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Film "Der Medicus"
Spannendes Unterhaltungskino

Philipp Stölzl hat Noah Gordons Mittelalterroman "Der Medicus" verfilmt und beweist damit einmal mehr sein vielseitiges Regietalent. Der Film hat ein feines Gespür für die unterschiedlichen religiösen, weltanschaulichen und kulturellen Milieus und deren Interaktion.

Von Christoph Schmitz | 26.12.2013
    "Jeden Morgen einen Löffel Kaninchenasche und euer Bauchgrimmen ist verflogen. Bei Vergesslichkeit - tragt die getrocknete Zunge eines Wiedehopfs an eurem Hals. Dies ist ein ganz besonderer Trunk."
    So klingt das mittelalterliche Medizinangebot auf dem Jahrmarkt. Keine Frage, „Der Medicus“ ist Unterhaltungskino. Aber ein sehr gutes. Und das ist bekanntlich eine Kunst für sich. Ein Kostümfilm auf einem so hohen, aufwendigen und technisch ausgefeilten Niveau zu liefern, ist eine große Leistung. Die Panoramen der dampfenden englischen Landschaft im Jahr 1021 mit ihren armseligen Dörfern und elenden Bergwerkssiedlungen und die vom Überlebenskampf und Krankheiten gezeichneten schmutzigen Gesichter wirken verblüffend echt.
    Auch die Reise des jungen Rob Cole weg von seinem englischen Heilpraktikerlehrer über Ägypten nach Isfahan in Persien zum berühmten Arzt und Gelehrten Ibn Sina, bei dem Rob Medizin studieren wird, die Stadt Isfahan selbst, die Gassen, Märkte, Moscheen, Synagogen und der Palast des Schahs - das alles atmet und lebt.
    In Hollywood hätte man das optisch nicht besser hinbekommen, dank Kameramann Hagen Bogdanski, der auch schon Florian Henckel von Donnersmarcks „Das Leben der Anderen“ gefilmt hatte. Aber dieser Historienschinken sieht nicht nur gut aus, er hat auch was zu erzählen, von damals und metaphorisch von heute. Das liegt natürlich auch an der Romanvorlage. Der Schah von Isfahan ist zwar ein Tyrann, aber ein liberaler.
    Er beschützt die Juden in seiner Stadt und er fördert die Wissenschaften. Das Wissen der Menschheit von der Antike bis in die Gegenwart wird an seiner Madrassa gelehrt. Sie ist ein Ort der umfassenden Gelehrsamkeit und Toleranz. Geleitet wird diese arabische Universität vom bis in die Renaissance berühmten und historisch verbürgten Universalgelehrten Ibn Sina, der auch eine Krankenstation betreibt, souverän gespielt von Ben Kingsley:
    "Karim, Mirdim, ich hoffe doch, ihr führt euren hitzigen Diskurs im Dienste des wissenschaftlichen Fortschritts. Wie geht es dem Kopf unseres Reisenden vom anderen Ende der Welt?"
    Rob Cole: "Gut, schon viel besser. Danke Herr."
    Ibn Sina: "Oh, danke deiner Jugend. Sie wirkt Wunder, die kein Medicus vollbringt."
    Glaubwürdige Charaktere
    Aber die geistlichen Führer des Reiches wittern überall nur den Verrat am wahren Islam und leiten Aufstand und Vertreibung ein. Hinzu kommen private Liebes- und Ehegeschichten, etwa die leidenschaftliche Beziehung Robs zur verheirateten Jüdin Rebecca. Um all diese Figuren und Fäden zu entwickeln und zu verknüpfen, braucht der Roman von Noah Gordon fast 900 Seiten. Der Regisseur Philipp Stölzl hatte gerade einmal zweieinhalb Stunden Zeit, aber die nutzt er bestens.
    Den Roman gebraucht er allerdings nur als Grundlage. Viele eigene Erzählfäden und neue Motive und Figuren hat er eingesponnen. Seine Charaktere können jedenfalls reifen, und ihre Reifungsprozesse wirken trotz des raschen Voranschreitens der Geschichten immer glaubwürdig. Der Film hat ein feines Gespür für die unterschiedlichen religiösen, weltanschaulichen und kulturellen Milieus und deren Interaktion. Er verliert nie den erzählerischen Rhythmus und vor allem, er hält über die Zeiten, Räume und mannigfachen Konflikte eine dramatische Spannung. Die generiert er aus Rob Coles Kindheitstrauma, dem Tod seiner Mutter.
    Er möchte ihn in gewisser Hinsicht rückgängig machen. Er lässt sich zum Arzt ausbilden, der sie hätte retten können, mit einer Blinddarmoperation. Dem Film gelingt es, medizinische Entwicklungen, die sich über Jahrhunderte vollzogen, glaubwürdig der Biografie einer einzelnen Figur im Hochmittelalter einzuverleiben. Rob entdeckt, dass Flöhe die Pest übertragen und rettet Tausenden Bürgern das Leben. Widergesetzlich obduziert er heimlich eine Leiche, schaut systematisch ins Innere und kann mit seinem Wissen später den Schah von einem entzündeten Wurmfortsatz befreien.
    "Sehnt Ihr euch so sehr nach Krieg, oh Vollkommener? Die Seldschuken haben nichts zu verlieren als die Pferde unter ihren Sätteln, Ihr aber eine ganze Zivilisation.“
    Schah: "Ist dem so? Aber welcher große Künstler verherrlichte je einen friedliebenden Herrscher? Der Krieg allein wird unserem Namen unsterblichen Ruhm verleihen. Meinst du nicht auch?“
    Rob Cole: "Ich studiere die Heilkunde, oh Erhabener. Unsterblichkeit fällt nicht in mein Fach."
    Der britische Schauspieler Tom Payne dürfte mit der Rolle des Rob Cole den Anfang einer großen Karriere gemacht haben. Und Philipp Stölzl hat einmal mehr bewiesen, dass er ein vielseitiges Regietalent ist. Über Musikvideos, Opern und Bergsteigerfilme hinaus kann er auch Kostümkino.