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Filmfestival goEast
Plattform für osteuropäische Autorenfilme

Auf dem Festival des mittel- und osteuropäischen Films in Wiesbaden, dem goEast, wurde die Krise in der Ukraine thematisiert, aber nicht in den Filmen. In Beiträgen des Spielfilm-Wettbewerbs ging es zum Beispiel um Rebellion in anderen Kontexten, und auch die Filmkunst kam nicht zu kurz.

Von Kirsten Liese | 17.04.2014
    Blick in einen Kinosaal in Mainz
    Das Festival goEast stand dieses Jahr unter dem Motto "jung, wild, ausdruckstark", so die Festivalleiterin Gabi Babić. (dpa / picture-alliance / Fredrik von Erichsen)
    Die Krise in der Ukraine musste auf einem Festival für den osteuropäischen Film Thema werden, wenn auch nicht in den Filmen. Ob sich diese Krise mit vereinten Kräften meistern lasse, wagte Alik Shpilyuk, der ukrainische Journalist und ehemalige Direktor des Odessa-Festivals zu bezweifeln.
    Viele Russen setzten ihr Land noch immer mit der Sowjetunion gleich, sagte Shpilyuk und berief sich dabei auf persönliche Erfahrungen. Als er etwa einmal seinen russischen Kollegen Valeri Dmitriev um Leihgaben aus dem russischen Staatsfilmarchiv ersuchte, habe dieser geantwortet: Er werde ihn mit den gewünschten Materialien versorgen. Zuerst aber solle er den Russen die Ukraine wiedergeben.
    Rebellion in Spielfilmen auf dem Festival
    Um das Thema Rebellion ging es auch in mehreren Beiträgen des Spielfilm-Wettbewerbs, wenn auch in anderen Kontexten. Mit ihrem Motto reagiert Festivalleiterin Gabi Babić auf aktuelle Trends:
    "Wir haben uns dieses Jahr das Motto gegeben: Jung, wild, ausdrucksstark, weil wir beobachtet haben, dass es viele Figuren gibt, die mit Ausbruchsprozessen kämpfen."
    Der mit dem Fipresci-Kritikerpreis ausgezeichnete Film "Free Range" etwa erzählt von einem angehenden jungen Vater aus Estland, der mit einem Gabelstapler viel Blödsinn anstellt, aber eigentlich Schriftsteller werden will:
    "Und an allen Ecken und Fronten in einem Kampf sich befindet. Als Untertitel hat der Film 'Ballade von der Billigung der Welt', also auch eine Anlehnung an Brecht, und das sagt ja schon der Titel aus, dass es um Widerstand gegen Anpassung an die bürgerliche Gesellschaft geht."
    In eine ähnliche Richtung zielt die ungarische Studie "Free Entry", in der zwei Backfische auf einem Rockfestival nach Freiheit und Abenteuer suchen. Beide Filme wachsen jedoch über reine Zustandsbeschreibungen nicht hinaus. Die Figuren wirken psychologisch unterbelichtet, sie werden im Laufe der Handlung nicht reifer.
    Tiefgründiger wirkt das kasachische Coming-of-Age-Drama "Kleiner Bruder", das den Preis des Auswärtigen Amtes gewann. Es ist die berührende Geschichte des neunjährigen Jungen Yerkin, der kein Kind sein darf. Die Mutter ist tot, der Vater hat sich aus dem Staub gemacht. Allein der ältere Bruder könnte helfen. Wegen des Studiums ist er in die Großstadt gezogen und kommt in den Ferien zu Besuch. Doch ihn beschäftigt nur seine eigene Zukunft. Ganz allein muss Yerkin den schwierigen Alltag in der Provinz bewältigen.
    Ein rumänisches "Das Leben der Anderen"
    Neben solchen eher sozialkritischen Produktionen kam aber auch die Filmkunst in Wiesbaden nicht zu kurz. Andrei Gruzsniczkis' "Quod erat demonstrandum", eine packende rumänische Version von "Das Leben der Anderen", etwa zeigt atmosphärische Schwarzweißbilder, deren Ästhetik das Kino der 1960er-Jahre heraufbeschwört: trostlose, enge Bauten des Kommunismus, triste Landschaften in nuancierten Grautönen und mittendrin eine an Romy Schneider erinnernde Hauptdarstellerin.
    Den mit 10.000 Euro dotierten Hauptpreis der Skoda-Stiftung gewann zu Recht Pawel Pawlikowskis polnisches Meisterwerk "Ida". Die Geschichte einer jungen Novizin nach dem Zweiten Weltkrieg überragte den goEast-Wettbewerb. Die Nonne Ida erfährt von ihrer Tante, dass sie Jüdin ist und sich - aufgewühlt von der Konfrontation mit der Vergangenheit - mit ihr zusammen auf Spurensuche nach ihren Eltern begibt:
    "Das macht die Kamera zum einen, das ist eine unglaublich ausgeklügelte Schwarzweißkomposition, auch in der Auswahl der Ausschnitte, dann großartige Schauspielerinnen, und dann die sehr berührende und ungewöhnliche Geschichte."
    Zwar kam "Ida" für Wiesbaden fast eine Spur zu spät, weil der Film schon kurz nach der Deutschlandpremiere bundesweit in den Kinos angelaufen ist. Zugleich aber bekräftigte die vielfach beachtete Produktion den exzellenten Ruf eines Festivals, das sich als Plattform für den anspruchsvollen osteuropäischen Autorenfilm versteht.