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Finanzkrise ab 1673 - von der Tulipmania bis zur Internetblase

1637 schlitterten die Niederlande in eine der ersten Spekulationskrisen der Neuzeit, unter dem Begriff "Tulipmania" bekannt. Denn das Spekulationsobjekt war die damals noch seltene Tulpe. Ihre Seltenheit machte sie zu einem Statussymbol, und bald spekulierte die halbe niederländische Bevölkerung, bis sie den Preis einer Zwiebel auf umgerechnet 87.000 Euro getrieben hatte. Dann platzte die Tulpenblase. Nachzulesen ist die Geschichte in einem Kompendium der Finanzkrisen seit dem 16.Jahrhundert. Eva Bahner hat es gelesen und mit einem der Herausgeber, dem FAZ-Redakteur Gerald Braunberger, gesprochen.

    "Meine Damen und Herren, seit zwei Tagen sind alle deutschen Banken und Sparkassen mit Ausnahme der Reichsbank geschlossen."

    15. Juli 1931, in einer Rundfunkansprache wendet sich Reichsfinanzminister Hermann Dietrich an die deutschen Sparerinnen und Sparer. Es war die Angst vor einem Ansturm auf die Banken, die die damalige Regierung zu einer derart radikalen Maßnahme greifen ließ: "Bankfeiertage", die Reichskanzler Heinrich Brüning knapp drei Wochen später nochmals rechtfertigte:

    "Bei der Bedeutung, die die Großbanken in der gegenwärtigen Struktur unseres Bankwesens für die deutsche Gesamtwirtschaft haben, waren schnelle Entscheidungen der Reichsregierung notwendig. Bares Geld in einem Augenblick beanspruchen, wo es nicht unbedingt benötigt wird, ist ein Aufschluss unbegründeter Nervosität, aber nicht wirtschaftlich richtigen Denkens."

    "Ein Krisenauslöser in Europa war die Tatsache, dass damals in Europa viel amerikanisches Geld investiert war, und man hat damals einen Fehler gemacht, den jetzt manche Banken gemacht haben, zum Beispiel die Hypo Real Estate. Die haben sich Geld kurzfristig ausgeliehen und haben damit langfristig etwas finanziert, und das Projekt geht nur, wenn sie diese kurzfristige Finanzierung immer wieder erneuern können. Und so wie bei der Hypo Real Estate das irgendwann nicht mehr ging, weil das Vertrauen nicht mehr da war, so scheiterten damals Finanzierungen in Europa, weil die Amerikaner das Geld zurückgezogen haben und das hat mit zum Ausbruch der Krise in Europa beigetragen, also auch das war eine Art von Verflechtung."

    "Crash - Finanzkrisen gestern und heute" heißt das Buch, das der Wirtschaftsredakteur Gerald Braunberger zusammen mit seinem Kollegen Benedikt Fehr herausgegeben hat. Insgesamt 16 historische Finanzkrisen werden darin beschrieben, von der Spekulation mit Tulpenzwiebeln im 17. Jahrhundert bis zum Platzen der Internetblase im Frühjahr 2000, auch der Tag an der Wall Street, der in Amerika als "Schwarzer Donnerstag" in die Geschichtsbücher einging, der 24. Oktober 1929:

    "Drinnen in der Börse rattern die überlasteten Fernschreiber. Wild gestikulierende Makler fordern von ihren Kunden Nachschüsse auf kreditfinanzierte Anlagen und arbeiten entnervt eine Lawine an Verkaufsaufträgen ab."

    Was war passiert? Viele amerikanische Privatanleger hatten sich in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts an Aktien gewagt. Die Banken, unter anderem auch die traditionsreiche Goldman Sachs, erfanden neue Anlagemöglichkeiten, die sogenannten Investmenttrusts, die das ihnen anvertraute Kapital angeblich in ausgewogene Aktienpakete investierten - bis das Vertrauen schwand, das Kartenhaus zusammenbrach, und ein beispielloser Kursverfall einsetzte.

    "Umstritten ist, ob die Marktteilnehmer an der Börse damals auf die sich abschwächende Konjunktur vorausschauend reagierten oder ob sie die Weltwirtschaftskrise mit ihren Panikverkäufen erst entscheidend auslösten."

    Auch wenn die gegenwärtige Finanzkrise nicht mit einem Kursrutsch an den Börsen begann, sondern in der realen Welt, auf dem amerikanischen Immobilienmarkt, so hält Braunberger den oft gezogenen Vergleich mit der Krise Ende der 20er Jahre für durchaus angemessen:

    "Das internationale Finanzsystem stand vor dem Zusammenbruch, wir waren wirklich nicht sehr weit davon entfernt, und es kann durchaus sein, dass sich an diese Finanzkrise eine Wirtschaftskrise anschließt, die Europa, Amerika und auch den Rest der Welt erfasst. Allerdings gibt es einen Unterschied. Damals ist eine große Weltwirtschaftskrise entstanden, weil die Politik falsch reagiert hatte, vor allen Dingen man hat damals das Geld zu knapp gehalten, man hat keine Banken gerettet, hat sie zusammen brechen lassen. Und das hat die Krise sehr verschärft. Wir gehen dieses Mal den anderen Weg. Man geht mit viel Geld zur Rettung von Banken über, und das sollte eigentlich verhindern, dass wir eine schwere Weltwirtschaftskrise bekommen."

    Stündlich liefen Sondersendungen am 19. Oktober 1987, die das ungeheure Kursgewitter an der Wall Street dokumentierten. An diesem "Schwarzen Montag" verlor der Dow Jones über 500 Punkte, 22,6 Prozent. Es war der erste große Börsencrash nach dem zweiten Weltkrieg, Alarmstufe Rot, auch im Weißen Haus. Selbst den damaligen Präsidenten Ronald Reagan hatte die Heftigkeit des Einbruchs überrascht, so dass er innerhalb von acht Wochen die Vorgänge an der Wall Street aufklären lassen wollte. Letztlich waren es die voll automatisierten Handelsprogramme, die den Kursrutsch beschleunigten.

    "Schon am Freitag vor dem Schwarzen Montag fiel der Dow Jones um mehr als 5 Prozent. So lagen am Montag gleich zu Handelsbeginn Verkaufsaufträge in Milliardenvolumen vor. Das war der Auftakt zu einem chaotischen Handelstag - nicht nur an der Wall Street, sondern rund um den Globus".

    Anders als 1929 zog dieser Kurssturz keine Wirtschaftskrise nach sich, nach einem Jahr hatte sich der Dow Jones wieder erholt, und das lag unter anderem am Krisenmanagement des damaligen Notenbankchefs Alan Greenspan:

    "In einer bewusst trockenen Mitteilung - sie bestand aus einem einzigen Satz - versicherte die Fed, dass sie bereit stehe, das Finanzsystem und die Wirtschaft insgesamt mit Liquidität zu versorgen. In den folgenden fast 20 Jahren an der Spitze der Fed hat Greenspan auf Börsenkrisen immer wieder nach diesem Muster - Zinssenkungen und Liquiditätszufuhr - reagiert, auch nach dem Platzen der Internetblase."

    Abenteuer haben die Aktionäre des einstigen Stars der New Economy, EM.TV, zu Genüge erlebt. Sie vertrauten blind dem Geschäft der Haffa-Brüder mit Filmrechten unter anderem für die Sesamstraße oder die Muppet Show und wurden bitter enttäuscht. EM.TV steht wie kein anderes Unternehmen für den Auf- und Abstieg des Neuen Marktes, für eine riesige Technologieblase, von denen auch alt eingesessene Unternehmen wie Siemens und die Deutsche Telekom profitierten:

    "Wie die Lemminge marschierten die Marktteilnehmer mit ihrem Kapital in alles, was mit Internet, Computern und Mobiltelefonen zu tun hatte. Folglich stiegen die Kurse und noch mehr Anleger wurden angelockt und sprangen auf den Zug auf."

    Die Euphorie endete im Frühjahr 2000, als immer deutlicher wurde, dass die hohen Gewinnerwartungen niemals erfüllt werden würden.

    "Bei fast allen Finanzkrisen sieht man ein Zusammentreffen billigen Geldes und irgendeiner Art von Investmentidee, ob das im Holland des 17. Jahrhunderts Tulpenzwiebeln waren, ob das die Eisenbahnspekulation war im 19. Jahrhundert oder die Internetspekulation vor zehn Jahren. Und in dieser aktuellen Krise war es halt die Idee, innerhalb des Bankensystems mit neuartigen Finanzprodukten zu spekulieren. Und dann kommt ein Herdeneffekt, dann kommt die Gier, weil einige Leute damit Erfolg haben, wollen andere mit dabei sein, und dann schaukelt sich das hoch, bis es irgendwann zusammenbricht."

    Braunbergers Buch ist ein chronologischer Streifzug durch die Finanzkrisen der Neuzeit, gespickt mit Anekdoten, unterhaltsam und leicht verständlich. Allerdings werden Leserinnen und Leser, die mit Begriffen aus der Finanzwelt wenig vertraut sind, das eine oder andere mal das Glossar am Ende des Buches bemühen müssen. Der erste Teil befasst sich mit den historischen, der zweite mit der gegenwärtigen Finanzkrise bis August dieses Jahres. Es ist eine Aufsatzsammlung geschrieben von 14 Redakteurinnen und Redakteuren der F.A.Z.-Wirtschaftsredaktion, deshalb stehen die Kapitel zuweilen zusammenhangslos nebeneinander. Aber auch ohne ausführliche Analyse lässt sich das Muster von Finanzkrisen erkennen. Als beruhigende Erkenntnis bleibt: Nicht auf jede Finanzkrise folgt eine Wirtschaftskrise und Finanzkrisen gehören zur Geschichte des Kapitalismus dazu und der wiederum hat bislang noch alle überlebt.

    Eva Bahner über den von Gerald Braunberger und Benedikt Fehr herausgegebenen Band: "Crash. Finanzkrisen gestern und heute." Erschienen im Frankfurter Allgemeine Buchverlag, 224 Seiten zum Preis von 17 Euro und 90 Cent.