Stefan Koldehoff: Wenn es warm wird an der Côte d'Azur, dann trifft sich die internationale Filmwelt in Cannes. Irgendwann aber verschwinden die Regisseure und Kritiker und Schauspieler und Produzenten, sobald es so richtig heiß wird in kühl-klimatisierten Kinosälen, um als Erste das zu sehen, was im folgenden Kinosommer relevant werden könnte. Abends kommt man dann wieder ans Tageslicht und spricht über das, was man heute gesehen hat oder morgen sehen will. Christoph Schmitz ist in Cannes, wo die Filmfestspiele in gut anderthalb Stunden offiziell eröffnet werden mit einer Cérémonie d' Ouverture im Grand Théâtre Lumière. Herr Schmitz, das klingt toll, heißt aber zunächst mal, vor das Kino hat der Herr auch in Cannes den roten Teppich und die Reden gesetzt?
Christoph Schmitz: Die Reden werden nicht so groß gehalten hier. Das Erscheinungsbild ist wichtiger. Der rote Teppich und die wunderbaren Designermoden, die aufgetragen werden, die ich von hier aus vor dem Majestic Hotel an der Croisette auch sehen kann, die Palmen daneben. Es geht aber dann doch wirklich schnell in die Kinos, auch wenn die Fans draußen in großen Mengen auf Leitern warten. Gleich geht es los mit "Blindness", mit "Die Stadt der Blinden", eine Romanverfilmung, um gleich dann auch wirklich zur Kultur zu kommen. Eine Romanverfilmung von José Saramagos gleichnamigen Roman. Fernando Meirelles hat diesen Roman verfilmt. Meirelles ist ein Brasilianer, der mit Cidade dos Homens schon für Aufsehen gesorgt hatte vor einigen Jahren. Es ist eine Favela-Geschichte. Und hier erzählt er eine Epidemie-Geschichte eigentlich, eben genau das, was im Roman passiert. Die Stadt erblindet. Die Menschen, die zuerst erblinden, werden in Quarantäne gebracht, in eine abgehalfterte Industriehalle untergebracht, mit dem Notwendigsten, wenn überhaupt, versorgt. Und nun wird beobachtet im Roman wie im Film, wie diese Menschen reagieren, wie sie interagieren, wie sich ein Darwinismus ausbreitet, wie Moral und Macht und Kraft des Stärkeren miteinander in Konflikt kommen und wie sich dies so ereignet. Es ist so eine Art Sozialexperiment, kann man sagen. Ein Verhaltensexperiment, ähnlich wie Goldings "Herr der Fliegen" oder Albert Camus "Die Pest".
Koldehoff: Und damit dann wahrscheinlich die Blindheit auch ein wenig die Metapher für den Zustand der Gesellschaft. Was sind weitere Themen, weitere Tendenzen? Gibt es Länderschwerpunkte? Was findet statt in diesem Jahr in Cannes?
Schmitz: Ja, interessant ist, dass zum einen sehr viele gänzlich unbekannte Regisseure hier auftreten, die noch nie einen Film irgendwo auf größeren Festivals gezeigt haben, deren Namen man nicht kennt, deren kleines Werk man auch so ohne Weiteres nicht kennt. Das macht die Hälfte der Wettbewerbsregisseure aus. Die andere Hälfte sind eher bekanntere Namen, darunter Clint Eastwood, Steven Soderbergh oder Walter Salles, wiederum ein Brasilianer. Sehr viele Lateinamerikaner, sehr viele Regisseure aus Nordamerika, aus den USA. Clint Eastwood erzählt eine Geschichte aus den 30er Jahren aus Los Angeles. Da geht es um Mord, um eine Kindesentführung, aber vor allem um das Verschweigen. Und Steven Soderbergh erzählt eine historische Geschichte, Che Guevara, "Che" heißt der Film. Ein Vier-Stunden-Epos, bestehend aus zwei Teilen. Er macht aber keine Hagiographie, sondern zeigt eher das Scheitern eines Helden. Das Scheitern ist überhaupt ein starkes Motiv in vielen anderen Filmen, auch bei Walter Salles "Linha de Passe" über das harte Leben heute in Rio de Janeiro. Mafiöse Geschichten werden erzählt, Osteuropa-Mafia, Russen-Mafia, italienische Mafia, das kommt sehr stark vor. So das gloriose, das glänzende Kino wird hier nicht gezeigt. Es ist ein nachdenkliches Kino einerseits.
Koldehoff: Und überhaupt, kein Entertainmentkino, keine Unterhaltung, kein Film einfach nur, um der schönen Geschichte willen?
Schmitz: Doch. Ja, das auch in Kräften. Steven Spielberg stellt seinen neuen Indiana-Jones-Teil vor. Da gibt es auch so was Nettes wie ein Portrait des argentinischen Fußballers Maradonna. Emil Kusturica, der Serbe, hat sich dem gewidmet und ein Woody Allen, der ja mittlerweile um die Welt tourt und in jeder schönen Stadt einen Film macht. "Vicky Cristina Barcelona" heißt der neue Film mit Scarlett Johansson, Penélope Cruz und Javier Bardem.
Koldehoff: Nun sind wir ja bei solchen Festivals, ähnlich wie bei den Europameisterschaften im Sport, immer auch ein bisschen Patrioten. Wie steht es denn um die deutsche Beteiligung?
Schmitz: Ganz gut. In diesem Jahr wie auch im letzten Jahr schon, der deutsche Film ist wieder auf dem großen Parkett und hier beim wichtigsten Filmfestival vertreten. Wim Wenders zeigt seinen Film "The Palermo Shooting". Interessante Besetzung. Campino von den Toten Hosen spielt hier einen Fotografen, der aber irgendwann ausrastet sozusagen und die Hektik seines Berufs nicht mehr erträgt und nach Palermo geht, und da aber nicht mit dem Frieden, sondern mit einer Art Sensemann konfrontiert wird, der ihn erschießen will. Denis Hopper spielt das. Und dann gibt es auch einen Andreas Dresen "Wolke neun" über Liebe im Alter. Aber auch die Jurys sind hier mit Deutschen besetzt. Alexandra Maria Lara in der Wettbewerbsjury, und Fatih Akin leitet eine Nebenreihenjury.
Koldehoff: Und wir werden Sie in den nächsten Tagen regelmäßig hören aus Cannes. Sie werden uns auf dem Laufenden halten, was Sie gesehen haben in den Wettbewerben und außerhalb der Wettbewerbe. Für heute herzlichen Dank, Christoph Schmitz nach Cannes, wo heute Abend die Filmfestspiele eröffnet werden.
Christoph Schmitz: Die Reden werden nicht so groß gehalten hier. Das Erscheinungsbild ist wichtiger. Der rote Teppich und die wunderbaren Designermoden, die aufgetragen werden, die ich von hier aus vor dem Majestic Hotel an der Croisette auch sehen kann, die Palmen daneben. Es geht aber dann doch wirklich schnell in die Kinos, auch wenn die Fans draußen in großen Mengen auf Leitern warten. Gleich geht es los mit "Blindness", mit "Die Stadt der Blinden", eine Romanverfilmung, um gleich dann auch wirklich zur Kultur zu kommen. Eine Romanverfilmung von José Saramagos gleichnamigen Roman. Fernando Meirelles hat diesen Roman verfilmt. Meirelles ist ein Brasilianer, der mit Cidade dos Homens schon für Aufsehen gesorgt hatte vor einigen Jahren. Es ist eine Favela-Geschichte. Und hier erzählt er eine Epidemie-Geschichte eigentlich, eben genau das, was im Roman passiert. Die Stadt erblindet. Die Menschen, die zuerst erblinden, werden in Quarantäne gebracht, in eine abgehalfterte Industriehalle untergebracht, mit dem Notwendigsten, wenn überhaupt, versorgt. Und nun wird beobachtet im Roman wie im Film, wie diese Menschen reagieren, wie sie interagieren, wie sich ein Darwinismus ausbreitet, wie Moral und Macht und Kraft des Stärkeren miteinander in Konflikt kommen und wie sich dies so ereignet. Es ist so eine Art Sozialexperiment, kann man sagen. Ein Verhaltensexperiment, ähnlich wie Goldings "Herr der Fliegen" oder Albert Camus "Die Pest".
Koldehoff: Und damit dann wahrscheinlich die Blindheit auch ein wenig die Metapher für den Zustand der Gesellschaft. Was sind weitere Themen, weitere Tendenzen? Gibt es Länderschwerpunkte? Was findet statt in diesem Jahr in Cannes?
Schmitz: Ja, interessant ist, dass zum einen sehr viele gänzlich unbekannte Regisseure hier auftreten, die noch nie einen Film irgendwo auf größeren Festivals gezeigt haben, deren Namen man nicht kennt, deren kleines Werk man auch so ohne Weiteres nicht kennt. Das macht die Hälfte der Wettbewerbsregisseure aus. Die andere Hälfte sind eher bekanntere Namen, darunter Clint Eastwood, Steven Soderbergh oder Walter Salles, wiederum ein Brasilianer. Sehr viele Lateinamerikaner, sehr viele Regisseure aus Nordamerika, aus den USA. Clint Eastwood erzählt eine Geschichte aus den 30er Jahren aus Los Angeles. Da geht es um Mord, um eine Kindesentführung, aber vor allem um das Verschweigen. Und Steven Soderbergh erzählt eine historische Geschichte, Che Guevara, "Che" heißt der Film. Ein Vier-Stunden-Epos, bestehend aus zwei Teilen. Er macht aber keine Hagiographie, sondern zeigt eher das Scheitern eines Helden. Das Scheitern ist überhaupt ein starkes Motiv in vielen anderen Filmen, auch bei Walter Salles "Linha de Passe" über das harte Leben heute in Rio de Janeiro. Mafiöse Geschichten werden erzählt, Osteuropa-Mafia, Russen-Mafia, italienische Mafia, das kommt sehr stark vor. So das gloriose, das glänzende Kino wird hier nicht gezeigt. Es ist ein nachdenkliches Kino einerseits.
Koldehoff: Und überhaupt, kein Entertainmentkino, keine Unterhaltung, kein Film einfach nur, um der schönen Geschichte willen?
Schmitz: Doch. Ja, das auch in Kräften. Steven Spielberg stellt seinen neuen Indiana-Jones-Teil vor. Da gibt es auch so was Nettes wie ein Portrait des argentinischen Fußballers Maradonna. Emil Kusturica, der Serbe, hat sich dem gewidmet und ein Woody Allen, der ja mittlerweile um die Welt tourt und in jeder schönen Stadt einen Film macht. "Vicky Cristina Barcelona" heißt der neue Film mit Scarlett Johansson, Penélope Cruz und Javier Bardem.
Koldehoff: Nun sind wir ja bei solchen Festivals, ähnlich wie bei den Europameisterschaften im Sport, immer auch ein bisschen Patrioten. Wie steht es denn um die deutsche Beteiligung?
Schmitz: Ganz gut. In diesem Jahr wie auch im letzten Jahr schon, der deutsche Film ist wieder auf dem großen Parkett und hier beim wichtigsten Filmfestival vertreten. Wim Wenders zeigt seinen Film "The Palermo Shooting". Interessante Besetzung. Campino von den Toten Hosen spielt hier einen Fotografen, der aber irgendwann ausrastet sozusagen und die Hektik seines Berufs nicht mehr erträgt und nach Palermo geht, und da aber nicht mit dem Frieden, sondern mit einer Art Sensemann konfrontiert wird, der ihn erschießen will. Denis Hopper spielt das. Und dann gibt es auch einen Andreas Dresen "Wolke neun" über Liebe im Alter. Aber auch die Jurys sind hier mit Deutschen besetzt. Alexandra Maria Lara in der Wettbewerbsjury, und Fatih Akin leitet eine Nebenreihenjury.
Koldehoff: Und wir werden Sie in den nächsten Tagen regelmäßig hören aus Cannes. Sie werden uns auf dem Laufenden halten, was Sie gesehen haben in den Wettbewerben und außerhalb der Wettbewerbe. Für heute herzlichen Dank, Christoph Schmitz nach Cannes, wo heute Abend die Filmfestspiele eröffnet werden.