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Film "The Drop"
Überall Verletzte

"The Drop - Bargeld", das Hollywood-Debüt von Regisseur Michaël R. Roskam, ist eine präzise Charakterstudie, die von starken Schauspielern lebt. Neben James Gandolfini in seiner letzten Rolle ist es vor allem der Brite Tom Hardy, der die tragische Gangstergeschichte mit seiner bedrohlichen Präsenz so außergewöhnlich macht.

Von Hartwig Tegeler | 03.12.2014
    Verletzt sind sie alle in "The Drop - Bargeld". Vetter Marv (James Gandolfini) beispielsweise gehörte einst die Bar in Brooklyn, in der er jetzt nur noch Geschäftsführer ist.
    "Wenigstens hatte ich mal etwas, ich wurde respektiert, ich wurde gefürchtet."
    Geschäftsführer für den Mob, der hier in manchen Nächten sein schmutziges Geld deponiert - daher der Titel des Films. Marv ist drüber nie hinweggekommen. Das ist seine Verletzung. Nadia (Noomi Rapace) hat Wunden am Hals; angeblich hat sie sich selbst mit einem Kartoffelschäler verwundet.
    Und der kleine Welpe Rocco, den Bob in der Mülltonne vor Nadias Haus findet, er blutet am Kopf. Verletzungen überall.
    Aber der, der von Anfang an im Mittelpunkt steht, Bob, der in Marvs, besser in der Bar der tschetschenischen Mafia hinterem Tresen steht, was mit seiner Verletzung? Scheinbar ist er immer abgeklärt, stoisch, gelassen, unberührt. Macht den Job. Und alles andere blendet er weg.
    Brooklyner Halbwelt
    Am Anfang von "The Drop - Bargeld" geht Tom Hardy als dieser Bob Saginowski über die Straße - New York, Brooklyn -, er humpelt leicht, das gibt ihm ein Wanken und damit die Bedrohlichkeit eines Bären. Umso berückender, wenn dieser wortkarge Mann im Winter aus der Mülltonne den kleinen, verletzten Welpen birgt. Die Welt der Brooklyner Halbwelt, die der belgische Regisseur Michaël R. Roskam in seinem US-Debüt zeichnet, sie ist nicht geheuer, sie ist gefährlich, und dieses Gefühl einer unausgesprochenen Drohung ist sofort da, wenn Tom Hardy über die Straße geht, mit dieser ungeheuren Präsenz, körperlich wie psychisch. Etwas lauert.
    Du siehst sie nicht, aber du spürst die andere Biografie dieser Figur, sagt der Schriftsteller Dennis Lehane, der hier eine seiner Kurzgeschichten für Michaël R. Roskam als Drehbuch adaptierte, du spürst, ohne dass etwas schon sichtbar wäre, die Vergangenheit dieses Typen. Dennis Lehane findet hier ein wunderbar genaues Bild, um das auszudrücken, was die Schauspielkunst diese gebürtigen Briten auszeichnet, der schon einmal als der "Marlon Brando der BluRay-Generation" bezeichnet wurde. "The Drop" ist ein Film über Dämonen, die nur scheinbar besiegt sind.
    Zwei Sachen passieren. Erstens: die Bar, in der das Mafia-Geld lagert, wird, kurz bevor Tom und Marv den Laden schließen, ausgeraubt. Zweitens: Bob findet den verletzten Welpen.
    "[Nadia:] Mike? - [Bob:] Lieber nicht Mike? - Mike ist kein guter Name für einen Hund. Rocco ist besser."
    Und damit taucht dieser Typ aus der Vergangenheit von Nadia wieder auf. Auch einer aus dem Viertel. Und dann reden alle immer wieder von diesem Mord, der vor zehn Jahren hier passiert ist. Eric brüstet sich damit. Und trifft auch Bob, der den Welpen fand, der verprügelt wurde. Meiner, sagt Eric.
    "[Eric:] Weisst du, was du tun wirst? Du gibst mir zehn! - [Tom:] Was? - Zehn Riesen. Bis morgen Vormittag. - Wer hat denn 10.000 Dollar? - Wenn du den Hund willst, dann gibst du mir zehn. - Hör mal gut zu, Kumpel. Du kannst nicht in anderer Leute reinplatzen. - Hör zu, so ist das Leben. Menschen wie ich tauchen auf, wenn du es nicht erwartest."
    Wobei Eric derjenige sein wird, der eine Überraschung erlebt. Denn da war ja noch der Satz, den er ein wenig überhört hat: Unterschätze den Barkeeper nicht.
    Charakterliche Abgründe
    Der Gangsterfilm "The Drop - Bargeld" ist eine klassische "character driven story". Die Geschichte des Raubes des Geldes, der Verrat, die Rache, all das, was konventionelle Krimis anzutreiben pflegt, rückt in Michaël R. Roskams grandiosem Film ins Nebensächliche. Im Zentrum treten die Menschen mit ihren Geschichten, ihren Abgründen, ihrer Suche nach ihrem Menschsein.
    Wie Roskam die Genreklischees - der alte Gangster, die verstörte, schöne Frau, der unschuldige Welpe und die Hauptfigur mit den Dämonen aus der Vergangenheit - immer wieder überraschend gegen den Strich bürstet, ist so atemberaubend wie das Spiel von Tom Hardy. Natürlich explodiert dann etwas. Dies bleibt ein Krimi und ist von Anfang an doch auch eine Menschentragödie. Das Tragische - mit anderen Worten - explodiert. Nur so viel: Bob, der Barkeeper, der jeden Tag das Gejammer seines Cousins anhören muss, wie groß, wie mächtig der mal war, Bob sagt nur - pragmatisch, lakonisch, demütig, abgeklärt, nicht zynisch, aber ziemlich knallhart und deutlich - über diesen ominösen Hocker in der Bar, als Marv noch Chef war, damals, vor zehn Jahren, sein Hocker, sein Thron:
    "[Marv:] Das hat was bedeutet! - [Bob:] Eigentlich nicht. Niemals. Das war einfach nur ein Hocker."
    Und wie in jeder seiner Szenen in "The Drop" bekommt man Angst vor dieser Figur Tom Hardy. Gary Oldman, der mit Hardy in der John-le-Carré-Verfilmung Dame, König, As, Spion spielte, beschrieb seinen Kollegen so: "Man meint, eine Zeitbombe immer leise ticken zu hören." Das beschreibt auch den Film "The Drop - Bargeld" sehr präzise.