Kaum ein anderer Regisseur wird zugleich so kultisch verehrt und so verhöhnt, bewundert als Autor einer spirituellen Zivilisationskritik, abgetan als versponnener Reaktionär und Mystiker. Schon in Andrej Tarkowskis erstem großen Film "Iwans Kindheit" finden sich die Themen und Fragen, die Tarkowski zeitlebens beschäftigen sollten. Gleichzeitig warf der Film auch schon all die Missverständnisse auf, die das Werk von Andrej Tarkowski begleiten sollten. "Iwans Kindheit", 1962 entstanden, verbindet die Tagtraumbilder einer glücklichen Kindheit mit der traurigen Erzählung eines Überlebenskampfes. Tarkowskij schickt seine Figuren durch eine apokalyptische Sumpf- und Nebellandschaft. Er folgt dem zwölfjährigen Iwan, der während des Zweiten Weltkrieges die Deutschen auskundschaftet, die seine Mutter und seine Schwester umgebracht haben. Statt ins Internat zu gehen, will er lieber weiter für die Heimat kämpfen:
"Sie schicken mich auf die Suworow-Schule? Nicht wahr, das stimmt doch gar nicht. So machen Sie das also, mit Schummeln und Betrug. Ich weiß, dass der Angriff bald bevor steht. Und sie werden mich dabei noch brauchen können. Sie haben doch selbst gesagt, dass Aufklärung das Wichtigste ist! Aufklärung ist die Seele des Krieges!"
"Iwans Kindheit" lief in Moskau nur in der Kindervorstellung. Seine assoziative Erzählweise war den Behörden nicht patriotisch genug. Dabei sind es eben jene schwebenden Sequenzen, in denen sich Iwans glückliche Kindheit in das Grauen des Krieges schiebt, die den Film zum Solitär machen. Hier geht es um ein inneres Zeitgefühl, um eine "durée interieure" im Proustschen Sinne, um eine künstlerische Fixierung, Versiegelung, die die Zeitebenen und die Trennung von Traum und Wirklichkeit aufhebt. "Die versiegelte Zeit" ist auch der Titel des Buches, in dem der am 29. Dezember 1986 im Alter von 54 Jahren im Pariser Exil verstorbene Regisseur seine philosophischen und theoretischen Überzeugungen festhielt.
"In seiner Seele ein Bild versiegeln, das kommt dem am nächsten, was ich meine. Allgemein und kurz gesagt: 'Versiegeln', das ist nicht nur eine Art Fixieren, Festhalten der Zeit. Es geht nicht einfach um Wiederholung, um die Möglichkeit, einige Male die gleiche Aufzeichnung zu sehen, sondern es hat auch einen sehr hohen poetischen Sinn, und daher scheint mir das Wort 'versiegelt' am geeignetsten."
Von Anfang an ging es Tarkowski um einen Bereich des Tiefenerinnerns, der zu den letzten Fragen führt. In seinem 1979 entstandenen Film "Stalker" etwa unternimmt der Zuschauer gemeinsam mit den drei Hauptfiguren eine Reise zur so genannten Zone, einem abgesperrten, vom Militär bewachten Bereich. Die Zone ist eine Art unbestechliches Spiegelbild des menschlichen Daseins. Hier überwuchern Gras und andere Pflanzen allmählich die Reste und Ruinen der Zivilisation. In den seltsam fremd und doch vertraut wirkenden Bildern scheint das Verhältnis des Menschen zu Natur und Vergänglichkeit auf.
Fremd und vertraut, vergangen und gegenwärtig - eben jenseits des Zeitkontinuums sind auch die fantasmagorischen Welten, in die die Astronauten in Tarkowskijs Science-Fiction "Solaris" vorstoßen. Fremd und doch vertraut fühlt sich der russische Schriftsteller in "Nostalghia" im italienischen Exil. Jenseits der Zivilisation und doch mittendrin ist der Theaterschauspieler, der in Tarkowskis letztem Film "Opfer" an der Moderne verzweifelt. Mit seiner Geschichte, in der der Künstler den Atomkrieg durch ein mystisches Selbstopfer rückgängig macht, bewegte sich Tarkowski in die Nähe einer weltabgewandten, fast esoterischen Zivilisationskritik.
"Im Film ist dies eine Tat. Das Opfer ist wohl immer eine Tat. Auch wenn du dich irgendwo im Lotussitz niederlässt, mit geschlossenen Augen, und dasitzt, bis du verhungerst, ist das eine Tat. Obwohl man sagen könnte, dass du dich vom Leben entfernt hast."
Es nimmt nicht weiter Wunder, dass sich Tarkowskis Werk nicht im Sinne des sozialistischen Realismus vereinnahmen ließ. In seiner russischen Heimat konnte er innerhalb von 24 Jahren nur sechs Filme drehen.
Aber auch gegen metaphysische und symbolische Interpretationen seiner Arbeiten durch die westliche Kritik hat sich Tarkowski stets gewehrt. Tatsächlich ist die Botschaft seiner Bilder eine radikal diesseitige. Der lange Regen, der in "Solaris" niederrauscht und die Menschen verstummen lässt, die amphibische Landschaft in "Stalker", das leise Schwingen der Pflanzen in der Strömung des Flusses - in all diesen Versuchen, das Einmalige, Unverwechselbare jedes Augenblicks unserer Existenz zu versiegeln, scheint unsere Vergänglichkeit auf. Letztlich ging es Andrej Tarkowski darum, den Menschen mit seinen Filmen auf den Tod vorzubereiten.
"Sie schicken mich auf die Suworow-Schule? Nicht wahr, das stimmt doch gar nicht. So machen Sie das also, mit Schummeln und Betrug. Ich weiß, dass der Angriff bald bevor steht. Und sie werden mich dabei noch brauchen können. Sie haben doch selbst gesagt, dass Aufklärung das Wichtigste ist! Aufklärung ist die Seele des Krieges!"
"Iwans Kindheit" lief in Moskau nur in der Kindervorstellung. Seine assoziative Erzählweise war den Behörden nicht patriotisch genug. Dabei sind es eben jene schwebenden Sequenzen, in denen sich Iwans glückliche Kindheit in das Grauen des Krieges schiebt, die den Film zum Solitär machen. Hier geht es um ein inneres Zeitgefühl, um eine "durée interieure" im Proustschen Sinne, um eine künstlerische Fixierung, Versiegelung, die die Zeitebenen und die Trennung von Traum und Wirklichkeit aufhebt. "Die versiegelte Zeit" ist auch der Titel des Buches, in dem der am 29. Dezember 1986 im Alter von 54 Jahren im Pariser Exil verstorbene Regisseur seine philosophischen und theoretischen Überzeugungen festhielt.
"In seiner Seele ein Bild versiegeln, das kommt dem am nächsten, was ich meine. Allgemein und kurz gesagt: 'Versiegeln', das ist nicht nur eine Art Fixieren, Festhalten der Zeit. Es geht nicht einfach um Wiederholung, um die Möglichkeit, einige Male die gleiche Aufzeichnung zu sehen, sondern es hat auch einen sehr hohen poetischen Sinn, und daher scheint mir das Wort 'versiegelt' am geeignetsten."
Von Anfang an ging es Tarkowski um einen Bereich des Tiefenerinnerns, der zu den letzten Fragen führt. In seinem 1979 entstandenen Film "Stalker" etwa unternimmt der Zuschauer gemeinsam mit den drei Hauptfiguren eine Reise zur so genannten Zone, einem abgesperrten, vom Militär bewachten Bereich. Die Zone ist eine Art unbestechliches Spiegelbild des menschlichen Daseins. Hier überwuchern Gras und andere Pflanzen allmählich die Reste und Ruinen der Zivilisation. In den seltsam fremd und doch vertraut wirkenden Bildern scheint das Verhältnis des Menschen zu Natur und Vergänglichkeit auf.
Fremd und vertraut, vergangen und gegenwärtig - eben jenseits des Zeitkontinuums sind auch die fantasmagorischen Welten, in die die Astronauten in Tarkowskijs Science-Fiction "Solaris" vorstoßen. Fremd und doch vertraut fühlt sich der russische Schriftsteller in "Nostalghia" im italienischen Exil. Jenseits der Zivilisation und doch mittendrin ist der Theaterschauspieler, der in Tarkowskis letztem Film "Opfer" an der Moderne verzweifelt. Mit seiner Geschichte, in der der Künstler den Atomkrieg durch ein mystisches Selbstopfer rückgängig macht, bewegte sich Tarkowski in die Nähe einer weltabgewandten, fast esoterischen Zivilisationskritik.
"Im Film ist dies eine Tat. Das Opfer ist wohl immer eine Tat. Auch wenn du dich irgendwo im Lotussitz niederlässt, mit geschlossenen Augen, und dasitzt, bis du verhungerst, ist das eine Tat. Obwohl man sagen könnte, dass du dich vom Leben entfernt hast."
Es nimmt nicht weiter Wunder, dass sich Tarkowskis Werk nicht im Sinne des sozialistischen Realismus vereinnahmen ließ. In seiner russischen Heimat konnte er innerhalb von 24 Jahren nur sechs Filme drehen.
Aber auch gegen metaphysische und symbolische Interpretationen seiner Arbeiten durch die westliche Kritik hat sich Tarkowski stets gewehrt. Tatsächlich ist die Botschaft seiner Bilder eine radikal diesseitige. Der lange Regen, der in "Solaris" niederrauscht und die Menschen verstummen lässt, die amphibische Landschaft in "Stalker", das leise Schwingen der Pflanzen in der Strömung des Flusses - in all diesen Versuchen, das Einmalige, Unverwechselbare jedes Augenblicks unserer Existenz zu versiegeln, scheint unsere Vergänglichkeit auf. Letztlich ging es Andrej Tarkowski darum, den Menschen mit seinen Filmen auf den Tod vorzubereiten.