Filmexperiment "Die Rüden" "Wir haben ein viel zu enges Bild von Männlichkeit"
14 Jahre hat Regisseurin Connie Walther mit einem unkastrierten Rüden gelebt. Die dunkle Seite von Hunden hat sie aber erst bei ihrem filmischen Experiment mit Gewaltstraftätern und beißfreudigen Rüden kennen gelernt. "Wir haben die Tendenz, negative Gefühle zu vermeiden", sagte sie im Dlf über die Liebe zum Hund.
Connie Walther im Corsogespräch mit Ulrich Biermann | 19.08.2020
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Die Szenerie ist fremdartig, archaisch und gleichzeitig futuristisch anmutend. Eine weite Landschaft, durchzogen von Rinnsaalen. großem Wolkengebirge, Berge am Horizont, keine Menschenseele. In dieser Weite steht ein Bunker, eine Betonarena: Darin vier Männer, verurteilte Gewalttäter, eine Hundetherapeutin und drei bissige Hunde. Viel Testosteron und noch mehr Adrenalin. Das ist das Setting für den Spielfilm "Die Rüden", der einerseits fiktiv, andererseits real ist. Männer, Hunde, Gewalt - auf das Thema ist Regisseurin Connie Walther schon 2012 gestoßen, also lange vor den Diskussionen über "toxische Männlichkeit".
Hohe Rückfallquote bei Gewalttätern
Denn in Deutschland dauere es sehr lange, bis man einen Film finanziert bekommt, so Walther. In diesem Fall acht Jahre. Deshalb musste sie auch mehr als die vier Männer casten, die man im Film "Die Rüden" sieht, denn sie sind alle ehemalige Häftlinge, die wegen Gewaltdelikten in Haft saßen, und die Rückfallquote sei in diesem Bereich sehr hoch.
Sie habe selbst 14 Jahre mit einem sozial extrem kompatiblen Rüden gelebt und gedacht, sie kenne sich aus. Bis sie erlebt habe, wie Hundetrainerin Nadine Matthews mit den Tieren arbeitet, die auch die Trainerin in ihrem Film spielt. Sie habe ihr das Tor zur dunklen Seite eröffnet, die wir in unserer Hundeliebe immer gerne beiseite drängen. "Wir haben die Tendenz, negative Gefühle, wenn es geht, zu vermeiden, das ist gar nicht so gesund", denkt Connie Walther.
Es sei eine Frage der Sozialisation, was ein junger Mann über Männlichkeit lerne, wie sehr er in ein sehr enges Männerschema gepresst werde. "Unser Problem ist das viel zu enge Bild von Männlichkeit", so Walther. "Mit dem Begriff 'toxische Männlichkeit' müssen wir uns als Gesellschaft auseinandersetzen."
Die vier gecasteten ehemaligen Gewalttäter hatten alle schon Theatererfahrung aus ihrer Haftzeit, so Connie Walther. Als Regisseurin habe sie zwar die Kontrolle, aber in einem kreativen Prozess müsse man vertrauen, das habe sie bei diesem Projekt ganz besonders gelernt, "dann muss man ins Vertrauen gehen, sich einlassen", sagt Walther. Denn man erfinde die Dinge ja nicht, sondern - genau wie in der Musik - stelle man sich beim Filmdreh in den Dienst einer Sache und müsse die Kontrolle loslassen.
Sie sieht einen Unterschied zwischen Aggression und Gewalt. "Aggression haben wir alle in uns, die ist auch hilfreich, im Sport zum Beispiel", sagt sie. Auch wer sich beruflich durchsetzen wolle, müsse seinen Raum, seinen Platz behaupten. Damit müssten wir umgehen lernen. Dass das oft in Gewalt mündet, habe viel mit Intoleranz zu tun. "Wir müssen lernen, die Aggression in uns wahrzunehmen."
Wenn wir wachsen wollen, müssen wir an die Grenze gehen, resümiert Walther. Wenn wir an der Comfort Zone sind, kommen alle negativen Gefühle wie Angst, Unsicherheit, Ärger hoch. Wir müssen lernen, dass das ein natürlicher Teil von uns ist, und sehen: "Aha ich kann das überwinden".