
Die Nacht ist dunkel, einsam, kalt. Wer diesen Sound aus dem Film hört, wird kaum auf die Idee kommen, dass die Geschichte, die Jonathan Glazer in "Under The Skin" erzählt, von dieser Welt ist. Nein, ist sie nicht. Nicht? Doch, ist sie doch.
Ein Lieferwagen führt durch Schottland. Am Steuer Laura. Sie ist wunderschön, hat schwarzes Haar, blutrote Lippen. Die junge Frau sucht alleinstehende Männer.
"Ist echt verrückt, ne Frau zu treffen, die einen großen Lieferwagen fährt. Sicher, dass sie mit der Karre klarkommen?"
Männer wie dieser sind Lauras Beute. Sie spricht sie an in Klubs, auf Parkplätzen, lockt sie in ihren Lieferwagen.
"Finden Sie mich schön? - Ja, wahnsinnig schön. - Wirklich? - Ja, keine Frage."
Die Männer hoffen auf schnellen Sex.
"Und Sie haben keine Freundin? - Nein! Ich habe keine Freundin. Ehrlich."
Aber das Verführerische der Frau wird zur Falle. Und irgendwann bekommen wir mit, dass sie nicht von dieser Welt ist. Diese Laura. Laura ist ein Alien. Die Männer, die ihr folgen, werden in einer schwarzen Flüssigkeit versinken in irgendeinem Haus. Und Laura macht sich wieder auf die Jagd. Geredet wird kaum in "Under The Skin", ein Film, der allerdings kein Genrefilm ist. Das ist nicht Standard-Horror-Science-Fiction.
Denn in "Under The Skin" schauen wir mit dieser Alien-Femme-Fatale auf die heutige Welt, in der sie auf der Jagd ist. Wonach jagt sie? Wozu? Das, meint Jonathan Glazer, ist unerheblich.
"Es war spannend, die Dinge mit ihren Augen zu sehen, aus der Sicht eines Aliens. Obwohl wir während der Arbeit am Film davon abgewichen sind, sind wir immer zu diesem Motiv zurückgekehrt und erzählten die Geschichte aus ihrer Sicht. Es war eine Gelegenheit, Dinge anders wahrzunehmen."
Wir sehen als das schottische Glasgow, wo "Under The Skin" entstand, wir sehen Plätze, Einkaufszentren, Discos, Straßen, gefilmt mit kleinen Kameras; quasi dokumentarische Szenen, durch die dieses Alien, also der Mega-Star Scarlett Johansson, unerkannt streift. In einer Szene fällt Johansson auf einer Straße hin; die Passanten laufen zu ihr; helfen ihr auf. Dann geht sie weiter. Solch eine Reibung zwischen Realität und Fiktion, gibt "Under The Skin" den betörenden, den elegischen Ton.
Wir nehmen uns selber, die wir uns sehen, wie ein fremdes Objekt wahr. Das sind auch die Brechungen, die Mica Levi in ihrem betörenden Soundtrack widerspiegelt. Und das Ganze wird ein weiteres Mal gebrochen durch die emotionale Kälte, die von diesem nichtmenschlichen Wesen ausgeht. Wobei Scarlett Johansson für die Darstellung dieser Kälte wenig schauspielern muss. Kein Wunder: Wie jüngst in Luc Bessons Film "Lucy" oder hier bei Jonathan Glazer: "Die Johansson" ist inzwischen Ikone, damit ein künstliches Konstrukt. Und beide, die Schauspielerin wie die Außerirdische, die dieser Star spielt, sind natürlich nicht mehr von dieser Welt. Auch Scarlett Johansson ist in unserer Wahrnehmung keine Person mehr und damit also perfekte Besetzung für diese Alien-Frau, die am Ende, als sie ihre Kälte zu verlieren beginnt und Gefühle empfindet, in unserer Welt untergeht. Ist das die Botschaft von "Under The Skin". Regisseur Glazer weiß das natürlich genau:
"Es ist unmöglich, einen Alien zu zeigen. Aber man kann auf die Vorstellung davon, die Furcht davor anspielen. Sie ist keine Frau, sie ist ein Es. Und sie, oder es, ist mächtig. Ein gefühlloses Wesen. Wie das Meer."
"Under The Skin" ist ein hermetischer Film. Man muss sich auf seine Langsamkeit einlassen. Das irritiert manchmal auf dem kleinen Bildschirm zu Hause, wo dieser Film es mit seinen filigranen, dunklen Bildkompositionen abgespielt auf der DVD oder einer BluRay schwer hat. Deswegen empörten sich viele Filmliebhaber im Vorwege zu recht, dass Glazers Werk keinen deutschen Kinostart hat. Wenn ein Film den großen Bilder-Konzentrations-Raum Kino braucht, dann dieser. Nun hat sich eine Initiative deutscher Kinobetreiber gegründet, und diese Kinomacher wollen "Under The Skin" mit kleiner Kopienzahl zeigen. Welche Kinos von Aachen bis Wiesbaden dies sind, ist auf der Website undertheskin-film.de nachzulesen. Nun ja, aber natürlich gilt es, "die Frage" zu beantworten: Was ist denn nun das Ergebnis dieses alienhaften, dieses fremden Blicks auf uns. Die Antwort ist wohl keine Überraschung: Die Welt ist ein kalter, ein düsterer, ein einsamer Ort.