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Filme der Woche
Somalische Piraten als Opfer

So viele Filme wie diese Woche starten selten in deutschen Kinos. Aus den 16 Premieren hat unser Kritiker fünf interessant klingende ausgewählt: drei Hollywood-Produktionen, einen israelischen Film und die neue Regiearbeit von François Ozon.

    "Captain Phillips" von Paul Greengrass
    "Wir sind hier drüben in Zalala, fahren durch den gesicherten Korridor nach Dschibuti, dann verlassen wir die Schifffahrtsstraße südlich von Socotra. Ab da sind wir auf uns gestellt. Die Küste runter durch das Somali-Becken bis runter nach Mombasa.“
    Es ist die zurzeit gefährlichste Schiffsroute auf der ganzen Welt. Grund dafür sind nicht die Wetterbedingungen, sondern Piraten. Seit rund zehn Jahren gehen sie am Horn von Afrika auf Beutefang. So ist im April 2009 das unter US-Flagge fahrende Containerschiff Maersk Alabama Ziel eines solchen Piratenangriffs geworden. Der perfekte Stoff für einen Film, der zu einem simplen Heldenstück hätte werden können – mit Alabama-Kapitän Richard Phillips im Mittelpunkt, gespielt von Tom Hanks.
    „Vier Piraten an Bord. Sie kommen das Hauptdeck runter. Wir bleiben versteckt. Egal was passiert. Ich will keine Geiselnahme."
    Genau das aber passiert. Als die US-Marine der Alabama zu Hilfe eilt und sich die Situation an Bord zuspitzt, wird Phillips von den Piraten als Geisel genommen. Nun ist die Besetzung der Titelrolle mit Tom Hanks bereits ein Indiz dafür, dass hier keiner vom Schlag eines Bruce Willis mal eben so im Vorbeigehen das Problem löst. Regisseur Paul Greengrass ist nicht an einem aufgeblasenen Superhelden-Abenteuer interessiert. Stattdessen hat er den Überfall und die Befreiung anhand der Fakten mit Hilfe von Phillips Erinnerungen rekonstruiert. Das Ergebnis ist authentisches Spannungskino.
    „Ihr kommt in unserer Meer – Ihr müsst bezahlen."
    "Wir waren in internationalen Gewässern..."
    "Große Schiffe kommen in unser Meer, nehmen alle Fische mit."
    "Dann seid Ihr Fischer?"
    "Ja, wir alle fischen."
    Das ist vielleicht das Außergewöhnliche an diesem Film: Auch die Piraten haben eine Geschichte, einen Hintergrund bekommen, sind also nicht nur namenlose Bösewichte. Paul Greengrass zeigt die Somalier nicht nur als Täter, sondern auch als Opfer ihrer Lebensumstände. Dennoch ist und bleibt „Captain Phillips“ letztlich ein Heldenstück, aber durchaus: empfehlenswert.
    "Escape Plan" von Mikael Håfström & "Last Vegas" von Jon Turteltaub
    „Willkommen! Sie sind jetzt Teil der internationalen Häftlingseinheit."
    Willkommen in einem Hochsicherheitsknast! Der befindet sich ebenfalls auf hoher See. Und...
    „Willkommen in Las Vegas!“
    Willkommen in der Stadt des Glückspiels! "Escape Plan“ und „Last Vegas“ – zwei Filme – der eine ein Actionthriller, der andere eine Komödie – zwei Filme, die gut als „Seniorenkino“ bezeichnet werden können. In „Escape Plan“ versuchen der 66jährige Arnold Schwarzenegger und der 67jährige Sylvester Stallone aus dem schwimmenden Gefängnis auszubrechen. In „Last Vegas“ feiern De Niro, Douglas, Freeman und Kline – zusammen 281 Jahre alt – Junggesellenabschied.
    „Wir vier sind zusammen hier und wollen feiern, dass Billy eine Heranwachsende heiratet. ... Archie, dein Blutdruck!"
    Während die vier Oscar-Preisträger eine sympathische, aber auch lahme und teils peinliche Arthrose-Version der „Hangover“-Komödien abliefern, macht das geliftete Anabolika-Duo genau das, was ihm in den 1980er-Jahren Ruhm beschert hat. Es haut drauf. „Escape Plan“ und „Last Vegas“: zwei Filme von der Stange mit einem Hauch Wehmut. Enttäuschend.
    "Jung & schön" von François Ozon
    „Was ist?"
    "Du erinnerst mich an einen Typen, mit dem ich geschlafen habe."
    "Was treibst du für ein Spiel, Isabelle?"
    "Ich spiele nicht."
    Marine Vacth schließt ihren Büstenhalter, hinter ihr auf einem Bett liegend betrachtet sie ein älterer Mann
    Marine Vacth in François Ozons "Jung & Schön" (dpa / picture alliance / Weltkino)
    Nur was die 17jährige Isabelle wirklich dazu veranlasst, älteren Männern ihre Sexdienste anzubieten, bleibt auch über das Ende dieses Films hinaus das große Rätsel. In „Jung & Schön“, einer modernen „Lolita“-Version, erzählt François Ozon von einer traumhaft schönen Frau, die sich auf dem Weg zur Erwachsenen selbst erkundet. Das Porträt der von Marine Vacth gespielten Isabelle ist alles andere als eine klassische Charakterstudie. Dass Ozons elegant-kühler Film vage bleibt und nichts erklärt, sorgt allerdings für ein leicht unbefriedigendes Gefühl. Akzeptabel.
    "Zaytoun" von Eran Riklis
    "Jetzt pflanz doch den Baum endlich ein!"
    "Erst wenn wir wir in unserem Land sind."
    Ihr Land ist 1982 auf keiner Landkarte zu finden. Faheds palästinensische Familie, die in Beirut in einem Flüchtlingslager lebt, träumt davon, in ihr Dorf in Israel zurückzukehren. Als sein Vater vor Faheds Augen von einer Bombe zerfetzt wird, beschließt der 12jährige Junge, den Olivenbaum dort einpflanzen, wo die Familie früher einmal gelebt hat. Dazu benötigt er allerdings Hilfe. Die verspricht ausgerechnet einer, den Fahed für den Erzfeind hält: nämlich Yoni, israelischer Kampfpilot, der über Beirut abgeschossen worden ist und von der PLO gefangen gehalten wird. Fahed befreit Yoni aus seiner Zelle. Es beginnt die tragikomische Odyssee einer Schicksalsgemeinschaft.
    "Fahed – stopp! Nicht bewegen! Weißt du, wo wir hier sind? Das ist ein Minenfeld."
    "Ist mir egal. Ich will zu meinem Baum."
    "Vergiss ihn!"
    "Nein, ich will meinen Baum."
    Versöhnung ist möglich. So lautet die Botschaft des israelischen Filmemachers Eran Riklis in „Zaytoun“. Dafür darf dann auch die Glaubwürdigkeit geopfert werden in einer Geschichte, die sich zu einem absurd-komischen Road Movie wandelt. Riklis hat mit „Zaytoun“ einen zwar ambitionierten Film gedreht, aber auch einen symbolisch überfrachteten. Zwiespältig.