Archiv


Figuren wie kränkliche Untote

Den Menschen des Barock entdecken - das will die diesjährige RuhrTriennale. Mit dem Stück "Das Leben ein Traum" des barocken spanischen Hofdichters Calderón de la Barca beginnt die künstlerische Auseinandersetzung. Dramaturg Koen Tachelet hat den Text entschlackt und Leerstellen geschaffen: für musikalische Surrealismen und manchmal allzu viel Psychologie.

Von Karin Fischer |
    Die Maschinenhalle Zweckel bei Gladbeck ist der ideale Raum für das Calderónsche Welt-Theater; das barocke "Die Welt ist Bühne" wird hier sofort einsichtig, zum Beispiel über Symmetrien: je 13 große Rundbogenfenster bilden die Längsseiten des ehemaligen Kraftraumes, der von einem Gleis für Publikum und Bühne exakt halbiert wird. Bunter Kachelboden, bröckelnde Fassaden und ein Riesen-Räderwerk, das aussieht wie eine versenkte Kardanwelle gehören zu dieser wirklichen Welt der Industriekultur, die von übermenschlichen Kräften, aber auch Tod und Vergänglichkeit spricht.

    Ein paar schäbige Bühnenutensilien - ausgestopfte Tiere, Plastikstühle, versehrte Stoffleiber im Eck, spiegeln das Vanitas-Motiv. Ebenso die ausgesucht heruntergekommenen Kostüme der Schauspieler: in Militärdecken statt Königsmäntel, in Flipflops und Turnschuhen, mit Halskrausen, geflickten Wämsen und lädierten Rockschößen mimen sie offenbar schon sehr lange barockes Schicksal. Diese Truppe ist nicht angetreten, ein Lehrstück zu geben, sondern leidet zuallererst mal an sich selbst. Sechs Musiker und der Tenor Christoph Homberger spielen das Vergänglichkeitsmotiv musikalisch durch und verleihen der Aufführung den passenden sakralen touch, mit Chorälen vom "allerletzten Glokenschlag" oder mit Musik von Peter Vermeersch wie aus einer ganz anderen Welt:

    Calderón de la Barcas "La vida es sueno" gilt als Prototyp des Barockdramas, weil es - jenseits von Prunk und Schwulst - praktisch alle Themen der Zeit beinhaltet: die Überzeugung von der Scheinhaftigkeit der Welt, die Frage nach der guten Herrschaft, der göttlichen Ordnung und der Willensfreiheit. Prinz Sigismund, der polnische Thronfolger, wird in einem Turm gefangen gehalten, weil sein Vater, König Basilius, den Sternen glauben schenkte, die bei Sigismunds Geburt besagten, als Monarch würde er nur Terror und Tyrannei verbreiten.

    Trotzdem stellt der König ihn auf eine Probe, die eben dies beweist: Sigismund ist wie ein Tier, ein Triebtäter, ein Mörder, und muss wieder in den Turm. Als er dort aufwacht, glaubt er, alles nur geträumt zu haben, und dieser Glaube - dass das Leben ein Traum ist, und jede Macht nur geliehen - lässt ihn erkennen, dass er auch die Freiheit hat, sich für das Gute zu entscheiden. Er bekommt seine zweite Chance.

    Das ist in Caldérons blumiger und mit Bildern überladener Sprache heute natürlich nicht mehr zu machen, weshalb Dramaturg Koen Tachelet den Text radikal entschlackt und damit Leerstellen geschaffen hat: für musikalische Surrealismen und manchmal allzu viel Psychologie. Die Figuren wirken wie kränkliche Untote, tauchen auf wie Schlafwandler; langsam erst entwickelt sich überhaupt ein Drama, statt dessen nehmen sie die Sache musikalisch, spielen Echos, pfeifen wie Vögel. Das Schönste überhaupt aber ist die eigentümliche Musikalität ihrer belgisch-dialektal eingefärbten Sprache. Im schwachen Körper des Königs - Steven Van Watermeulen unter der Militärdecke - hat das lang verdrängte Geheimnis schon länger gewütet; eine hinzu erfundene Königin - Betty Schuurmann wandelt als Geist im weißen Hochzeitskleid durch die Szenerie - spielt die kommentierende Analytikerin:

    Basilius: "Er lebt, gebannt in Stein und Eisen. Als Sorgenkönig geb ich meine Zweifel hier bekannt. Verlieh mir Gott das königliche Recht, mir meinen Sohn zum Knecht zu zwingen, der Tyrannei zuvor zu kommen als Tyrann, beging ich Mord - aus Angst vor Mord."

    Die Königin: "Tyrannei - Gewaltherrschaft - bist du so allein?"

    "Du hast Recht. Ich hatte Angst. Todesangst. Geh nicht weg."

    Da lässt Freud schön grüßen, auch schön ins Bild gesetzt, wenn Sigismund zum zweiten Mal auf seiner Bahre hereingerollt wird, von Erde und Dreck überhäuft. Doch Johan Simons will mehr zeigen als den Konflikt zwischen Triebstruktur und Willensfreiheit. Es geht hier auch um eine kollektive, zeitlose Krankengeschichte, wie die Papiertüte über dem Kopf von Sigismund, ein Bild aus Abu Ghraib, oder das Fidel Castro-Plakat an der Wand zeigen oder der Moscheegesang, mit dem ein bisschen Islamismus herbei zitiert wird.

    Das kann man platt finden; aber hier trifft der Inszenierungsstil des Regisseurs haarscharf den Bauplan des Stücks. Es geht schließlich um Probehandeln. Johan Simons Regie entwickelt eine ebenso reizvolle wie gefährliche Lakonie, die öfter auch schon in langweiliges Text-Theater abgerutscht ist, bei "Fort Europa" zum Beispiel. Glücklicherweise hält Calderón noch ein bisschen Revolution bereit, dann kommen endlich auch die lädierten Puppen zum Einsatz und ein bisschen Slapstick. Merke: wenn die Welt nur Theater ist, dann ist Theater auch nur die halbe Welt. Die andere Hälfte ist das Gemäuer der Maschinenhalle Zeche Zweckel. So ist die RuhrTriennale in ihrer ersten Produktion wieder ganz bei sich selbst.