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Filmfestspiele Venedig
Slapstick-Momente in Zeitlupe

Der schwedische Regisseur Roy Andersson hat schon mit seinem unnachahmlichen Stil auf der Berlinale und in Cannes viele Preise gewonnen. Aber erst mit seinem Venedig-Beitrag "Eine Taube auf dem Ast denkt über ihre Existenz nach" entfaltet er seine ganze Meisterschaft.

Von Josef Schnelle | 03.09.2014
    So hört sich das an, wenn Al Pacino ankommt am Bootssteg des Excelsior-Hotels, an dem schon die Fotografen und die Autogrammjäger warten. Der Jubel der Fans auf dem Lido ist in diesem Jahr selten so laut: Hollywood macht sich rar und geht lieber zum Toronto-Festival in Kanada. Deshalb ist für den Glamourfaktor in diesem Jahr vor allem Al Pacino zuständig, der einzige Superstar aus der Filmmetropole, der allerdings gleich mit zwei Filmen im Hauptprogramm vertreten ist. Mit wuscheligem Haar, man könnte fast sagen: mit einer Punkfrisur, die die 74jährige Hollywood-Ikone wie eine Krone trägt. Im Kinosaal zeigt sich dann schnell, dass er nichts verloren hat von seiner Ausstrahlung.
    All Pacino hat seine Ausstrahlung nicht verloren
    Zum Beispiel in David Gordon Greens Außenseitermelodram "Manglehorn", das im Wettbewerb einen einfachen, extrem zurückgezogen lebenden Außenseiter beschreibt. Der Schlosser Angelo knackt zwar jede Tür, hat sich aber selbst eingeschlossen in die düstere Welt seiner Single-Wohnung, in der nur seine Katze noch eine emotionale Rolle spielt. Manglehorn hat einmal die Liebe seines Lebens für eine freudlose Ehe aufgegeben. Um seinen Sohn und die Enkelin kümmert er sich kaum; er scheint in seiner gefühlsduseligen Nostalgie wegen der verlorenen Liebe so sehr gefangen, dass er die gewiss unbeholfenen aber ehrlichen Annäherungsversuche seiner Bankbeamtin, der er jeden Freitag das eingenommene Geld vorbeibringt, kaum ertragen kann. Die richtigen Worte findet er kaum, und so gerät jedes zweite versuchte Kompliment zur Beleidigung.
    Pacino: "Ich hab viel Glück gehabt"
    "Manchmal kommen mir Dinge einfach in den Sinn. Und ich sage einfach das Falsche. Aber was ich wirklich sagen wollte ist: Sie sehen einfach wirklich gut aus." - "Setzen Sie sich einfach hin... wollen Sie einen Wein oder einen Saft." - "Viele Christusfiguren hier." - "Ich bin froh, dass Sie mich zum Essen eingeladen haben."
    Manglehorn demütigt sie sogar mit den Geschichten seiner großen Liebe und muss durch das ganze Märchen des fast zu spät geläuterten Prinzen hindurch, um Holly Hunter doch noch für sich zu gewinnen. Al Pacino spielt dieses unglückliche Selbst mit großer Hingabe.
    Auch in „The Humbling" von Barry Lewinson nach der Philip Roth-Vorlage "Die Demütigung" ist Al Pacino heruntergekommen, diesmal als Schauspieler, der spürt, dass ihm seine Schaffenskraft entgleitet. Er verliebt sich in eine halb so alte junge Frau, die eigentlich mit Männern gar nichts mehr zu tun haben will. Je mehr das Chaos um ihn herum zunimmt, desto sicherer fühlt sich Simon Axler - das ist der Rollenname von Al Pacino - in dieser Tragikomödie eines lächerlichen Mannes. Auf der Pressekonferenz kommentiert Al Pacino ironisch seine beiden Rollen.
    "Heute morgen wollte ich gar nicht aufstehen. Aber wenn ich Sie hier alle so sehe, denke ich: Ich mag das. Ich hab viel Glück gehabt: Ich hab etwas gefunden im Leben das ich gerne tue."
    Der schwedische Regisseur Roy Andersson hat schon mit seinem unnachahmlichen Stil auf der Berlinale und in Cannes viele Preise gewonnen. Aber erst mit seinem Venedig-Beitrag "Eine Taube auf dem Ast denkt über ihre Existenz nach" entfaltet er seine ganze Meisterschaft. Mit Slapstick-Momenten in Zeitlupe präsentiert Andersson ein Panorama der menschlichen Befindlichkeiten. Die äußerst statischen Bildkompositionen in fahlen Farben und pantomimischen Bewegungsstudien mit wenig Dialog öffnen den Blick für das Menschliche-Allzumenschliche, das Andersson in dieser existenzialistischen Tragikomödie zeigen will. Menschen kommen zu spät, reden aneinander vorbei, verletzen einander unwissentlich und fühlen sich verloren in der kalten Welt. Die Lachsackhandelsvertreter haben gar keine Chance - aber schließlich kann man in dieser Welt einen Schnaps mit einem Kuss bezahlen. Ein großartiger, löwenverdächtiger Walzer der menschlichen Leidenschaften. Lustig aber gespickt mit verstörenden Bildern.