tanzräume freilegen.
Vor allem aber wird die Plastik zur Projektionsfläche von Videobildern des katalanischen Künstlers Franc Aleu, der mit seinen Bildern diesen nackten Frauenkörper mal in ein dreidimensionales Skelett verwandelt, mal in einen gestirnten Himmel, in ein weinendes und alterndes Frauenporträt oder in einen blutigen Fleischklumpen voller Menschenmaden. Zusammen mit dem Bühnenbildner Alfons Flores hat Franc Aleu einen alptraumartigen, surrealen, an die alten Meister Breughel und Bosch erinnernden phantasmagorischen Raum geschaffen, der sich als perfekte Landschaft für die Alptraumoper "Le Grand Macabre" von György Ligeti erweisen wird.
Selten erlebt man im Musiktheater eine so organische Korrespondenz von Klang, Gesang, Spiel und Bühne wie bei dieser Brüsseler Inszenierung, geschaffen vom La-Fura-dels-Baus-Mitglied Alex Ollé und von Valentina Carrasco. Selten auch erlebt man Sänger, die sich in Mimik und Bewegung so schonungslos von der Energie der Musik treiben lassen wie hier: Die Figuren als Marionetten des Orchesters. Die amerikanische Sopranistin Barbara Hannigan als Venus und Chef der Geheimpolizei schwebt und springt durch Breughelland wie ein Zeichentrick-Proteus und legt dabei sicher, präzise und leicht die irrwitzigsten Solopassagen hin.
Überhaupt kann man diese Oper über den drohenden Untergang einer verkommenen Welt kaum besser besetzen. Werner Van Mechelen singt den Sensenmann Nekrotzar, den Großen Makabren, der den Todeskometen prophezeit mit dämonisch aufgeplustertem Bariton. Chris Merritt intoniert den hohen Buffotenor des versoffenen Piet vom Faß mit hohlem Glanz. Frode Olsen gibt seinem läppischen Astrologen Astradamors den passenden läppischen Bass. Dann: Ning Liang als schneidige Mescalina, die ihren Astrologenmann auspeitscht und sich von Nekrotzar vergewaltigen lässt. Der brillante Countertenor Brian Asawa als infantiler Prinz Go-Go. Die zynischen Minister, das Liebespaar - man müsste sie eigentlich alle nennen, wenn die Zeit reichte.
Die Kostüme des Liebespaares übrigens hätte Körperwelten-Plastinator Gunther von Hagens nicht fleischiger hinbekommen. Die egomanisch Liebenden verwurschten sich ineinander mit ihren freiliegenden Muskel-, Sehnen- und Fettsträngen, was Lluc Castells ihnen genäht hat - ein Kostümmeister der grotesken Imagination.
Unter der musikalischen Leitung von Leo Hussain ist Ligetis "Le Grand Macabre" zu einem wuchtigen, grotesken und vergangenheitsgesättigten Klangwunder erwacht. Die Zitate der barocken, klassischen, romantischen und populären Tradition hat Hussain sorgfältig herausgearbeitet und die vertrackte Partitur zum Erzählen gebracht.
Die erstarrte Claudia auf dem Video vom Anfang kann im Film am Ende wieder lächeln. Sie hat den Untergangsschrecken nur geträumt. Die Moral von der Geschichte: Wir alle sind die gleichgültigen Claudias dieser Welt, die sie zerstören. Das ist nicht besonders originell, aber die Bilder und Klänge des Alptraums wirken kräftig nach.
Infos:
Die Oper "La Monnaie" in Brüssel