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Film "Tore tanzt"
Freakige Jesusjünger

Grausig und schlicht schildert der Film die moralischen Anmutungen von wilden Jesus-Freaks. Darsteller Tore wird dabei immer mehr zum Objekt sadistischer Fantasien. Er muss verdorbenes Huhn essen, wird geprügelt und gequält.

Von Josef Schnelle | 23.11.2013
    Sie tanzen wie Punks. Sind wohl auch welche. Die wilden Jesus Freaks aus Hamburg. Tore ist einer von ihnen und er verfolgt nicht nur die Predigten im Rockclub. Er nimmt die Sache ernst. Wenn Du auf eine Backe geschlagen wirst, dann halte die andere hin. Was kann ihm schon passieren, wenn er diese und andere Regeln der Nächstenliebe und des Christentums berücksichtigt<ins cite="mailto:Seidel,%20Änne%20[X]" datetime="2013-11-23T13:24">?</ins> Regisseurin Katrin Gebbe kam durch einen Zeitungsartikel auf die Geschichte ihres Films. Ein argloser junger Mann wird auf eine Gesellschaft losgelassen, die keine Gnade kennt. Im Experimentierlabor des Kinos. An der Autobahnraststätte hat Tore sein ganz persönliches Erweckungserlebnis. Das Auto von Benno, der mit seiner Familie unterwegs ist, will partout nicht anspringen. Da fühlen sich die freakigen Jesusjünger gefordert. Sie kuscheln die Motorhaube und bitten um göttlichen Beistand<ins cite="mailto:Seidel,%20Änne%20[X]" datetime="2013-11-23T13:25"> </ins>ein Pannenkabel haben sie jedoch nicht dabei. Die merkwürdige Verbindung, die in dieser Szene entsteht, wird den ganzen Film prägen.
    "Herr Jesus, wir haben ne Bitte für unsere Freunde. Das Auto springt nicht an und wir können es nicht reparieren. Bitte hilf uns, aber wenn´s nicht wirkt, dann glaub ich trotzdem an Dich. Alles klar probier´ Mal."
    Die Autoheilung es ein Wunder oder nur purer Zufall? Tore lernt bald die Familie von Benno kennen und er lässt sich von ihr einladen in deren Garten sein Zelt aufzuschlagen und irgendwie gehört er bald dazu, zu dieser merkwürdigen frustrierten Bürgerfamilie. Er lässt sich auf sie ein. Man frühstückt miteinander und lernt sich kennen. Doch die Maßstäbe des konsequenten Jesus-Jüngers stellen Benno, seine Frau Astrid und die halbwüchsige Tochter Sanny vor Probleme. Ist diese Begegnung für sie ein Segen oder doch eher eine schwere Prüfung<ins cite="mailto:Seidel,%20Änne%20[X]" datetime="2013-11-23T13:31">?</ins> Pier Paolo Pasolinis „Teorema“ –auf Deutsch "Geometrie der Liebe" - von 1968 lässt grüßen und auch an die unangenehmen ersten Filme von dem inzwischen so Preisumkränzten österreichischen Regisseur Michael Haneke mag man denken. Was der Film schildert, in klarer, einfacher realistischer Filmsprache hat viel damit zu tun, dass die grausigen Extreme am Rande unserer Gesellschaft so perfekt ausgegrenzt sind. Für den Familienpatriarchen Benno aber auch für <ins cite="mailto:Seidel,%20Änne%20[X]" datetime="2013-11-23T13:37">die</ins> anderen Familienmitglieder wird Tore immer mehr zum Objekt, ihrer sadistischen Phantasien. Tore muss verdorbenes Huhn essen, wird geprügelt und gequält. Und er muss auch zusehen, wie Benno eine harmlose fette Katze der Nachbarn ertränkt.
    "Lass sie runter." – "Haste Zigaretten?" – "Lass die Katze in Ruhe. Bitte lass die Katze raus." – Meinst Du Du kannst sie beschützen mit deiner Pseudonächstenliebe?"
    Grausig und immer schlicht – realistisch in der ursprünglichen Bedeutung - schildert der Film die moralischen Anmutungen der Hauptfiguren. Kann man überhaupt der Versuchung widerstehen, die eine konsequent moralische Figur auf uns ausüben würde<ins cite="mailto:Seidel,%20Änne%20[X]" datetime="2013-11-23T13:38">?</ins><del cite="mailto:Seidel,%20Änne%20[X]" datetime="2013-11-23T13:38">.</del> Würden wir Jesus quälen und ihm erneut die Schuld der Welt aufladen? Eine zeitgemäße Frage, die Katrin Gebbe in dieser Geschichte noch einmal stellt. Was könnten die Menschen schon machen gegen eine reine Seele? So radikal und aufwühlend hat diese Frage vor Katrin Gebbe kaum ein deutscher Filmemacher gestellt. Und Bilder dazu gefunden, die verstörend in den Alltag begleiten: Reicht es für diese unsere Welt aus, einfach gut zu sein?