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Film
Liebe kann Tore öffnen

In dem Thriller "Das Jerusalem-Syndrom" spielt die Schauspielerin Jördis Triebel eine Biologin, deren Schwester plötzlich glaubt, die "Mutter Gottes" persönlich zu sein. Petra Marchewka hat Jördis Triebel getroffen und wollte von ihr wissen, ob sie vor den Dreharbeiten schon mal etwas vom "Jerusalem-Syndrom" gehört hat.

Jördis Triebel im Gespräch mit Petra Marchewka | 11.12.2013
    Jördis Triebel: "Ich hab erst gedacht, dass es eine dramaturgische Idee ist, aber habe dann auch festgestellt durch Recherche und Gespräche, dass es dieses Syndrom wirklich gibt und war total fasziniert davon. Vor allem gibt es ja noch andere Syndrome. Es gibt das Paris-Syndrom, wo, ich glaube, in den meisten Fällen junge Japanerinnen eine Art Zusammenbruch erleiden, weil (lacht) Paris eben nicht nur dieses romantische Bild erfüllt, sondern eben nicht nur die schöne Stadt ist.“
    Petra Marchewka: "Also ich kannte das überhaupt nicht. Und es sollen ja wohl an die 100 Menschen jedes Jahr in Jerusalem heimgesucht werden von diesem Syndrom, von diesen Wahnvorstellungen, und anscheinend liegt das an dieser besonderen, spirituellen Atmosphäre, die einen da packt. Können Sie das nachempfinden?“
    Triebel: "Also nachempfinden, dass man jetzt unter diesem Syndrom leidet, wenn man diese Stadt besucht, kann ich nicht, trotzdem kann ich nachvollziehen, dass diese Stadt etwas mit einem macht, oder dieses Land auch speziell, hat's auch mit mir gemacht ..."
    Marchewka: "Was denn?"
    Triebel: "Also ich war vorher noch nie in Israel gewesen, und hatte auch immer schon ein ambivalentes Gefühl zu Israel, weil ich eben auch nicht wusste, was ist dieses Land. War immer interessiert, aber wie fühlt es sich an, wenn man da ist? Und so ging's mir halt auch, bevor ich dort hingefahren bin zum Dreh, dass ich ein mulmiges Gefühl hatte – weil zu der Zeit hat Israel ja auch die Waffenkonvois angegriffen – und nicht wusste, was ist die Antwort, was passiert in dem Land, was ist da für eine Stimmung? Ist da eine Aufregung, ist da keine Aufregung? Fühlt man sich sicher, wenn man da ist? Eben auch vor ein paar Jahren diese Bombenanschläge, also damit immer zu rechnen, also, was ist das für ein Land, in das man fährt? Einerseits. Andererseits natürlich die ganze Religionsgeschichte. Also erstmal schon mit Vorbehalt dahin gefahren, was erwartet mich da? Und war dann überrascht davon, was diese sechs Wochen mit mir gemacht haben, wie intensiv das war, das hatte mit verschiedenen Dingen zu tun, einerseits die Menschen, die mir begegnet sind, wo ich das Gefühl hatte, dass wie man aufeinander zugeht, wie man ins Gespräch kommt, hat nichts mit dieser Distanz zu tun, wie man sie zum Beispiel in Deutschland erlebt, dass man erstmal oberflächlich sich kennenlernt und vielleicht dann später in tiefere Gespräche kommt, dort ist es viel unmittelbarer. Und das hat sicherlich auch mit der Geschichte jedes einzelnen zu tun, aber auch sicherlich mit der Situation, in der die Menschen da leben, dass die einfach keine Zeit zu verlieren haben. Wenn sie sich für dich interessieren, die schauen dir in die Augen, die wollen wissen, wer du bist, wo du herkommst, was ist deine Geschichte, was denkst du, man setzt sich einfach miteinander auseinander, das hat mich überrascht und sehr berührt. Und auch dieses Land, was so schön ist und so reich ist, im Gegensatz dazu, dass die Religionen dort so aufeinander prallen, besonders in Jerusalem, was auch sehr intensiv war, das zu erleben. In gleichen Teilen hat's mich aber auch schockiert, und ich habe vielleicht umso mehr begriffen, wie wenig greifbar dieses Thema wirklich ist, weil es alles einfach so komplex ist, dieses ganze politische wie auch religiöse Thema."
    Die Geschichte ist überall zu spüren
    Marchewka: "Diese spirituelle Atmosphäre, die wahrscheinlich wirklich geprägt ist von der religiösen Geschichte, der Geschichte der verschiedenen Religionen, die dort aufeinander prallen, das, muss man sich vorstellen, ist wirklich überall zu spüren und greifbar?"
    Triebel: "Also in Jerusalem ganz besonders. Aber wir haben ja auch in Tel Aviv gedreht, und da war's eben weniger zu spüren, oder anders. Das ist eine ganz offene Stadt, wo sehr viele junge Leute leben, dort gibt’s sehr viele Bars, Cafés, es ist direkt am Meer, das ist ein ganz anderes Lebensgefühl. Und trotzdem fliegen am Morgen die Kampfjets da am Strand lang, trotzdem weiß man, drei Stunden mit dem Auto und man ist in Syrien, man spürt's trotzdem, überall wo man ist."
    Zwei Personen gehen einen Strand entlang. Im Hintergrund sieht man mehrere Hochhäuser
    Der Strand prägt das Lebensgefühl in Tel Aviv (dpa / picture alliance)
    Marchewka: "So, wie das klingt, werden Sie nicht das letzte Mal dagewesen sein."
    Triebel: "Nee. Also hier in Deutschland sind wir ja schon so in einer Blase, wir sind geschützt und man guckt sich im Fernsehen den Rest der Welt an. Aber unmittelbar dort zu sein und es unmittelbar zu erleben und zu wissen, dass dort die Menschen nicht nur jeden Tag mit der Angst leben, so wie ich mich vielleicht dort manchmal gefürchtet habe oder mich bedroht gefühlt habe, die leben halt da. Dass es trotzdem ein Leben ist. Weil es einfach Menschen sind."
    Marchewka: "Der Film 'Das Jerusalem-Syndrom' ist ja erstmal ein Thriller, eine aufregende, spannende Geschichte, sehr düster zum Teil, unheimlich, aber – was würden Sie sagen – ist es auch ein politischer Film?"
    Triebel: "Was würden Sie denn sagen?"
    Marchewka: "Was würde ich sagen? Es geht um religiösen Fanatismus letztendlich, der immer wieder in der Tagespolitik zum Tragen kommt."
    Triebel: "Ja, obwohl ich das auch spannend finde, dass es diesmal ein christlicher Fanatismus ist."
    Marchewka: "Sie spielen ja diese sehr kontrollierte Wissenschaftlerin Ruth, und hier in der Geschichte wird sie ja gezwungen, sich mit ganz extremen Aspekten des Glaubens zu beschäftigen. Haben Sie in Ihrem Leben selber mal eine vergleichbare Auseinandersetzung je erlebt? Etwas, wo Sie mit dem Verstand nicht mehr hinterherkommen?"
    Triebel: "So was passiert mir eigentlich tagtäglich, dadurch dass ich Kinder habe. Allein die Geburt, ein Kind auf die Welt zu bringen, hat auch etwas, was man mit dem Kopf nicht erklären kann. Die Liebe, die man empfindet zu einem Kind, ist auch so etwas. Ich würde sagen: Immer wieder."
    So etwas wie Liebe durfte nicht stattfinden
    Marchewka: "Aber diese Person, diese Ruth, die macht ja so eine interessante Entwicklung durch, finde ich. Sie ist am Anfang ganz und gar zugemauert und versucht dann, ihre Schwester, die da diesen religiösen Wahnvorstellungen erlegen ist, rauszuholen und nähert sich dadurch eben auch an, indem sie sich öffnet."
    Triebel: "Das war für mich auch der Reiz dieser Rolle, weil ich so jemanden auch noch nicht gespielt habe. Jemand, der sich in rationale Erklärungen zurück gezogen hat. Und diese Art von Rüstung sich als Schutzhaut erschaffen hat, um durch das Leben zu gehen. Aber damit würde ich mich persönlich überhaupt nicht identifizieren. Klar hat jeder so seinen Schutz, den er irgendwie zum Überleben braucht, aber sie halt im ganz Besonderen. Weil ihre ganze Kindheit hat sie mit ihrem Vater verbracht, der Pfarrer ist, sie musste sich daraus befreien und hat eben Zuflucht in der Biologie gefunden, um dort Antworten zu finden. Aber trotzdem ist sie halt jemand, der sich so verschlossen hat dem Leben gegenüber, dass eben so etwas wie Liebe gar nicht stattfinden durfte, um eben nicht angreifbar zu sein. Und das ist das Schöne, was innerhalb dieses Films passiert, dass sie die Liebe zu ihrer Schwester wiederentdeckt und merkt, dass sich da Tore öffnen. (lacht)"
    Marchewka: "Ja, das merkt man ihr dann auch an im Verlauf des Films, dass sie weicher wird und emotionaler reagiert auf das, was geschieht um sie herum. Frau Triebel, Sie haben ja Ihre Liebe, um dabei zu bleiben, zum Thema Schauspiel durch Ihre Mutter entdeckt, sie hat als Requisiteurin gearbeitet am damaligen Theater der Freundschaft in Berlin Friedrichshain, und Sie haben sie dorthin offensichtlich begleitet, konnten Anteil nehmen an der Arbeit und haben so Ihr Herz für das Metier geöffnet. Können Sie sich da noch erinnern an ganz frühe Situationen, wo Sie mit Ihrer Mutter dort an dem Arbeitsplatz gewesen sind?"
    Triebel: "Ja, also ich war als Kind oft mit bei Theaterproben, ich weiß, dass ich da im Zuschauerraum saß und es so faszinierend fand, wie Erwachsene auf der Bühne ausprobierten und dass es da nicht diese Erwachsenenwelt gab, wo Dinge verboten waren, sondern einfach ganz spielerisch Geschichten erfunden wurden. Und das hat mich als Kind wirklich stark fasziniert."
    Marchewka: "Hat Ihre Mutter Sie darin bestätigt, das später als Beruf zu ergreifen? Oder hat sie gewarnt, nach dem Motto: Mach mal lieber was Ordentliches, Kind."
    Triebel: "Nee, Gott sei Dank gar nicht. Hat mich da immer unterstützt."
    Auf Charaktere nicht festgelegt
    Marchewka: "Sie haben ja dann 1997 ein Schauspielstudium begonnen, an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin, und dann Theater gespielt in Bremen, in Zürich, in Köln zum Beispiel, und haben dann 2005 mit den Film- und Fernsehproduktionen angefangen. Würden Sie sagen, dass Sie im Laufe der Zeit einen bestimmten Charaktertyp herausgearbeitet haben für sich?"
    Triebel: "Nee. Vielleicht hatte ich so das Gefühl, dass man mir eher Figuren nur zutraut, die bodenständig sind, die warm sind und gefühlvoll, und deswegen war ich auch so froh, dass ich dieses Angebot für 'Jerusalem-Syndrom' bekam, dass es mal was ganz anderes ist. Dass ich mich mal an etwas ganz anderem ausprobieren kann."
    Marchewka: "Ja, man sagt, oder: Das kann man lesen über Sie, dass Sie 'gut und gern den zupackenden, erdigen Frauentyp verkörpern'. Gefällt Ihnen das?"
    Triebel: "Ja klar, das ist ja auch nichts Schlechtes. Das interessiert mich ja auch. Aber ich bin halt Schauspielerin und deshalb bin ich auch nicht nur das. Und ich würde gerne auch mal zwiespältige Figuren spielen (lacht), es muss halt ambivalent sein. Wenn es nur das eine ist, dann habe ich das Gefühl, ich wiederhole mich, und das ist das, was mir eigentlich überhaupt nicht entspricht. Das langweilt mich dann eher."