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Filigran und spitzzüngig

Maeve Brennan ist dafür bekannt, schnörkellos in seelische Abgründe zu schauen. Doch in ihrem neuen Band - zwölf Erzählungen aus dem Irland der 50er-Jahre - und überrascht die Autorin mit ungewohntem Humor.

Eine Besprechung von Sabine Peters |
    Maeve Brennan, die von 1917 bis 1993 lebte, gehört zu den Autorinnen, vor deren Blick sich ihre Zeitgenossen vermutlich gefürchtet haben. Elegant und schonungslos-präzise, maliziös und schnörkellos zeigt sie immer wieder auf deren seelische Abgründe. Hinter den bürgerlichen Fassaden lauern Missverständnisse, Verzweiflung und Vergeblichkeit. Kleingeistigkeit und Engherzigkeit, Machtgier, Egoismus, Resignation und unterdrückte Wut, wo man auch hinsieht: Die Gestalten, die Maeve Brennan in ihren Erzählungen und Novellen aufspießt, sind nicht sonderlich liebenswert und sollen es auch nicht sein. Aber sie werden derartig filigran und spitzzüngig gezeichnet, dass die Autorin im englischsprachigen Raum mittlerweile längst als literarische Wiederentdeckung gilt.

    Brennan verließ ihre irische Heimat als junge Frau und ging in die USA; dort schrieb sie regelmäßig Kurzgeschichten und Essays für das renommierte Magazin "The New Yorker". In Deutschland ist soeben der vierte Band unter dem Titel "Der Morgen nach dem großen Feuer" erschienen. Er umfasst zwölf Erzählungen aus den fünfziger Jahren, die allesamt in Irland spielen.

    "Plagegeist": Mittelpunkt eines altehrwürdigen großen Dubliner Hotels ist Mrs. Ramsey, Wärterin der Damentoilette. Schwabbelig und plattfüßig thront sie in ihrem Reich, von allen gefürchtet. Die amerikanischen und englischen Gäste, die den Ort aufsuchen, geben ihr überreichliche Trinkgelder, bezeichnen ihre Grobheiten als Humor und nennen sie anbiedernd ein Original. Mrs. Ramsey verbreitet bösartigen Tratsch und intrigiert nach allen Seiten, bis eine neu angestellte Direktionsassistentin auftaucht. Eine straffe Persönlichkeit, deren Ordnungssinn so weit geht, dass sie gern nachts die Gäste in ihren Betten geraderücken würde. Ohne viel Federlesens entmachtet sie Mrs. Ramsey.

    Brennans psychologischer Realismus zeigt, wie selbstherrlich und dabei ungenau Leute denken und fühlen; wie sie sich an Tatsachen vorbeidrücken.

    So in der Erzählung "Bohemiens": Ein Ehepaar, sie ist Musiklehrerin, er ein Rezitator, der an Schulen herumtingelt. Beide träumen davon, künstlerisch groß rauszukommen. Als ihr kleiner Sohn bei einer ihrer Soireen ein schwülstiges selbstverfasstes Gedicht vorträgt, sind alle drei begeistert. Keinem von ihnen gelingt der künstlerische Durchbruch. Nach dem Tod der Eltern schlägt sich der Sohn als schlechtbezahlter Beamter durch, ohne seine ruhmvollen Anfänge je zu vergessen. So kommen gelegentlich weitere jämmerliche Gedichte zustande, in denen es um die Größe der Kunst und die Widrigkeit des Lebens geht.

    Mehrere Texte im neuen Band erzählen von den eigenen Kindheits- und Jugenderlebnissen.

    Und in Brennans Irland spielt natürlich auch die Institution Kirche eine wichtige Rolle. Das ungerührte kleine Mädchen Maeve fragt sich, ob die Nonnen das Schweigegebot brechen, wenn sie im Schlaf reden - ist das eine Sünde? Natürlich kann ein Kind "sophisticated" sein, und die Haarspalterei lernt es spätestens in der Klosterschule: Schwester Oberin findet in Maeve und zwei weiteren Schülerinnen Sündenböcke, die sich im Gesangsunterricht zu wenig Mühe geben. Sie drangsaliert die drei, bezeichnet sie als Krückstöcke des Teufels, zwingt sie, auf der Empore, dem "Blutgerüst" allein vorzusingen - und die verängstigten Schülerinnen finden nicht einmal den Mut zum Beten. Natürlich bringen sie nur elendiges Gekrächz heraus und haben damit Gott beleidigt. Die Schülerinnen verstehen, dass der Teufel gesiegt hat - denn wenn Gott gewollt hätte, dass sie singen könnten, wäre es natürlich gelungen.

    Brennans bisherigen Bücher zeichneten die Ehe als eine ewige Hölle, sie zeigten Gestalten, die in ihrem Glücksstreben und ihrer Suche nach Sinn zielsicher in die Irre, genauer, ins Leere gingen. Auch im neuen Buch scheitern die Figuren überwiegend, und doch hat man nach der Lektüre der besten Erzählungen den Eindruck von Bildern, die in aller Düsternis leuchten. In den weniger gelungenen, etwas schematischen Erzählungen wird die Spitzzüngigkeit zu einem letztlich belanglosen Sticheln, als ginge es nur um die Attitüde an sich, als habe die Autorin eine Pflichtübung erledigt.

    Überraschend im neuen Buch ist der gelegentlich aufblitzende humorvolle Ton, der verglichen mit den bisher erschienenen Bänden nicht eben typisch ist - eine weitere Facette in Brennans Werk, um die man froh ist. Und in der Erzählung "Das Fass der Gerüchte", in der von der seltsamen Begegnung des kleinen Bruders mit Ordensfrauen die Rede ist, hört man einen Tonfall, der nun nicht mehr distanziert ist, sondern zugeneigt. Eine Zartheit, die ohne Spitzigkeit auskommt, ein unerwarteter warmer Windstoß - aber als dürfe sie sich nicht all zu lang in Freundlichkeit aufhalten, kehrt die Erzählerin gleich wieder zum skeptisch- abgeklärten Gestus zurück.

    Die meisten Erzählungen zeigen eine gepflegte Raffinesse, eine Prägnanz und Stilsicherheit, die man so nicht häufig findet. Brennan kommt bei aller Schärfe ohne Arroganz aus, und natürlich nimmt sie auch sich selbst aufs Korn. "Angriff ist die beste Verteidigung", sagen viele ihrer unterkühlten, atmosphärisch dichten Texte. Das heißt, es gibt etwas, was verteidigt werden muss. Noch die kleinlichste, garstigste Toilettenfrau mit ihrem beschränkten Horizont besteht unbändig, unbedingt auf ihrer Weltsicht, ihren Gefühlen - unabhängig davon, wie viel die mit "Wirklichkeit" zu tun haben. Brennan geriert sich mitleidlos, aber dann baut sie an unerwarteten Stellen behutsam Andeutungen ein, halbe Sätze, - und als Leser versteht man, dass noch der glücklose Griesgram, die unsichere Ehefrau alles Recht auf Mitleid, zumindest aber auf Achtung haben.

    Maeve Brennan: Der Morgen nach dem großen Feuer. Erzählungen. Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser. Steidl-Verlag, 160 Seiten, 16 Euro