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Film der Woche: "Isle of Dogs"
Der Mensch ist des Menschen Hund

Bei Wes Anderson werden Hunde in einem fiktiven Japan der nahen Zukunft auf eine Müllinsel deportiert. In seinem neuen Stop-Motion-Animationsfilm "Isle of Dogs – Ataris Reise" hat der "Grand Budapest Hotel"-Regisseur eine verspielte, aber in ihrem Kern politische Geschichte gedreht.

Von Hartwig Tegeler | 07.05.2018
    Szenenbild aus "Isle of Dogs".
    Szenenbild aus "Isle of Dogs". (2018 Twentieth Century Fox)
    Angeblich, nach dem Ausbruch des Schnauzenfiebers:
    "Orkane infizierter Zecken, Würmer und Läuse bedrohen die Bürgerschaft."
    Angeblich.
    "Die Hundegrippe droht Spezies übergreifend in die Liste menschlicher Krankheiten Einzug zu halten."
    So trifft Herr Kobayashi, Bürgermeister von Megasaki City - mit Allüren zum Personenkult -, eine Entscheidung:
    "Per offiziellem Dekret wird Trash Island zur Exilkolonie."
    Und der erste Hund - wir befinden uns in Japan, irgendwann 20 Jahre nach unserer Zeit, der verbannt wird auf …
    "… die Insel der Hunde …" -
    … ist "Spots" - bester Freund von Atari, des 12-jährigen Mündels des Bürgermeisters. Sechs Monate später: Die auf der Insel ausgesetzten kranken Tiere - das Serum, das ein Wissenschaftler entwickelt hat, ignoriert Kobayashi einfach - kämpfen ums Überleben und die Essensreste, die über der Insel abgeworfen werden.
    Ohr abkauen wird zum Alltag
    "Bevor wir uns angreifen und in Stücke reißen wie ein Rudel Wahnsinniger, werfen wir doch erst mal einen Blick in den Sack und sehen nach, was drin ist. Vielleicht lohnt sich der ganze Stress gar nicht."
    Meint der eine aus einem Rudel, schlitzt den Sack mit den Abfällen auf und ...
    "Okay, lohnt sich"
    ... über den sich keilenden Hunde in ihrer Stop-Motion-Animationsgestalt steigt eine monumentale Staubwolke auf. Wo das Wort vom "Ohr abkauen" eine sehr sprichwörtliche Bedeutung gewinnt:
    "Ach, herrje, Igor. Ich glaube, er hat dir ein Ohr abgekaut."
    "Mmh, mmh."
    Dann gelangt der 12-jährige Atari auf die Insel, auf der Suche nach seinem geliebten Hund Spots. Und so machen sich der Junge und die Truppe um den Streuner "Chief" auf ihre abenteuerliche Reise, auf der auch die US-Austauschschülerin mit ihrer Schülerzeitung auf der Hauptinsel ein wichtige Rolle spielen wird. Im Kampf gegen den Bürgermeister, der aussieht und sich verhält wie ein Diktator.
    Wie gehen wir mit Tieren um?
    Natürlich stellt sich die Frage, ob unser Umgang mit den Tieren Ausdruck ist für den Grad unseres zivilisatorischen Bewusstseins. Der israelische Historiker Yuval Noah Harari, Autor von "Homo Deus", spricht von der "vielleicht dringendsten ethischen Frage für die Gegenwart", wenn er sieht, wie "Milliarden empfindungs- und leidensfähiger Lebewesen leben und sterben in den Fabriken unserer Agrarindustrie". Ein düsterer Ton, den Yuval Noah Harari anschlägt. Der Humor, der Witz von Wes Andersons "Isle of Dogs" können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch in dieser märchenhaft erscheinenden Geschichte dieses Films untergründig etwas Düsteres mit erzählt wird.
    Der cineastische Kosmos, den "Isle of Dogs" entwirft, wirkt künstlich, wirkt stilisiert in seiner Stop-Motion-Ästhetik, sieht mal aus wie ein japanischer Manga, dann wieder entwickelt der Film die überbordende Energie der alten Akira-Kurosawa-Filme. Alexandre Desplat gibt mit seinem japanisch trommelnden Soundtrack den Ton dazu. So wie "Grand Budapest Hotel" - Andersons Film von 2014 - ein Osteuropa zwischen den Weltkriegen entwarf, das wie zusammengesetzt schien aus Phantasien und Kino-Bildern, so wirkt auch das Japan der nahen Zukunft in "Isle of Dogs" wie ein Spielort, der Mythen, Bilder, Träume und viele Albträume kompiliert. Bis hin zu einem Eingangstor auf der Hundeinsel, das an Auschwitz erinnert.
    Parabel über Ausgrenzung
    Wes Anderson verdichtet seine Geschichte am Ende zu einer Parabel über Ausgrenzung, totalitäre Macht und den Versuch, das Fremde auszumerzen, indem man es vorher zu minderwertigem Leben deklariert. Das einzig Tröstliche: Die Zweibeiner und Vierbeiner dürfen ihre Heldenreise zu einem guten Abschluss bringen.
    Der Animationsfilm "Isle of Dogs – Ataris Reise" ist eine wunderbare Komödie, ein traumhafter Film über den "besten Freund des Menschen" und ein sehr politischer Kommentar über das Fremde, bei dem aber - "Isle of Dogs" ist eben auch sattes Kino -, bei dem diese "Susi und Strolchi"-Adaption - ohne Nudel - unbedingt sein darf. Und muss.
    "Ich bin Chief. Wer bist du?"
    "Ich dachte, du weißt alles über mich."
    "Du bist Nutmeg."
    "Dann kennst du mich am Ende doch."
    "Am Ende? Ja."