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Authentisches Bild von Schillers Liebe zu dritt

Charlotte und Caroline sind die Schwestern, in die sich der Dichter Friedrich Schiller im Sommer 1788 verliebte - in beide. Dominik Graf hat diese aufregende Dreiecksbeziehung verfilmt. Dabei erweist er sich als ein sinnlicher Filmemacher, der jene historische Epoche eindrucksvoll zum Leben erweckt.

Von Rüdiger Suchsland | 26.07.2014
    Hannah Herzsprung (links, als Caroline von Beulwitz), Florian Stetter (Friedrich Schiller) und Henriette Confurius (Charlotte Lengefeld) in Weimar während der Dreharbeiten von Dominik Grafs Film "Die geliebten Schwestern".
    Hannah Herzsprung (links), Florian Stetter und Henriette Confurius bei den Dreharbeiten in Weimar (dpa / picture alliance / Martin Schutt)
    Sie müssen beide gleich faszinierend gewesen sein, schön und klug, charmant und leidenschaftlich, diese beiden Schwestern Charlotte und Caroline von Lengefeld. "Weisheit" und "Glut" waren die freundschaftlichen Code- und Kosenamen, die ihnen immerhin kein Geringerer gab als der Dichter Friedrich Schiller. Im stürmischen Sommer 1788 lernte er sie kennen und verliebte sich Hals über Kopf in sie - in sie beide.
    "Geliebte Schwestern" heißt der neue Film von Dominik Graf, in dem der Regisseur, der hier auch das Drehbuch schrieb, die Geschichte dieser Liebe zu dritt erzählt und eine Form von Zwischenmenschlichkeit, von geselligem Austausch wiederauferstehen lässt, der in seiner Andersartigkeit so fremd ist wie bezaubernd:
    "Der Weimarer Hof ist mir egal. Diese Welt ist nicht die meine: Ironie, Koketterie - dafür bin ich viel zu schlicht gemacht."
    "Nicht schlicht. Ihr seid aufrecht - das ist etwas anderes."
    "Lollo, ich kann mir auch bei Ihnen nicht vorstellen, dass Sie sich in der dünnen Hofluft in Weimar gefallen. Ist es nicht die pure materielle Not, die uns in die Welt der falschen Töne zwingt. Die Lüge, die ganze widernatürliche Schauspielerei am Hof."
    "In dieser Gesellschaft ersticken wir doch. Wir wissen dort doch im Handumdrehen nicht mehr, was wir wollen, was wir fühlen."
    "Er zeigt Reue."
    "Ich liebe Sie beide: Caroline, Charlotte - ich kann mich nicht mehr von ihrer Seite fortdenken. Verzeihung."
    1800, Goethe und Schiller
    Graf nimmt die ganze Epoche um 1800 in den Blick: Historisch weitgehend verbürgt zeigt er, wie die Oberschicht Französisch parliert; er zeigt wie Goethe, als "Gigant von Weimar", gewissermaßen schon der alternde Rock-Star aus den Jugendtagen der 40-Jährigen, erstmals auf den jungen aufstrebenden Schiller trifft, den er zwar schätzt, neben dem er aber auch endgültig alt und unverhofft irgendwie von gestern aussieht. Er zeigt, wie beide Literaten für ihre Zeitgenossen echte Celebritys waren, deren Anwesenheit für Menschenaufläufe und spontane Nervenkrisen sorgte: Frauen fielen beim Anblick der Poeten in Ohnmacht oder im Einzelfall sogar aus dem Fenster.
    Graf, erfahren in Kino wie Fernsehen, ist allemal einer der besten deutschen Regisseure. In diesem Werk erweist er sich auch als ein sinnlicher Filmemacher, der eine historische Epoche derart zum Leben erweckt, dass sie nicht steril, nie als "Kostümfilm", sondern immer ganz von Hier und Heute wirkt.
    Authentisches Zeitbild
    "Geliebte Schwestern" ist zugleich ein wunderbares, faszinierendes, sehr authentisches Zeitbild, in dessen Hintergrund die Französische Revolution tobt, sich aber auch eine Medienrevolution ereignet: Massenbuchdruck und moderne Zeitung werden erfunden. Auch etwas Analoges zur E-Mail und SMS-Kommunikation gab es schon um 1790: Der Postillion kam bis zu zwölf Mal am Tag, und so schmierte und kleckste man laufend das Büttenpapier voll, parfümierte seine intimen "Noten" noch höchst passioniert und schickte sie versiegelt von Haus zu Haus, von Straße zu Straße.
    Graf zeigt diesen rasanten, so knappen wie pathetischen Austausch immer wieder in Großaufnahmen: Kaum leserlich, doch in der Schrift liegt die ganze Emotion - manchmal überschlägt sich dieses Kommunizieren, es wird übereinandergeschrieben, durcheinandergeredet, und Graf montiert diesen wilden Austausch zu einem virtuosen Taumel der Worte.
    "Liebste sehnlich vermisste Caroline ..." - "Du fehlst mir unendlich, Liebste, Du fehlst mir jeden einzelnen Tag ..."
    Im Zentrum steht aber das Verhältnis der Schwestern zueinander und zu Schiller und in alldem eine überaus progressive Liebesutopie: die Ménage-à-trois. Trotz aller Zwänge erscheinen diese Menschen auch im Vergleich zur Gegenwart überaus frei und innerlich unabhängig. Durchweg überzeugen auch die Darsteller: Hannah Herzsprung und Henriette Confurius als Schwestern sind so bezaubernd wie intensiv wie eindringlich. Florian Stetter als junger Schiller verbindet Ernst und Idealismus mit eleganter Leichtigkeit.
    Stilistisch orientiert sich Graf erkennbar an französischen Vorbildern, besonders an François Truffaut: "Zwei Engländerinnen und die Liebe zum Kontinent" hieß Truffauts ähnliche Geschichte; klarerweise denkt man auch an "Jules und Jim". Irgendwann ist der Punkt erreicht, und "Geliebte Schwestern" könnte ewig dauern; man möchte nicht, dass er zu Ende geht, so wie man auch nicht möchte das das Leben und die Liebe zu Ende gehen.