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Film "Louder than bombs" von Joachim Trier
Familiendrama ohne Smiths-Musik

"Louder than bombs" ist der erste Film von Joachim Trier, den er in den USA drehte. Im Film ist die Mutter gestorben, und Sohn und Vater finden nicht so recht zueinander. Im Corso-Gespräch erklärt der norwegische Regisseur, warum der Film aus seiner Sicht trotzdem viel Hoffnung macht.

Joachim Trier im Gespräch mit Sigrid Fischer |
    Der norwegische Regisseur Joachim Trier.
    Der norwegische Regisseur Joachim Trier. (picture alliance / dpa / Frederic Dugit)
    Sigrid Fischer: Ihr Film könnte auch Lügen und Geheimnisse heißen, weil alle Familienmitglieder etwas verbergen. Ist das eine pessimistische Sicht auf die Familie oder eine realistische?
    Joachim Trier: Ich sehe da durchaus Hoffnung. Ich meine, die machen eine schwere Zeit durch, eine Zeit der Trauer, die Mutter ist gestorben. Aber im Laufe der Geschichte finden sie ihren Weg. Deshalb weiß ich nicht, ob das pessimistisch ist. Es gibt trotz allem Hoffnung, dass sie miteinander kommunizieren. So sehe ich das. Der Film blickt ja viel zurück, es geht auch um das getrennt- und zusammensein in einer modernen Familie. Und wie auch jeder sein eigenes Leben leben muss und dem anderen das gleiche zugestehen muss. Und gleichzeitig müssen sie mit den Gefühlen füreinander klar kommen.
    Fischer: Der 15-jährige Conrad sitzt viel am Computer, sein Vater bekommt keinen Zugang zu ihm. Das sind sehr typische Familienszenen. Warum erreichen Eltern Jugendlichen so schwer? - Es liegt nicht nur am Internet, das wär zu einfach.
    Trier: Gute Frage, ich bin kein Soziologe, aber was ich beobachte und in dieser Geschichte auch herausfinden will, ist die Kluft zwischen den Generationen. Dieser alternde, hippe Vater denkt, er verstehe Rockmusik und sei deshalb in der Lage, mit seinem Sohn zu kommunizieren. Aber den Sohn interessieren keine lauten Gitarren, sondern virtuelle Realitäten in seinen Computerspielen. Und diese Kluft führt ja dann zu einem witzigen Moment, wenn der Vater sich als virtuelle Figur in das Computerspiel seines Sohnes schleicht und sich ihm auf diesem Weg nähert.
    Fischer: Sie zeigen auch, wie schwer Karriere und Familie zu vereinbaren sind – eine berühmte Kriegsfotografin und Mutter und Ehefrau zu sein, das gelingt hier nicht so gut. Im wahren Leben oft auch nicht.
    "Ich verurteile niemanden in diesem Film"
    Trier: Ja, das stimmt, aber ich verurteile niemanden in diesem Film, ich verstehe die Eltern. Die Mutter macht eine ziemlich gute Arbeit als Fotografin. Und es ist schwierig, auch noch eine Mutter zu sein. Beides zusammenzubringen ist das Drama des modernen Lebens.
    Fischer: Für mich ist die interessanteste Figur der 15-jährige Conrad. Man erwartet ständig, dass der etwas Schlimmes anstellt, einen Amoklauf startet oder so. Vielleicht leidet er am meisten unter dem Tod der Mutter. Er könnte auch die Hauptfigur sein, hatten Sie das mal in Erwägung gezogen?
    Trier: Wir haben den Trick aus "Der Pate" angewendet: Der kleine Bruder wird gegen Ende zur Hauptfigur. Es gibt eigentlich keine Hauptfigur im Film, aber er ist der Michael Corleone der Familie. Sie haben Recht, und er wird später auch zur Hauptfigur und er versteht vielleicht am besten, was mit dieser Familie los ist und welche Bedürfnisse jeder hat.
    Fischer: Wenn er der Michael Corleone ist, können wir also mit einer Fortsetzung rechnen?
    Trier: Ja, und "Der Pate 2" war noch besser als der erste, oder?
    Fischer: Ja. Sie haben für Ihr englischsprachiges und amerikanisches Filmdebüt den Titel des ersten US-Albums der britischen Band "The Smiths" gewählt – "Louder than bombs". Wollten Sie damit unterstreichen, dass dies Ihr erster amerikanischer Film ist?
    Trier: Als wir den Titel wählten, wusste ich gar nicht, dass es ihr erstes US-Album war. Es ist eine Gedichtszeile bei Elizabeth Smart, daher haben auch die Smiths den Titel und wir wieder von ihnen. Also, wenn da Smiths-Fans zuhören, muss ich sie enttäuschen: Im Film gibt es keine Smiths-Musik. Es ist einfach ein guter Titel, der Fragen aufwirft.
    Fischer: Ja, ein guter Titel. Sie wurden das bestimmt oft gefragt, was anders ist, wenn Sie in Norwegen drehen. Ich frage Sie stattdessen: Was glauben Sie, erhoffen sich Amerikaner von Ihnen, dem Europäer? Denn Sie haben nach ihrem allerersten Film "Auf Anfang" gleich 70 Drehbücher aus den USA zugeschickt bekommen. Was erwartet man dort vom europäischen Regisseur Joachim Trier?
    "Ich möchte meine Filme auch weiterhin so drehen"
    Trier: Ich glaube, nach meinem ersten Film wollten viele Leute, dass ich meinen Stil mit etwas konventionellerem Material umsetze. So, als wäre meine filmische Herangehensweise ein bestimmtes Gewürz, das man auf ein Steak gibt und dann schmeckt es besser. Ich habe mich das aber auch oft gefragt, warum denken sie, ich wolle ausgerechnet diese oder jene Geschichte drehen? Ich weiß es nicht, im Moment scheint ein enormer kommerzieller Druck auf amerikanischen Filmen zu liegen, jeder hat Angst, Geld zu verlieren. Die Blockbuster laufen auch in den älteren Kinos. Und mit denen muss man dann auch noch konkurrieren. Das ist aber unmöglich, wenn man etwas komplexere Geschichten erzählen will. Ich habe mich aber nie als europäischer oder als Autorenfilmer gesehen, Ich mache das, wozu ich Lust habe und hoffe, dass es einen Platz für meine Filme gibt. Was mich im Moment sehr beschäftigt, ist der Eindruck, dass es ein Regelset gibt, das vorgibt, wie ein Film zu sein hat. Es soll vornehmlich die Geschichte einer Figur sein, die Erzählweise soll einfach verständlich sein und ein eindeutiges Ende haben. Das ist sehr reaktionär. Aber das, was Spaß macht – auch in der Musik, ich bin mit Hip-Hop aufgewachsen, später habe ich Punk gehört, das ist doch, dass man sein eigenes Ding macht. Etwas, das seinem Naturell entspricht. Also, ich möchte meine Filme auch weiterhin so drehen.
    Fischer: Sie erzählen in Ihren Filmen immer universelle Geschichten, auch in "Louder than bombs". Aber dieses Mal nicht in Ihrem gewohnten kulturellen Umfeld. Wie hat sich Amerika als Kulisse und Drehort auf diesen Film ausgewirkt?
    Trier: Gute Frage. Ich glaube, es ist die Atmosphäre, die Wahrnehmung eines Ortes, das ist meine Version von New York. Und auch die internationalen Familie mit französischer Mutter und irischem Vater – das ist sehr New York. Vielleicht nicht unbedingt amerikanisch, aber das ist auch NY.
    Fischer: Das heißt, Sie transportieren Ihr Gefühl von der Stadt, Sie haben ja eine Zeit in New York verbracht vorher ...
    Trier: Ja, so etwas. Mein Co-Autor hat im Scherz gesagt: Wow, alles was wir über Amerika wissen, haben wir von den Simpsons erfahren. Wir sollten mal Zeit da verbringen. Und dann haben wir uns Highschools angeguckt und sind ausgegangen. Also, ich habe schon einige Zeit dort verbracht und hatte dann das Gefühl, ich kann dort eine Geschichte erzählen.
    Fischer: Sie haben mal gesagt: Ich möchte HBO das filmische Drama wegnehmen und es auf die große Leinwand zurückbringen. Das heißt, Sie glauben noch an die Leinwand, ans Kino, während ja viele Ihrer Kollegen jetzt Serien drehen. Sind Sie ein Nostalgiker, Joachim Trier?
    "Vielleicht bin ich nicht nostalgisch, sondern knallhart"
    Trier: Vielleicht bin ich nicht nostalgisch, sondern knallhart. Wissen Sie, als alle sagten, Disco als Musikstil ist tot, da wurde Disco erst interessant. Wenn alle sagen, etwas ist vorbei, dann ist man wirklich frei, sein Ding zu machen. Vielleicht muss man das Kino in die Luft sprengen und dann wieder neu zusammensetzen, ich weiß es nicht. Aber ich bin neugierig, ich habe nur keine Antworten. Ich denke aber viel darüber nach. Vielleicht ist die Antwort nicht, viele Folgen von etwas zu drehen, sondern vielleicht müssen wir vielmehr die Verbreitungswege von Filmen neu denken. Da müssen wir uns erneuern.
    Fischer: Was glauben Sie, kommen wir noch mal weg davon, Filme wie James Bond oder Star Wars auf dem Smartphone zu gucken? Das passiert ja.
    Trier: Wenn es Filme wert sind, auf der großen Leinwand gesehen zu werden, dann werden sie da auch gesehen. Aber vielleicht brauchen wir mehr spezialisierte Arthousekinos für die, die nicht James Bond sehen wollen. Aber auch die kommerziellen Filme müssen sich verändern. Ich habe das Gefühl, wir befinden uns in einer Zeit vergleichbar den 30er-Jahren, das war die Zeit der Depression in Amerika. Damals waren viele Filme Screwballkomödien oder Märchen, und das sind auch tolle Filme, so etwas kann das Kino gut. Aber vielleicht kommt eine Zeit, in der wir Filme sehen wollen, die unsere Realität spiegeln. Wer weiß, die Zeiten ändern sich immer wieder, wir werden sehen, was passiert.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Über Joachim Trier:
    Joachim Trier, 41, hat in London Film studiert und in seiner Heimat Norwegen zwei starke und gelobte Filme gedreht: "Auf Anfang" über die trügerische Leichtigkeit, ein Leben als junger Kreativer zu führen. In "Oslo, 31. August" porträtiert er einen am Leben (ver-)zweifelnden Ex-Junkies die Generation der "Thirtysomethings". "Louder than bombs" ist der dritte Spielfilm von Joachim Trier und lief letztes Jahr im Cannes-Wettbewerb.