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Filmkritik aus dem Computer

Informationstechnik. - Wenn Investoren viele Millionen US-Dollar in etwas derart Leichtflüchtiges wie einen Film stecken, dann soll der Erfolg kein Zufall sein. Um das zu beurteilen, entwickelten US-Ingenieure eigens ein Computer-Orakel mit neuronalen Strukturen.

Von Maximilian Schönherr |
    Ähnlich wie die Wahlprognosen erst mit der ersten Hochrechnung verlässlich werden, gibt es Formeln, mit denen man den Erfolg eines Films hochrechnen kann, wenn er gerade angelaufen ist - nicht aber vorher. Diese Verfahren sind alle statistischer Natur und die Statistik zu befragen, ob ein Film, der noch gar nicht produziert ist, ein Erfolg oder Flop wird, wäre eine grobe Überforderung dieser alten mathematischen Methode. Dafür müssen andere Werkzeuge her. Früher hätte man von "Künstlicher Intelligenz" oder "Expertensystemen" gesprochen. Heute sagt man weniger vollmundig: "Neuronale Netzwerke" – das sind Computerprogramme, die versuchen, wirtschaftliche und soziale Zusammenhänge zu modellieren, indem sie sich aus vielen eingegebenen Parametern und einigen festen Regeln selbst so ihre Gedanken machen und dann mit einem Ergebnis aufwarten. Zum Beispiel, ob ein geplanter Film 200 Millionen oder nur zehn einspielen wird.

    "Neben unseren neuronalen Netzwerken setzen wir dazu die Methoden des Meta-Modellings ein, dem Modellieren von Modellen. Wir lassen ein übergeordnetes Programm auf die kleineren neuronalen Netzwerke los. Sie fassen deren Einzelergebnisse intelligent zusammen und erzielen damit eine sehr hohe Vorhersagegenauigkeit. Außerdem gibt uns das Meta-Modelling Methoden an die Hand, die Ergebnisse für unsere Kunden zu analysieren."

    Dursun Delen vom Institut zur Erforschung von Informationssystemen an der staatlichen Universität in Oklahoma. Zusammen mit seinem indischen Kollegen Ramesh Sharda hat der türkische Wissenschaftler monatelang neuronale Netzwerke trainiert, sie mit Daten von über 800 amerikanischen Filmen und Regeln aus der Wirtschaftsinformatik gefüttert. Nun kann er der Filmindustrie in Hollywood ein fast fertiges Programm präsentieren, was per Mausklick vorhersagt, ob es sich lohnt, einen bestimmten Film überhaupt in Angriff zu nehmen.

    Die Simulation erfordert eine Reihe von Eingaben und stuft den geplanten Film dann in eine von neun Erfolgskategorien ein. Zu den Eingaben gehören unter anderem die Altersfreigabe, die Prominenz der Hauptdarsteller und die Menge an technischen Spezialeffekten. Die Informatiker warten mit einer Treffsicherheit von 37 Prozent auf, wobei das dann Treffer ins Schwarze sind. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 75 Prozent sagt das System voraus, ob der Film ein Flopp wird oder sich finanziell lohnt. Dursun Delen hat noch keinen türkischen Film ins System gefüttert. So, wie das System jetzt programmiert ist, macht es aber ohnehin nur mit Filmen aus Hollywood Sinn.

    "Die Filmindustrien in anderen Ländern funktionieren anders. Sie sind stärker auf Kunst ausgerichtet, es sind oft Filme, die man macht, weil man diese Filme machen will – im Unterschied zu Hollywoods riesigen Produktionsfirmen, die Filme machen, um damit eine große Industrie am Laufen zu halten."

    Und Kunst und Kultur sind bisher keine Parameter, die das Neuronale Netz kennt. Delens indischer Kollege hat schon zahlreiche Anfragen von Bollywood - dem indischen Pendant zu Hollywood - bekommen und genau aus diesem Grund abgewinkt. Auch wenn Bollywood die zweitgrößte Filmindustrie der Welt ist, Amerika tickt anders als Indien. Einen großen Teil ihrer Arbeit haben Delen und Shardar darauf verwendet, Parameter auszusondern. So scheint offenbar der Verlauf eines Films, die Story und der Plot, oder die Frage, ob der Film traurig endet, keine Rolle für den finanziellen Erfolg zu spielen.

    Andererseits kann schon eine kleine Änderung der Altersfreigabe alles ändern – das Programm sagt den Produzenten, ob es sich lohnt, den Kinderfilm besser doch erst ab 13 freizugeben. Dursun Delen sieht sein System nur als Hilfsmittel und hält die persönliche Erfahrung eines Produzenten für weiterhin entscheidend, gibt aber zu bedenken, dass kein Produzent innerhalb einer Sekunde entscheiden kann, und wohl auch nicht alle 800 Filme gesehen hat, die das neuronale Netz kennt. Nur eins wird das System nie schaffen: progressiv denken. Denn:

    "Wenn sich ein Film unerwartet verhält, wenn in der Filmdatenbank solch ein Muster nie vorkam, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass unser Modell das nicht versteht. Denn wie alle Computermodelle basiert auch unseres auf der Annahme, dass sich die Vergangenheit ewig wiederholt."