
Kazuhiko gerät in einen Alptraum. Er hat gerade seinen Uni-Abschluss gemacht und braucht dringend Geld. Im örtlichen Badehaus findet er einen Job als Putzhilfe. Doch dann muss er entdecken, dass ein Auftragskiller hier regelmäßig Leichen entsorgt. Für den Frankfurter Filmwissenschaftler Florian Höhr ist die schwarze Krimi-Komödie "Melancholic" von Seiji Tanaka eine der Entdeckungen des diesjährigen "Nippon Connection"-Filmfestivals:
"In Tokio, beim Tokio International-Filmfestival, hatte der seine Weltpremiere und dort wurde er dann in der Sektion direkt als bester Regisseur ausgezeichnet. Also ich denke, wenn der so weitermacht, wird er später zu den ganz Großen zählen."
Die japanische Gesellschaft sei im Vergleich zu westlichen "stark kollektivistisch" geprägt, sagt Japan-Filmexperte Florian Höhr. Er hat mit dem diesjährigen Auswahlteam von "Nippon Connection" rund 400 Filme gesichtet. Viele Filme zeigen: Individuen, die nicht der Norm entsprechen oder sexuellen oder ethnischen Minderheiten angehören, haben es in Japan nach wie vor schwer.
Viele Dokus über Homosexuelle
Etwa Lesben oder Schwule sind in Japan nicht akzeptiert, sagt der Modefotograf Leslie Kee im Dokumentarfilm "Portraits of the Rainbow". Kee hat Stars wie Madonna, Lady Gaga oder Karl Lagerfeld portraitiert. Nun begleitete er für einen Dokumentarfilm 10.000 schwule oder lesbische Paare in Japan. Filmwissenschaftler Florian Höhr:
"In Japan werden wirklich sehr viele herausragende Dokumentarfilme gerade über solche Themen gedreht."
Ein kleiner Junge rennt auf einem langweiligen Vorstadtplatz in Tokio in eine Gruppe Tauben und scheucht sie auf. Damit holt er auch die junge Frau aus ihren depressiven Tagträumen, die auf der Parkbank sitzt und die Tauben füttert. Wenig später erzählt die Web-Designerin in einer Kneipe beim Bier ihrer Freundin, dass sie beim Taubenfüttern daran gedacht hatte, sterben zu wollen.
Erfolglose Eheanbahnung übers Internet
Sozial gesehen ist die Frau keine Außenseiterin. Sie gehört mit ihrem Job zur Mittelschicht. Aber schnell wird klar: Es herrscht in ihrem Umfeld ein starker Konformitätsdruck. Es geht darum, dass sie heiraten will – auch, weil Ehe und Familie in der japanischen Gesellschaft immer noch eine bedeutende Rolle spielen. Der Film "Marriage Hunting Beauty" von Akiko Oku ist eine feministische Komödie, die die letztlich erfolglosen Versuche einer Eheanbahnung übers Internet oder mittels Speed-Dating-Treffen in Bars ironisiert.
Ein schöner inhaltlicher Zufall: "Die Wahrheit über Japan" – so lautet der Themenschwerpunkt des diesjährigen Sommerheftes der großartigen Zeitschrift für Ideengeschichte - herausgegeben unter anderem vom Deutschen Literaturarchiv Marbach. Im Zentrum ein Text aus dem Marbacher Nachlass des Philosophen Karl Löwith. Der war vor den Nationalsozialisten zeitweise ins japanische Exil geflohen. Die japanische Kultur sei "vorwiegend im Familiensystem begründet", so eine der Beobachtungen des Denkers 1938 im japanischen Exil.
Japan dreht für den eigenen Markt
80 Jahre später macht das Filmfestival "Nippon Connection" deutlich, wie stark die japanische Gesellschaft nach wie vor in dieser familien-fixierten Kultur verankert ist. Filmwissenschaftler Florian Höhr stellt überdies fest, dass auch die japanische Filmproduktion stark auf die eigene Gesellschaft zielt – anders etwa als im großen Nachbarland China.
"China ist schon sehr nach außen orientiert – nicht nur in der Kunst, sondern natürlich auch in der Wirtschaft. Und Japan dreht sehr viele Filme für den eigenen Markt. Es werden sehr viele bekannte Romane oder bekannte Comics adaptiert, die in Japan bekannt sind, aber in Europa kennt die kein Mensch. Und deswegen kommt auch nicht so viel nach Europa, weil die Stoffe nicht so bekannt sind hier."
Doch "Nippon Connection" sorgt nun dafür, dass mehrere Filme sofort im Anschluss an das Festival in deutsche Kinos kommen. Nicht auszuschließen, dass auch der Badehaus-Thriller "Melancholic" von Seiji Tanaka bald über hiesige Leinwände flimmert.