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Finbars Hotel

"Damals war Finbars Hotel kein Drei Sterne Hotel gewesen, sondern ein Drei P Hotel, geeignet für Priester, Polizisten und Prostituierte".

Hannelore Hippe |
    Das waren noch die besseren Zeiten des herunter - und in die Jahre gekommenen Quartiers. Eine Nacht lang begleiten wir die Gäste einer Etage in Finbars Hotel in Dublin. Doch die hat es wie viele feuchte irische Nächte in sich. Schon der erste Satz des ersten Kapitels " Benny gönnt sich Dublin" beginnt vielversprechend, wenn auch enttäuschend für den Protagonisten aus Zimmer 101:

    "Ben Winters suchte nach der Minibar. An der Scheuerleiste entlang bis in die hinterste Ecke. Großartige Erfindung, diese Minibars, er kannte sie aus Dutzenden von Filmen und liebte die kleinen Flaschen, von denen sich soviele und so verschiedene auf engstem Raum unterbringen ließen. Mitsamt den Chipstüten. Schon immer hätte er sich gern vor so eine Kiste gehockt und genüsslich darin gestöbert. Jetzt aber suchte er schon zehn Minuten und konnte und konnte das Scheißding nicht finden. Ben war untergetaucht. Nur für eine Nacht. Weil er sehen wollte, wie so was lief. Deshalb war er hier in Finbars Hotel. Um nie gemachte Erfahrungen nachzuholen, um rauszukriegen, was er sich hatte entgehen lassen. Irgendwas würde passieren."

    Finbars Hotel. Eine Nacht. Acht Gäste, die sich hier einquartiert haben um etwas zu erleben aber auch um an neutralem Ort unbewältigte Vergangenheit aufzurütteln. In sieben Zimmern. Wand an Wand. Ein Roman geschrieben von den zur Zeit sieben erfolgreichsten irischen Schriftstellern. Sieben auf einen Federstreich. Dermot Bolger, den Herausgeber und Initiator dieser ungewöhnlichen literarischen Idee traf ich natürlich in....

    "Finbars Hotel, aber verraten Sie um Gottes Willen niemandem wo es genau liegt, aber wenn Sie sich umschauen, erkennt man sofort die Rezeption wieder, da hinten ist der Lift... Wissen Sie, als Schriftsteller auf Lesereisen hält man sich so oft in Hotels auf, man sitzt in der Lobby herum und wundert sich, was wohl die anderen Gäste hier machen und ich dachte mir, es wäre doch spannend, wenn man sieben irische Autoren nähme und ihnen den gleichen Ausgangspunkt an die Hand gäbe: Dies ist ein Hotel, das schon bessere Tage gesehen hat und ich gebe euch eine Handvoll Figuren, die sich im Hotel gleichzeitig aufhalten, dann bekommt ihr eine Zimmernummer, müßt eure Figur zu einer bestimmten Zeit einschecken lassen, dann begibt sie sich auf ihr Zimmer und von da an seid ihr allein. Und natürlich war ich mir sicher, welche Art von Geschichte Roddy Doyle schreiben würde oder Colm Tóibín, Joe O´Connor oder ich, aber weit gefehlt bei allen sieben...

    Literarische Überraschungen wie die Geschichte der krebskranken Maureen, die weiß, daß sie nur noch wenige Monate zu leben hat und die in Finbars Hotel mit dieser schrecklichen Wahrheit allein sein möchte, es aber nicht bleibt oder der Hoteldirektor, dem durch die Begegung mit einem anderen Gast die bösen Geister seiner Kindheit Angst und Schrecken einjagen. Geschichten, die in sich selbst stimmig und abgeschlossen, dennoch miteinander verwobenen sind, sonst hätten wir eine hübsche Anthologie , doch keinen Roman vorliegen. Und wie hat Dermot das geschafft?

    "Als alle sieben Geschichten in der ersten Fassung fertig waren, sagte ich, OK und jetzt tauschen wir Geschichten ohne zu wissen, wer was geschrieben hat und dann könnt ihr mal gucken welche Figur ihr ausborgen wollt und auf diese Weise entwickelte sich eine merkwürdige Verflechtung der Charaktäre wie der Geschichten. Es war ein literarisches Projekt ohne Egos kann man sagen. Eine gegenseitige Befruchtung. Indem wir unsere Figuren miteinander teilten, passierte irgendwie ja etwas Ähnliches wie in Hotels: Man teilt einen Ort mit anderen und wird dadurch ein klitzekleiner Teil ihres Lebens und umgekehrt."

    Und genau darin liegt ein nicht geringer Teil des Reizes von Finbars Hotel. Wenn Personen, die wir bereits kennen auf andere stoßen, die wiederum von dritten ganz anders durch die dünnen Wände erlebt wurden. Und das führt immer wieder zu völlig schiefen Deutungen ihrer Handlungen aus der Sicht des Einzelnen:

    "Zwischen ihnen und dem Aufzug rappelte sich ein Mann vom Boden auf. Er schaute, als wäre er gerade über ein Tablett gestolpert. Oder er hat....ein irres Lachen stieg in Roses Kehle auf. Der Mann stampfte mit dem Fuß auf. Rose presste die Hand vor den Mund und eilte vorbei. Hinter sich hörte sie Ivy dem Mann irgend etwas sagen. Sie drückte den Fahrstuhlknopf, als das Lachen aus ihr herausbrach. Ivy kam hinter ihr her. " Was...?" Rose schüttelte hilflos den Kopf. " Der arme Kerl..." " oh, psst, Rosie, er kann dich hören." Der Aufzug schnurrte herbei. " Ist dir klar, was er gerade gemacht hat?" " Er ist gestolpert," sagte Ivy. " Er hat Marmelade von diesem Tablett stibitzt, auf frischer Tat ertappt, ein verdammter Marmeladendieb."

    Erst nach dem Besuch im letzten Zimmer werden die Zusammenhänge aller mit einzelnen anderen klar, dann, wenn auch in Finbars Hotel der nächste Morgen anbricht. Wer jedoch welches Zimmer `bediente´ bleibt im Dunkeln. Die Autorenschaft der sieben ist so unauffindbar wie die Minibar." Dazu Bolger:

    "Lasst uns doch den Spaß. Schreiben sollte Spaß machen und einen Roman zu schreiben ist normalerweise eine sehr einsame Sache. Was ganz interessant ist, ist, daß niemand und schon gar nicht die Kritiker alle sieben Autoren richtig zuordnen konnten. Finbars Hotel war unser Spaßprojekt. Wir wollten zum Wort zurückkehren und den Leser nur damit konfrontieren und nicht mit dem Namen dessen, der es schrieb. Und der Leser kann entscheiden, ob er die Geschichten mag oder nicht und zwar ausschließlich aufgrund des Wortes und nicht des Rufs des Autors."

    Das Spaßprojekt ist ein Lesespaß ersten Ranges, besonders wer die melancholisch-fröhliche Fabulierlust irischer Schrifsteller genießt. Und ein kleiner Tip für die unverbesserlich Neugierigen...schauen Sie sich das Gruppenfoto im Bett aller sieben auf dem Deckel mal genau an.