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Fiktive Anreicherung

Kernenergie. - Im sibirischen Sewersk, wo einst die Sowjets Uran für ihre Atombomben herstellten, lagern heute nach Recherchen der Zeitung "Libération" und des TV-Senders Arte giftige Atommüllabfälle aus Deutschland und Frankreich. Die Wissenschaftsjournalistin Dagmar Röhrlich berichtet im Gespräch mit Gerd Pasch.

14.10.2009
    Pasch: Frankreich deckt etwa 80 Prozent seines Strombedarfs aus der Kernenergie. Aber ein Endlager für hoch radioaktiven Müll aus seinen Kraftwerken hat Frankreich nicht. Oder noch nicht. Der französische Erzeuger EDF recycelt nach eigenen Angaben 96 Prozent des verbrauchten Brennstoffs aus den Atomkraftwerken, doch die Zeitung "Libération" und der deutsch-französische TV-Sender Arte berichteten jetzt, das etwa 13 Prozent der Abfälle nicht in französischen Zwischenlagern, sondern in Sibirien landeten. Dagmar Röhrlich hat nachgefragt, willkommen jetzt im Studio! Von welchen Abfällen ist denn da die Rede, Frau Röhrlich?

    Röhrlich: Es sind Abfälle, die aus La Hague stammen. Seit Mitte der 90er-Jahre wird das Restmaterial aus der Wiederaufbereitung dort nach Sibirien geschafft, wahrscheinlich in Form von Uranhexafluorid. Das ist ein gasförmiger Stoff, der fest wird, wenn ich Druck darauf gebe. Dann würde er also in Fässer gesteckt, wo auch Druck ist, und dann nach Sibirien geschickt, nach 8000 Kilometern zur Stadt Sewersk, besser bekannt als Tomsk-7. Dort wurde das Uran für die sowjetischen Atombomben hergestellt.

    Pasch: Jetzt liegt es da irgendwo in einem Hof rum - was passiert denn da?

    Röhrlich: In Sewersk arbeitet eine Anreicherungsanlage. Darin wird normalerweise Natururan soweit angereichert, dass ich es für Brennelemente benutzen kann, und der Rest ist dann Abfall. Da ist dann abgereichertes Uran drin, das wiederum ein Wertstoff ist, je nachdem, wie zum einen die Weltpreise für Uran sind, und zum anderen halt auch, wie die Strompreise sind, weil dieser Prozess sehr viel Strom frisst. In Tomsk sind die sehr niedrig, sodass ich dieses Uranhexafluorid einfach noch mal durch die Anlage schicken kann und dann noch mal neues Material bekomme, das wieder für Brennelemente taugt. Den Rest stellt die Firma dann wieder gerne auf den Hof - dann hat man was für Zeiten, in denen der Uranpreis sehr hoch ist. Und das ist in den letzten Jahren so Usus geworden. Der Kunde, der das Zeug dorthin schickt, hat den Vorteil: Er muss keine großen Abfallmengen handeln, und die Firma selbst kann dann sagen: Gut, wenn der Preis stimmt, kann ich noch mal an das Ganze herangehen. Aber das ist für diese Abfälle aus Frankreich nicht der Fall, gilt das so nicht.
    Pasch: Was gilt denn da?

    Röhrlich: Diese Abfälle aus Frankreich sind WAUs, das ist Wiederaufarbeitungsuran. Das ist also kein reines Uranhexafluorid, kein reines Uran, was dorthin kommt, sondern da sind Abfälle drin wie Technetium, da sind Uranisotope drin aus der Wiederaufarbeitung, die nicht in Brennelemente reindürfen, weil sie natürlich nicht vorkommen. Diese Stoffe dürfen einfach nicht weiterverarbeitet werden. Aber wenn ich die jetzt in eine normale Anreicherungsanlage hineingeben würde, dann würde ich die damit vollständig kontaminieren. Ich müsste sie im Prinzip bis zur letzten Schraube sauber machen. Das will natürlich keiner, also findet da eine Art fiktive, theoretische Anreicherung statt dergestalt, dass man halt das Zeug dort anliefert, die Firma stellt es auf den Hof, lässt es dort schön altern, und Frankreich bekommt dann dafür normales Uran zurück, was halt aus dem klassischen Natururan herausprozessiert worden ist.

    Pasch: Fiktive Anreicherung - fiktive Gefährdung oder konkrete Gefährdung? Was steckt da in dem Material?

    Röhrlich: Das Material, was da jetzt steht, ist in diesen Fässern. Es steht ungeschützt dort, das ist übrigens auch hier der Fall: Auch in Deutschland oder Frankreich steht dieses Uranhexafluorid einfach rum, in Deutschland in Gronau. Dort wartet es dann auf die Anreicherung. Hier ist jedenfalls alles mit Sensoren bestückt, falls etwas passiert in einem Fass. Ob das jetzt in Russland der Fall ist, das weiß man nicht so genau. Das Uran ist schwach bis mittel aktiv. Es ist also nicht so, dass da etwas unheimlich Strahlendes freigesetzt würde, aber das ist dann natürlich ... Flusssäure wird freigesetzt, und wenn ich die dann mit Wasser verdünne, damit ich halt einfach keine große Kontamination bekomme, dann ist es so, dass ich den Bereich, wo dieses Zwischenlager ist, ja dann mit Uran kontaminiere. Man hat in Gronau Berechnungen gemacht, dass es auf diesen Bereich dann auch konzentriert bleibt, dass also nichts groß rauskommt. Aber es ist natürlich so, dass dort ein Abfallstoff, mit dem man wirklich nichts anfangen kann, nur aufgrund der französischen Gesetzgebung wiederverwerten soll, und dort würde halt auch nicht wiederverwertet, sondern man hat dies Abfallproblem einfach woanders hin verlagert.

    Pasch: Macht diese Prozedur Sinn?

    Röhrlich: Nein. Man sollte es schlicht und einfach endlagern, und das gilt auch für die deutschen Abfälle, die auch aus der französischen Wiederaufarbeitung dorthin gekommen sind. Wir haben keine Ahnung, wo die sind. Sie entstehen natürlich auch beim deutschen Material, Deutschland muss den Stoff zurücknehmen. Es handelt sich um 5000 bis 6000 Tonnen WAU, und kein Mensch weiß, wo die eigentlich geblieben sind.