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Film "The Invisible Woman"
Wehende Gewänder und klappernde Kutschen

Ralph Fiennes' Film "The Invisible Woman" über die Geliebte von Charles Dickens ist von allem ein bisschen: Gesellschaftsanalyse, hysterischer Geschlechterkampf und sentimentaler Gefühlskitsch. Er schafft es nicht, aus dem Stoff über das Anekdotische hinaus seine aktuelle Relevanz herauszuarbeiten.

Von Rüdiger Suchsland |
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    Kristin Scott Thomas (l-r) als Mrs. Ternan, Felicity Jones als Nelly Ternan, Perdita Weeks als Maria Ternan und Ralph Fiennes als Charles Dickens in einer Szene des Kinofilms "The Invisible Woman" (Sony Pictures)
    "Der neueste Klatsch... Doch das kann ich."
    Ein Mann im Herbst seines Lebens verlässt seine langjährige Partnerin zugunsten einer viel Jüngeren und erlebt als Künstler wie als Liebhaber seinen zweiten Frühling - so könnte man die Handlung dieses Film zusammenfassen - und es wäre ein Midlife-Crisis- und Ehezerfleischungsdrama.
    Man könnte aber auch formulieren: Ein Mann, der zwischen zwei Frauen, zwischen den eigenen Wünschen und den Zwängen seiner Umwelt hin und hergerissen ist - und schon handelte es sich bei "The Invisible Woman" um einen brisanten Gesellschaftsstoff.
    Oder man würde sagen: Hier wird von einer Frau erzählt, die sich als Muse ihres Geliebten begreift, und für diese ihre Liebe alles opfert, die sich gesellschaftlich unsichtbar macht, aber dafür vom Gott der Künste belohnt wird. Und schon sind wir auf dem glitschig-seichten Gelände der Fernseh-Primetime.
    Ein bisschen von allem, von Gesellschaftsanalyse, hysterischem Geschlechterkampf und sentimentalem Gefühlskitsch verbindet "The Invisible Woman", die zweite Regiearbeit des berühmten Film- und Theaterschauspielers Ralph Fiennes.
    Gerade noch hat man in Wes Andersons großartigem "Grand Budapest Hotel" seine komödiantischen Fähigkeiten bewundern können - jetzt spielt er wieder einmal, was ihn einst berühmt machte: den schmachtenden Liebhaber in einem Kostümfilm. Wie vor 15 Jahren in der "Der Englische Patient".
    Denn im eigenen Film hat er auch gleich, wie seine unausgesprochenen Vorbilder und Landsleute Laurence Olivier und Kenneth Branagh, die Hauptrolle übernommen: Fiennes spielt Charles Dickens, bis heute einer der Heroen der britischen Literatur, und zu Lebzeiten ein Popstar.
    Interessanteste Figur: ein Groupie
    Es sind die historisch interessantesten Passagen des Films, in denen eine solche Lesung vor enthusiastischem Fan-Publikum nachgezeichnet wird, mit allem, was dazugehört: Autogrammjägern und Groupies.
    "Ham stand allein, und beobachtete das Meer, bis eine große Woge zurückrollte" - "Wahrlich Mr. Dickens, es ist nie so so lebendig, wie wenn sein Verfasser es liest..." - "Mr. Dickens!" - "Mr. Dickens!!"
    Die interessanteste Figur ist solch ein Groupie. Die blutjunge Nelly Ternan lernte den rund 30 Jahre älteren Dickens auf einer öffentlichen Lesung kennen, beide begannen eine leidenschaftliche Affäre. Und beiden war es bald Ernst damit. Doch da Dickens damals seit einem Vierteljahrhundert mit Ehefrau Catherine verheiratet war und mit ihr zehn Kinder hatte, war im viktorianisch-sittenstrengen England an Heirat nicht zu denken.
    So wurde Nelly Ternan zur unsichtbaren Frau an Dickens Seite, zur "Invisible Woman" - so weit so interessant vor allem für biografisch Interessierte.
    Nun müsste man aus diesem Stoff über das Anekdotische hinaus noch etwas machen, seine aktuelle Relevanz herausarbeiten. Hier aber scheitert Fiennes Film.
    Zum einen gefällt sich der Darsteller viel zu sehr darin, sich selbst als Dickens zu inszenieren. Mit Rauschebart, Schminke und Grapschepranken erinnert er weniger an Dickens als an den fiesen Lord Voldemort in den Harry-Potter-Verfilmungen. Felicity Jones hingegen ist wunderbar fein gesponnen und zerbrechlich neben dem wuchtigen Unhold.
    Ansonsten klappern die Kutschen und wehen die Gewänder - gefällig, wenn auch düsterer als bei einer Jane Austen-Verfilmung, nur leider auch weniger subtil und hintergründig.
    Dröge, starre, bedeutungsheischende Einstellungen
    Schwerer noch wiegen die bedeutungsschwangeren zähen Dialoge:
    "Diese Zeit ist mir die Liebste: Wenn der Tag auf uns zuschleicht und wir das Chaos der Nacht ordnen müssen. Auf der Hut sein. Einmal mehr bereit für das Leben. Es ist wunderbar und bedenkenswert, dass jedes menschliche Wesen ein Mysterium, ein tiefes Geheimnis für alle anderen ist."
    "Bis das Geheimnis jemandem anvertraut wird. Dann vielleicht werden zwei menschliche Wesen sich entdecken. Meinen Sie nicht?"
    "Doch."
    Schließlich ist das alles in drögen, starren, bedeutungsheischenden Einstellungen abgefilmt - schnell verliert man mit diesem Dickens die Geduld - und findet sie nicht wieder.