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Film: "Die Frau des Polizisten"
Ein Mensch entsteht und ein Mensch versinkt

Weichgespülter Mainstream ist nicht die Sache von Philip Gröning. Zuletzt mutete der Filmemacher seinem Publikum einen fast drei Stunden langen Kinofilm über Karthäusermönche zu, in dem kein Wort gesprochen wird. Sein neuer Film "Die Frau des Polizisten" thematisiert ein anderes Schweigen: die Sprachlosigkeit angesichts häuslicher Gewalt.

Von Hartwig Tegeler | 19.03.2014
    Nach elf Minuten wird das erste Mal gesprochen in "Die Frau des Polizisten". Ein stummer Prolog also zu 179 Minuten Kinozeit, so kann man dieses erste Kapitel in diesem Film lesen. Keine Worte, kein Reden, Kommunizieren nur in Sackgassen hinein.
    "[Schlaggeräusche.] Du kannst nicht einfach aufstehen und mich sitzen lassen. Wie einen kleinen Jungen. Und ich such dich überall. Im ganzen Haus. Ich such dich überall."
    Philip Gröning erzählt in exakt 59 Kapiteln von einem großen Schweigen, nein, kein Schweigen, wie es sich die Karthäusermönche in "Die große Stille" aus Überzeugung, vielleicht auch aus Tradition, selbst verordneten - eigene Entscheidung. Hier geht es um ein lähmendes Schweigen. "Die Frau des Polizisten", ein formal sehr strenger Film, erzählt vielmehr von der Fassade und dem hinter der Fassade. Eine Kleinfamilie in einer Kleinstadt, harmonisch auf den ersten Blick, eine Tochter, das die Mutter in vollkommener Liebe aufzieht.
    [Mutter murmelt zur Tochter im Bett:] "Aufstehen. Da ist aber jemand müde. Guten Morgen."
    Doch als ob immer schon was schwelte, Perspektivlosigkeit des Polizistenjobs, geheime Eifersucht gegenüber der Nähe, die die Mutter zur kleinen Tochter hat, plötzlich bricht von da unten etwas hervor in dem Mann, dem Vater. Er fängt an, seine Frau zu schlagen.
    "Kannst du nicht aufstehen und gute Nacht sagen. Dass ich weiss, wo du bist. Dass ich weiss, wo du bist. Ist das zuviel verlangt."
    Immer weiter hinab in den Abgrund
    Ohne Psychologie, eher in der filmischen Beschreibung einer Struktur, langsam, von Kapitel zu Kapitel immer intensiver und brutaler, wird "Die Frau des Polizisten" zu einer düsteren, einer Albtraum-Meditation über häusliche Gewalt.
    "Christine, im Haus wird nicht geraucht." [Trommelt gegen die Tür. Tür bricht.]
    Die Gewalt, die dort stattfindet, hat keine Öffentlichkeit, kein Nachbar, der eingreift, keine Schwester, kein Bruder. Isolationszelle Kleinfamilie. Und die Mutter findet keine Chance auszubrechen. Sie will nicht, sie kann nicht, wie auch immer. Wir können uns empören über ihre Passivität. Aber Filmemacher Philip Gröning zeigt einfach. Es gibt keine Musik, keinen Soundtrack in diesem Film, der ohne Drehbuch entstand. Alexandra Finder und David Zimmerschied als Frau und Mann. Aber in dieser Familie wird am Anfang viel gesungen. Heimeligkeit. Noch.
    [Mutter singt:] "Heut' ist so ein schöner Tag, lalalala! Heut' ist so ein schöner Tag, lalalala! Weil ich dich mag."
    In Kapitel 11 singt die kleine Clara das Lied von St. Martin.
    [Clara singt:] "St. Martin ritt durch Schnee und Wind ... Oh helft mir doch in meiner Not! Sonst ist der bittere Frost mein Tod."
    Oh, helft mir doch in meiner Not!
    Oh, helft mir doch in meiner Not! Diese Zeile aus dem St.-Martin-Lied ist natürlich Sinnbild für den Hilferuf des Kindes und der Mutter, den aber keiner im Film ruft und den auch keiner außerhalb des Gewaltraums dieser Familie hören würde. Das ist die düstere, die gesellschaftskritische Botschaft des Films. Schweigen, Legitimierung.
    "Die Mama hat so eine Krankheit. Wenn man die Mama so kneift ein bisschen, oder sie sich irgendwo anstößt, dann kriegt die gleich so einen großen blauen Fleck."
    Die Frau wird geschlagen von ihrem Mann, der sich nach irgendwas sehnt, es nicht zu bekommen meint und nun los prügelt. Im Presseheft formuliert Filmemacher Philip Gröning den präzise-lakonischen Satz: "Das Streicheln über die Hand am Morgen," sagt Philip Gröning, "kann diese Beziehung über Jahre verlängern."
    "Die Frau des Polizisten" ist aufwühlend und anstrengend, aber nicht wegen seiner Länge. Das erscheint am Anfang nur so. Die Anstrengung, die Philip Grönings Film uns abverlangt, hat damit zu tun, dass wir seinen radikalen Blick aushalten müssen, wenn er zeigt - wie der Filmemacher selber sagt - wie ein Mensch entsteht und ein Mensch versinkt. Die kleine Clara entsteht in der Blase von Liebe, die die Mutter um sie baut. Die Mutter versinkt in der Blase von Gewalt. Aber vollends unerträglich - allerdings [mit Verlaub] dafür gehen wir ja überhaupt noch ins Kino, für diese Unerträglichkeit, für diese Intensität im dunklen Raum -, vollends unerträglich ist Kapitel 59, das letzte von "Die Frau des Polizisten". Clara, die kleine Tochter, erwacht. Nahaufnahme auf ihr Gesicht, sanft, kindlich. Dann - ohne Schnitt, ohne Effekt - verwandelt sich ihr Ausdruck in puren Schrecken. Keine Ahnung, wie man Kinder dazu bringt, so etwas zu spielen. Kein Schrei, keine Fratze, nein, der Ausdruck. Albtraum. Die Gewalt, die der Vater der Mutter antat ... Der Liebesraum, den die Mutter für die kleine Tochter auch als Schutzraum vor dem Vater schaffen wollte ... keine Chance. Natürlich ist "Die Frau des Polizisten" von Philip Gröning ein konzentrierter, strenger Horrorfilm.