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Film der Woche
Roman Polanskis Meisterwerk "Intrige"

Der jüdische Offizier Alfred Dreyfus wurde fälschlicherweise wegen Spionage verurteilt. Roman Polanskis neuer Film erzählt die Geschichte des französischen Geheimdienstchefs Marie-Georges Picquart, der die Dreyfus-Affäre enthüllte. Eine historische Whistleblower-Geschichte mit Gegenwartsbezug.

Von Hartwig Tegeler | 04.02.2020
Eine Filmszene aus Roman Polanskis Film "Intrige".
Schauspieler Louis Garrel als Alfred Dreyfus in Roman Polanskis Film "Intrige" (www.imago-images.de)
Der größte Widerspruch der Figur, die im Mittelpunkt von Roman Polanski Film "Intrige" steht: Marie-Georges Picquart, der den Skandal um Alfred Dreyfus – französischer Offizier und Jude - aufdecken wird: Dieser Oberst ist selbst ein Antisemit. Die Komplexität seiner Hauptfigur bildet die Grundlage eines komplexen, großartigen Films, der allerdings kein bisschen eine staubige Geschichtsstunde in einfacher Schwarz-Weiß-Schattierung ist.
5. Januar 1895. Alfred Dreyfus, angeblicher deutscher Spion, verliert alle militärischen Ehren. "Und Achtung! Im Namen des französischen Volkes werden Sie degradiert!"
Antisemtisches Opfer
Am Anfang ist Oberst Picquart nur Zeuge; steht während der Zeremonie in der Reihe der anderen Offiziere; kommentiert wie die anderen: "Wie sieht er aus, Picquart? - Wie ein jüdischer Schneider, der weint, weil sein Gold im Müll landet."
Picquart – eindrucksvoll gespielt von Jean Dujardin- hat, wie viele aus dem Militärkorps, etwas gegen Juden. Es scheint für ihn eine Instinktsache, ein guter Ton. Ein anderer Offizier, der Dreyfus´ Entehrung und Degradierung beobachtet, raunt Picquart höhnisch zu: "Die Römer warfen den Löwen Christen zum Fraß vor. Wir geben ihnen Juden. Das nenne ich Fortschritt." Picquart nickt. Alfred Dreyfus wird zu lebenslanger Haft auf die Teufelsinsel verbannt.
"Ein Felsen, wo er ganz allein ist."
Picquart wird danach zum Chef des Geheimdienstes, der der den angeblichen Spion entlarvt hat. Aber seine Einschätzung der Verurteilung von Dreyfus,...
"Als hätte man einen gesunden Körper von etwas Verfaulten befreit."
...sie wird sich als vollkommene Fehleinschätzung erweisen. Das "Verfaulte" nämlich, das ist das Militär, sein Geist, sein Antisemitismus, der aber auch die ganze Gesellschaft durchzieht. Denn Picquart stößt auf ein Problem: Es werden auch nach Dreyfus´ Verurteilung weiter militärische Geheimnisse an die Deutschen verraten. Mit seiner Skepsis und seinen Zweifeln allerdings stößt der Offizier bei seinen Vorgesetzten auf Ablehnung. Sie wollen vertuschen.
"Ich verstehe Sie nicht, Picquart. Wir kennen alle Ihre Meinung über die auserwählte Rasse. Was macht es Ihnen aus, dass ein einziger Jude auf einem Felsen festsitzt. - Es macht mir etwas aus, weil er unschuldig ist."
Indizienprozess mit zweifelhaften Beweisen
"Intrige" handelt von Picquarts Kampf um die Wahrheit, denn die Verurteilung von Alfred Dreyfus basierte auf einem reinen Indizienprozess mit zweifelhaften, fingierten Beweisen, von denen einige im Militär wußten. So wird Polanskis Film zu einer Whistleblower-Geschichte, die zeigt, wie der Geheimdienst-Chef mit seinen Recherchen in ein Geschwür sticht, eines aus Antisemitismus, Machtgier und dem rücksichtslosen Bemühen, die Wahrheit zu vertuschen, wenn es denn der eigenen Machtposition dient. "Intrige" ist ein klassischer Erzähl-Film, ruhig und chronologisch inszeniert. In großen Teilen ein Kammerspiel, das in den historischen und riesigen Räumen der Macht in diesem Frankreich an der Wende zum 20. Jahrhundert spielt - Räume die wirken, als würden die Menschen in ihnen erdrückt werden. Als Picquart der Wahrheit zu nahe kommt, wird er schließlich kalt gestellt.
"Wenn Sie es auf sich beruhen lassen, wird es nie jemand erfahren. Was für ein verwerflicher Vorschlag. Sie wollen, dass ich dieses Geheimnis mit ins Grab nehme? - Aber natürlich!"
Ein politischer Historienfilm
Doch der widerspenstige Offizier wendet sich im Geheimen an den Schriftsteller Émile Zola, und der schreibt dann 1898 seinen berühmten offenen Brief "J´accuse! … Ich klage an …!", in dem er die Wahrheit über die Dreyfus-Affäre enthüllt. Die französische Republik steht danach kurz vor der Zerreißprobe. Wenn Polanski in seinem Film dann zeigt, wie der antisemitische Mob der Dreyfus-Gegner Zolas' Brief öffentlich verbrennt und die Scheiben jüdischer Geschäfte einschlägt, dann ist der Bogen gespannt zu den Pogromen, die gute drei Jahrzehnte später in Nazi-Deutschland stattfinden werden und in der Shoah enden. So wird ein Historienfilm politisch.
Für Roman Polanski, wie er sagt, ist Picquart "ein faszinierender und komplexer Charakter. Er ist kein aktiver Antisemit. Er mag keine Juden, aber das kommt mehr aus einer Tradition als einer Überzeugung." So Polanski. Nach der Dreyfus-Affäre wird Picquart schließlich Kriegsminister; der inzwischen rehabilitierte Dreyfus kommt – im Film - zu ihm, um einen angemessenen Offiziers-Posten einzufordern. Picquart lehnt das ab – vollkommen versteinert. Dass sein alter Abscheu gegenüber Juden in dieser Geste der Macht noch einmal zum Ausbruch kommt, diese Version schließt Roman Polanski bei seiner Hauptfigur nicht aus. "Intrige" rekonstruiert das komplexe Geschehen sehr genau, zeigt es über sein Figuren, aber gleichzeitig gelingt es Roman Polanski in diesen historischen Bildern über das Krebsgeschwür des Antisemitismus im damaligen Frankreich immer auch den aktuellen Bezug mitschwingen zu lassen und zu zeigen, wie das Vergangene nicht zu Ende gekommen ist. Wie in "Intrige" Vergangenheit und Gegenwart, Historisches und Aktuelles zusammenfließen, das macht Polanskis Film zu einem Meisterwerk.