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Filmregisseur als Theatermacher

Spätestens seit "Halbe Treppe" gehört Andreas Dresen zur Riege der wichtigsten deutschen Filmregisseure. Am Deutschen Theater in Berlin hat er seine neue Arbeit für das Theater vorgestellt. Doch er tut sich schwer mit Ödön von Horváths kühler Seelenzerstörungsdramaturgie in "Kasimir und Karoline".

Von Eberhard Spreng | 28.05.2006
    Eigentlich wollte Karoline nur mit ihrem Kasimir aufs Oktoberfest und mit der Achterbahn fahren. Da aber der Kasimir leider am Vortag entlassen worden ist, ist ihm nicht der Sinn nach Vergnügungen und schnell entbrennt wegen einer Nichtigkeit der Streit zwischen den Beiden. Horvath hat sein Stück über das Zerbrechen einer Liebesgeschichte in eine Welt der kitschigen Gefühle, der bunten Verführung und der einfachen Ablenkung gestellt, auf den Jahrmarkt, der in der Inszenierung von Andreas Dresen von den 17 Hippies musikalisch begleitet wird.

    Auf der ansonsten nackten schwarzen Bühne ist nichts weiter als eine Stahlkonstruktion aufgebaut, eine Art drehbarer Wippe, die zugleich ein primitives Karussell als auch so etwas wie eine Waage darstellen kann. Mit dem Karussell kann man herumfahren und für einen Augenblick die Welt vergessen, aus den Wippen-Enden werden Waagschalen zum Abwägen von Vergnügen und Treue, Spaß und Schicksal. Denn um solche Fragen geht es, bei den sich wandelnden Gruppen, die der Regisseur auf dieser schnell ins Ungleichgewicht geratenden Konstruktion postiert. Und gleichzeitig ist das auch ein Bild für den Kinderspielplatz, über dessen emotionales Niveau die Figuren hier kaum hinausgekommen sind. Bei Horváth geht es immer um ganz ernste Themen zwischen nicht ganz ernsten Menschen.

    Kasimir hat also seine Karoline im Streit einfach stehen lassen und in seinem Kummer bei einem Pärchen von Kleinganoven Anschluss gefunden. Und Karoline, lernt erst den Zuschneider Schürzinger und schließlich sogar dessen Chef kennen. Eine steile soziale Karriere scheint sich da anzubahnen, wenn denn Karoline die emotionalen Kosten für eine Liaison mit dem Kommerzienrat zu tragen bereit wäre, wenn sie wirklich die Waffen einer durchtriebenen Frau hätte, was nicht der Fall ist. Also träumt ein Operettenherz mit Gutmenschseinwollen vom Platz in der ernsten Welt der Reichen. Während Kasimir sozial nach unten sinkt, und Karoline den Aufstieg versucht, begegnen sich die beiden immer wieder, verlieren sich nicht aus dem Blick, tun sich weh, ohne es recht zu wollen und ohne so recht zu wissen, warum.

    Leider hat Andreas Dresen den von Christian Grashof gespielten reichen Geschäftsmann ins staubig-gestrige Gewand eines Honoratioren aus dem 19. Jahrhundert gesteckt, zur Karikatur gemacht und damit von vornherein ausgeschlossen, dass er zur denkbaren Partie eines Mädchens aus der Gegenwart wird. Mit dieser irgendwie sozialdemokratisch anmutende Verpopanzung ist sichergestellt, dass uns "Kasimir und Karoline" heute viel weniger angehen kann, als Dresens Filme, deren liebevoller Blick aufs ostdeutsche Biotop der Bratkartoffelverhältnisse noch in "Sommer vorm Balkon" eine ganz griffige und psychologisch präzise Geschichte hervorgebracht hatte. Dort hatte Inka Friedrich eine alleinerziehende Mutter gespielt, eine alkoholgefährdete junge Frau, die sich mit ihrer besten Freundin wegen deren verunglückter Love-Affair vorübergehend zerstreitet. Nun spielt sie eine Karoline, die viel mehr Mühe hat, uns als Mensch begreiflich zu werden.

    In seinem Filmen erzählt Dresen immer auch indirekt von seinem unerschütterlichen Glauben an die Liebe als emotionaler Auffanginstanz in Krisenzeiten. Was da auf dem sommerlichen Balkon zwischen zwei Freundinnen begonnen hatte und in einen Zerwürfnis zu scheitern drohte, endete auf dem nämliche Balkon - eine Geschichte im Kreislauf, mit dem in Turbulenzen erworbenen Mehrwert: Lebenserfahrung. Die Enttäuschung der Preis für ein Leben mit Erfahrungszugewinn: ein Loose-Win-Szenario.

    Bei Horváth gibt es das Am-Anfang-wieder-Ankommen nur als Bruchlandung, als nicht wieder gut zu machende Beschädigung der Seele nach erlittener Enttäuschung. Ein Loose-Loose-Szenario. "Da geht das Leben geht weiter, als wäre man gar nicht dabei gewesen", sagt Karoline am Ende. Wenn immer Horvath erzählt, dass die armen Leuten viel Ungemach ereilt, weil sie mit Operettengefühlen Karriere machen wollen, scheint Dresen nur widerwillig zu folgen.

    Dass die Liebe einer Frau automatisch nachlässt, wenn ihr Mann arbeitslos wird, diese lakonische Botschaft hatte Karoline bereits früh im Stück erreicht. "Bestimmt nicht", hatte sie gesagt. Am Ende verlässt sie mit dem Mann die Bühne, der das gesagt hatte. Der heißt Schürzinger und hat einen Arbeitsplatz. Die bittere Erkenntnis geht fast unter in Dresens von den 17 Hippies befeuerten Jahrmarktszarzuela, die sich schwer tut mit Ödön von Horváths kühler Seelenzerstörungsdramaturgie.